Ole von Beusts Abgang Michel, Alster, Ole - Aus

Von Christoph Cöln
Er galt lange als amtsmüde, nun scheint sicher: Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust will bald die Segel streichen, entnervt von Skandalen, landespolitischem Kleinklein - und von Merkel.

Dass er zurücktreten wolle, das Gerücht hatte sich seit Wochen hartnäckig gehalten, in Hamburg und in Berlin. Der Bürgermeister sei amtsmüde, hieß es. Es war also alles nur noch eine Frage der Zeit. Ole von Beust suche nur noch nach dem geeigneten Anlass, munkelte man. Die persönliche Begründung fehlt zwar noch, aber wann Hamburgs erster Mann von seinem Amt zurücktritt erscheint nun fast sicher: Am Sonntagnachmittag soll es eine Vorstandssitzung der CDU in der Hansestadt geben. Dort wolle von Beust seine Entscheidung offiziell bekanntgeben, berichteten mehrere Medien am Samstag übereinstimmend - wenige Stunden bevor das für die schwarz-grüne Koalition so wichtige Ergebnis des Volksentscheids über die Schulreform feststeht. Von Beust wolle sein Amt zum 25. August aufgeben. Das alles erscheint ausgemachte Sache, auch wenn die Grünen, die Koalitionspartner von Beusts, am Samstagnachmittag noch sagten, sie wüssten von nichts.

Der Hühne mit den stahlblauen Augen, neun Jahre an der Spitze des Stadtstaates, hatte sich an der Politik aufgerieben. In einem Interview, das die "Zeit" im Juli publizierte, sprach von Beust voller Bewunderung über seinen Vater. Der hatte die Politik nach drei Jahrzehnten an den Nagel gehängt und sich ein Wohnmobil gekauft.

Natürlich hat Ole von Beust bei der Erklärung zu seinem Rücktritt den Namen Angela Merkel nicht erwähnt. Aber klar ist: Auch seine Karriere war in eine Sackgasse geraten, auch er gehört zu jenen, die frustriert waren, dass sie in der Kanzlerinnenpartei nichts mehr werden können. So wie Friedrich Merz, so wie Roland Koch. Nach der Bundestagswahl 2009 machte sich von Beust offenbar Hoffnungen, das Entwicklungshilfeministerium übernehmen zu können. Doch Angela Merkel ließ ihn links liegen. Den Posten bekam Dirk Niebel, FDP. Von Beust beschwerte sich nicht. Aber er, der sich sonst vornehm aus der Bundespolitik zurückhielt, gönnte sich zuletzt auch öffentliche Kritik an Merkel. Angesichts des desolaten Zustands der schwarz-gelben Koalition in Berlin polterte er im Juli in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung": "Wenn das Vertrauen verloren geht, müssen sie auch mal auf den Tisch hauen."

Der Husarenritt mit der Schill-Partei

Er selbst hatte oft gezeigt, wie das geht. Hamburg wurde Jahrzehnte lang von Sozialdemokraten regiert - bis von Beust kam. Mit kühlem Blick auf die Macht ging er 2001 eine Koalition mit rechten Schmuddelkindern von der Schill-Partei ein und löste damit Empörung in ganz Deutschland aus. Doch von Beust blieb gelassen und profilierte sich als präsidialer Saubermann, wozu ihm der Regierungspartner reichlich Gelegenheit gab. Als deren Vorsitzender Ronald Barnabas Schill versuchte, von Beust zu erpressen - er drohte, die Homosexualität des Ersten Bürgermeisters öffentlich zu machen - , handelte der Adelsmann schnell und gründlich. Er schmiss Schill raus, die Koalition platzte, bei den Neuwahlen 2004 holte die CDU die absolute Mehrheit. Eine politische Meisterleistung.

Von Beust bestätigte offiziell nie, dass er homosexuell ist. Aber sein Vater tat es. In einem Interview erklärte er 2003, sein Sohn habe sich ihm schon vor langer Zeit offenbart. Er könne nichts dabei finden und das Thema sei damit erledigt. Drei Jahre später warf von Beust auch Justizsenator Roger Kusch aus der Regierung, jenen Mann, von dem Schill behauptet hatte, er sei dessen Liebhaber gewesen. Geschadet haben Ole von Beust all' diese Querelen nicht - im Gegenteil. Sie schärften vielmehr sein Image als moderner, urbaner, liberaler Typ. Seine Popularität war so groß, dass er es sich erlauben konnte, im Wahlkampf einen Slogan zu benutzen, der ihn zum Wahrzeichen der Stadt verklärt: "Michel, Alster, Ole".

