Bundeskanzler Scholz warnt vor Flugverbotszone: "Dann sind wir im Krieg!"

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstagabend beim Leserforum der "Thüringer Allgemeine" in Erfurt. 
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstagabend beim Leserforum der "Thüringer Allgemeine" in Erfurt. 
© Jan Woitas / DPA
Der Bundeskanzler hat in Erfurt seine rote Linie im Ukraine-Krieg nachgezogen. Ansonsten gab er sich siegesgewiss – und stichelte gegen Friedrich Merz.

Der Bundeskanzler lehnt an einem weißen Stehtisch im Redaktionsgebäude, die Beine verschränkt. Er will offenkundig entspannt aussehen. Olaf Scholz, ganz locker. 

Eigentlich ist er nach Erfurt wegen des Katholikentags gekommen; am Freitag wird er an einem Podium teilnehmen und die einstige Synagoge nahe dem Rathaus besuchen. Aber jetzt, am Donnerstagabend, begegnet der Bundeskanzler erst einmal seinem Souverän, und zwar in Form von Leserinnen und Lesern der "Thüringer Allgemeine".

Es wird in den knapp zwei Stunden um die Pflege gehen, um den Klimawandel, die Rente, den Ärztemangel, die Flüchtlinge, den Mindestlohn und natürlich um die Demokratie. Aber erst einmal darf Chefredakteur Jan Hollitzer fragen – und zwar zum Krieg in der Ukraine. Dies gibt dem friedensbewegten Sozialdemokraten Scholz die Gelegenheit, seine sogenannte rote Linie, die zuletzt ein wenig zu verblassen schien, noch einmal ordentlich aufzufrischen.

Eher einfach gestaltet sich dies für ihn beim Thema Bodentruppen. "In dieser Frage bin ich völlig klar", sagt Scholz. "Ich habe gesagt, wir wollen nicht mit unseren Soldaten da rein, und das bleibt auch die Haltung, die die deutsche Bundesregierung vertritt, weil wir sagen: Das ist dann der Punkt…" 

Er beendet den Satz nicht und fährt fort: "Das gilt übrigens auch für manches andere, was sehr unbesonnen so in die Gegend posaunt wird."  Eine Flugverbotszone zum Beispiel sei ja vielleicht "ein schöner Name". Doch sie bedeute im Ergebnis: "Man schießt mit den eigenen Kampfflugzeugen die Flugzeuge einer anderen Nation ab."

Und jetzt kommt er, der Scholzsche Punkt: "Dann ist man im Krieg!" 

Plötzlich wird der Kanzler kryptisch

Eine solche Zone, fügt der Kanzler im grimmigen Ton an, werde auch nicht dadurch harmloser, dass man sie auf 50 Kilometer beschränke. Dann dekretiert er: "Das darf dann eben nicht sein – und in dieser Frage ist der deutsche Bundeskanzler ganz klar."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Basta. Doch dann, ganz plötzlich, scholzt er wieder ins Ungefähre. Denn als er danach gefragt wird, ob deutsche Waffen eingesetzt werden dürften, um Ziele in Russland zu zerstören, wirkt seine Antwort ebenso interpretationsfähig wie bei der jüngsten Pressekonferenz mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Sie lautet: "Die Ukraine ist angegriffen. Deshalb hat sie viele Möglichkeiten, die ihr das Völkerrecht bietet. Und deshalb haben wir mit der Ukraine Vereinbarungen getroffen, die wir nicht ändern müssen." 

Doch was heißt das? Erlaubt nicht das Völkerrecht einem angegriffenen Land, sich mit Attacken auf die Infrastruktur des Aggressors zu verteidigen? Jetzt wird Scholz endgültig kryptisch – und lenkt ab. "Das ist eine absurde Debatte, weil man das Feld wechselt", sagt er. "Das Feld ist: Was tun wir? Wir werden das nicht machen."

Olaf Scholz: Das Demokratiefördergesetz kommt, vielleicht

Was "das" ist, sagt er nicht. Stattdessen fährt er fort: "Das Völkerrecht gebietet, dass, wenn man angegriffen ist, sich verteidigen darf. Ganz klar. Und deshalb unterstützen wir in dem beschriebenen massiven Umfang die Ukraine, damit es ihr gelingen kann. Aber gleichzeitig ist für uns völlig klar, dass wir eben nicht mit eigenen Truppen beitreten."

Nach dieser rhetorischen Pirouette, mit der Scholz bei etwas landet, zu dem er gar nicht gefragt wurde, weiß man nur, dass er lieber nicht öffentlich darüber reden will, was mit deutschen Waffen in der Ukraine passiert. Was er allerdings zu diesem Zeitpunkt wissen dürfte: Am nächsten Morgen wird sein Regierungssprecher Steffen Hebestreit mitteilen, dass die Bundesregierung – so wie kurz zuvor die USA – der Ukraine die Erlaubnis erteile, von Deutschland gelieferte Waffen auch gegen militärische Ziele in Russland einzusetzen. 

Scholz lächelt oft an diesem Abend in Erfurt, was womöglich auch daran liegt, dass die Fragen aus dem Publikum kaum kritisch ausfallen. AfD-Anhänger scheinen jedenfalls nicht die "Thüringer Allgemeine" zu lesen. Ein Mann beklagt etwa, dass die Flüchtlinge im Mittelmeer stürben. Ein anderer fragt, wann endlich das Demokratiefördergesetz beschlossen würde. "Es kommt noch, das glaube ich schon", antwortet der Kanzler vage. "Ich habe schon den Eindruck, dass wir das hinkriegen."

Der Mindestlohnung und eine Drohung

Gefragt wird auch zum Mindestlohn, dessen Erhöhung Scholz im Interview mit dem stern gefordert hatte. Wann das denn nun passiere? Die Antwort: "Ich habe mich bekannt und gesagt, ich finde, der muss steigen, und habe Summen genannt, auf 14 und dann auf 15 Euro, in der Hoffnung, dass es wieder zur Sozialpartnerschaft zurückgekehrt wird."  

Es folgt eine Drohung: "Wenn das dauerhaft dann nicht klappt, dann haben wir ein Problem, das wir nur gesetzgeberisch lösen können." Die nächste Entscheidung stehe im Frühjahr 2025 an – "und das gucke ich genau an". 

Überhaupt, das nächste Jahr. Im September 2025 wird der neue Bundestag gewählt, und Olaf Scholz sieht sich danach selbstverständlich immer noch im Kanzleramt. Er sei, sagt er auf die entsprechende Frage, ja "gegen alle Erwartungen Bundeskanzler geworden", Umfragen hin oder her. Deshalb sei es ihm auch "nicht plausibel, dass es mir nicht gelingt, eine weitere Amtszeit zu erreichen". 

Werde ihm dabei der CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz helfen, den er ja als seinen Wunsch-Kanzlerkandidaten bezeichnet habe. Scholz grient. Es gebe "viele Gesichtspunkte", die dafür sprächen, sagt er, aber er habe "gar keine Lust", das auszuführen. "Sie werden ja sehen, dass ich recht habe."

So ist er eben, dieser Scholz. Alles wird prima, für die Bundesrepublik, aber auch für ihn, den Bundeskanzler. Deshalb gibt es für ihn auch nur eine sinnfällige Antwort auf die Frage, wer in diesem Jahr Fußball-Europameister wird: "Wir gewinnen!"