Bei den Hamburger Wahlen 2008, von Beust erzielte immerhin noch knapp 43 Prozent, gelang ihm der nächste Coup: Er schmiedete die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene, ein Modellprojekt mit bundesweiter Strahlkraft. Beide Parteien hatten sich damit eine neue Machtoption erobert. Und Angela Merkel war einmal mehr zufrieden mit ihrem Kapitän an der Elbe.

Kritik an Hamburgs Neureichen

Hinsichtlich seiner politischen Überzeugungen zeigte von Beust ohnehin eine erstaunliche Flexibilität. Er war bereits mit 16 Jahren in die CDU eingetreten, saß seit 1978 in der Hamburger Bürgerschaft und seit 1998 im Bundesvorstand der Union. Doch seine marktliberalen Ansichten und seine Skepsis gegenüber der Ökobewegung warf er Stück für Stück über Bord. Von Beust entwickelte sich zu einem weltoffenen Liberalen merkelscher Prägung - ohne ideologische Scheuklappen.

So widmete sich von Beust in den vergangenen Jahren verstärkt den Benachteiligten. Sein vehementes Eintreten für die Schulreform entsprang der Überzeugung, dass Bildungsstandards nur durch die konsequente Integration der sozial Schwachen gesichert werden, auch durch längeres gemeinsames Lernen. Damit provozierte er eine Art Klassenkampf, denn das traditionelle dreigliedrige Schulsystem ist weiten Teilen der CDU und ihrer Anhänger heilig. Doch damit nicht genug: Von Beust unterstellte den hamburgischen Eliten, sie wollten ihre Sprösslinge nicht mit Migranten-Kindern zusammen lernen lassen. Er mokierte sich auch über das Prunk- und Protzgehabe der Reichen, die ansonsten wenig Verantwortung zeigten: "Die Uhren werden immer größer, die Autos immer chrombeladener. Inzwischen wird in Hamburg genauso angegeben wie in Düsseldorf", sagte er der "Zeit". Ein Affront gegenüber den Neureichen der Stadt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Eine Serie von Skandalen

Diese schroffen Aussagen kamen auch in der Partei nicht gut an. Von Beust geriet immer stärker unter Druck. Als nicht steuerbares Flugobjekt bezeichnete ihn die "Welt". Eine Serie veritabler Skandale kam hinzu. Die Kosten des Baus der Elbphilharmonie, ein Lieblingsprojekt von Beusts, explodierten auf das Dreifache, es gab drastische Fälle von Polizeigewalt, Finanzsenator Michael Freytag musste wegen der Milliardenverluste der HSH Nordbank gehen, Bürgerschaftspräsident Bernd Röder wurde von den Medien demontiert, weil er im Winter den Räumdienst in seine Wohnstraße kommen ließ, während im Rest Hamburgs der Eispanzer liegen blieb. Ole von Beust hielt bis zuletzt seine schützende Hand über Röder und Freytag, was ihm viel Kritik eintrug. Hatte den Machtpolitiker mit dem sanften Lächeln der politische Instinkt verlassen? Der letzte Akt scheint nun das Gerangel um den Volksentscheid zur geplanten Schulreform gewesen zu sein. Bis zuletzt lagen Befürworter und Gegner des Projekts in Umfragen fast gleichauf.

Wie ist von Beusts Bilanz nach neun Jahren an der Spitze Hamburgs? Durchwachsen. Der Tourismus boomt, die Wirtschaft ist stabil, doch die soziale Kluft in der Hansemetropole wird größer. Viele Quartiere sind geprägt von Arbeitslosigkeit, Jugendgewalt und Bildungsarmut, andere haben sich zu Inseln der Besserverdienenden entwickelt. Das alles ließ von Beust nicht kalt. In einem "Zeit"-Gespräch sagte er über die Nebenwirkungen des Politikerdaseins: "Erstaunlicherweise wird man nicht abgebrühter, sondern empfindlicher." Vielleicht war auch das ein Grund, weshalb er ging.

Mitarbeit: Lutz Kinkel

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