Corona-Maßnahmen der Bundesregierung "Die Pandemie wird zum Lackmustest für die Demokratie"

Neue Corona-Maßnahmen: Angela Merkel bei der Pressekonferenz
Kanzlerin Merkel fordert die Deutschen auf, auch über Ostern Kontakte zu vermeiden
© Clemens Bilan / Getty Images
Bund und Länder haben drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie beschlossen – und en passant die Grundrechte weiter eingeschränkt. Das sagt die Presse zur Reaktion auf den Ausnahmezustand.

"Kölner Stadt-Anzeiger"

"Die Regierungschefs haben der Versuchung widerstanden, dem Druck des bayerischen Kollegen Markus Söder nachzugeben. Zweifellos hat der Corona-Ausbruch Schwächen im Bund-Länder-Geflecht offengelegt. Wir werden über eine Föderalismusreform reden müssen, wobei die Betonung auf 'reden' liegt. Gesundheitsminister Spahn hat das Gegenteil davon getan, als er versucht hat, die Bundesländer über Nacht zu entmachten. Selbst wenn sein Vorschlag, Kompetenzen beim Bund zu bündeln, inhaltlich sinnvoll war: Änderungen im komplexen Bund-Länder-Verhältnis trifft man nicht allein, sondern gemeinsam. Und vor allem trifft man sie mit kühlem Kopf und nicht auf dem Höhepunkt einer Krise."

 "Süddeutsche Zeitung"

"So überzeugend Söders Krisenmanagement in den vergangenen Tagen wirkte, so wenig ergibt es allerdings auch Sinn, dass er die Kollegen aus anderen Ländern als zu unentschlossen erscheinen lässt. Die ständige Betonung, überall Erster gewesen zu sein, schürt eine Konkurrenz, die es gar nicht geben müsste. Und den schwierigen Abwägungsprozess, den Söder jüngst für sich in Anspruch genommen hat, muss er seinen 15 Kolleginnen und Kollegen auch zugestehen."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung"

"Was die Bundesregierung jetzt zum Schutz der Bevölkerung in einer 'epidemischen Lage von nationaler Tragweite' durchsetzen will, nimmt den Ländern nichts von deren zentralen Kompetenzen - etwa in Sachen Ausgangsbeschränkungen. Eine Koreanisierung der deutschen Seuchenpolitik - drastisch erweiterte Möglichkeiten zur Ermittlung infizierter Personen (Stichwort Handy-Daten) - hat Jens Spahn erst einmal vertagt - obwohl er sich damit an einem Erfolgsmodell orientiert. Beunruhigen muss, dass der Bund durch allgemeine Verwaltungsvorschriften ermächtigt werden soll, den Föderalismus zu umgehen. Der ist aber, das zeigt ein Blick nach München, Stuttgart, Düsseldorf oder Kiel, weit besser als sein Ruf. Bei allem Verständnis für die 'Bazooka', die jetzt hervorgeholt wird: Sie kann auch vieles Gute zerstören."

"Westfalen-Blatt"

Die Ausgangssperre ist so gut wie da, heißt aber nicht so. Das kann man nun hasenfüßig nennen oder aber für klug halten. Es ist ein schmaler Grat, auf dem die Politik wandelt. Und das sorgt für Zoff - nicht nur zwischen Markus Söder und Armin Laschet. Dabei ist klar: Wir sind längst im Ausnahmezustand, den unser Grundgesetz eigentlich nur für den Kriegsfall kennt. Nie zuvor wurden mehr Bürgerrechte eingeschränkt. Durchaus begründet, denn im Krieg sind wir ja auch - im Krieg gegen das Virus. Aber diesen Krieg kann kein Politiker gewinnen. Es wird kein Söder sein, der die Schlacht alleine schlägt - und kein Laschet, der sie verliert. Wenn wir es schaffen, dann nur gemeinsam! Und wir werden eine ziemliche Ausdauer brauchen - weil das öffentliche Leben womöglich in mehreren Wellen drastisch runtergefahren werden muss.

"Neue Osnabrücker Zeitung"

Unbelehrbare gibt es immer und überall. Der Großteil der Bürger verhält sich in der Corona-Krise inzwischen jedoch gemäß den verordneten Sicherheitsvorkehrungen. Deshalb ist es richtig, dass Bundesregierung und Länder vorerst von einer generellen Ausgangssperre absehen. Auch die Politik muss der Mündigkeit des Bürgers zur Verhaltensänderung durch Erkenntnis Vertrauen schenken. In manchen Regionen Deutschlands sind Grundrechte bereits in einem Maß beschnitten, wie es sich kaum jemand im Traum vorstellen konnte. So wird die Pandemie zum Lackmustest für die Demokratie; sie darf aber nicht als Alibi dienen für auf unbestimmte Dauer ausgeweitete Zugriffsrechte des Gemeinwesens auf den Einzelnen und Einschränkungen von Rechten.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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"Rheinpfalz"

Der Kanzlerin war klar, dass der Bund bei einer Katastrophe wieCorona nicht länger nur Zaungast sein kann. Die gestrige, offenbar schwer errungene Einigung der Ministerpräsidenten war das Gebot der Stunde. Durchgesetzt hat sich die bayerische Regelung, da mittlerweile die Anzahl der Infizierten in allen Ländern in die Höhe geschnellt ist. Vermieden wurde der irreführende Begriff "Ausgangssperre", da schließlich das Verlassen der Wohnung nicht das Problem darstellt, sondern der Kontakt mit anderen Personen. Die "Kontaktsperre" für mehr als zwei Personen ist vernünftig, da sie notwendige Gänge zu Ärzten, zum Einkauf oder zur Arbeit weiterhin zulässt.  Es ist ein Lernprozess, in dem sich der Föderalismus gerade befindet. Es zeigt sich, dass in Krisenzeiten eine Verlagerung von Kompetenzen auf den Bund richtig ist.

"Volksstimme"

Noch scheut die Bundesregierung das böse Wort Ausgangssperre. Weil es nach Ausnahmezustand und Freiheitsberaubung riecht. Kontaktverbot ist zwar fast dasselbe, klingt aber weicher. Somit rennen Berlin und die Masse der Länder nur Bayern, Sachsen und dem Saarland hinterher. Diese Grenzländer scheuen sich nicht davor, den Bewegungsspielraum ihrer Bürger weiter drastisch einzuschränken. Zu deren Nutzen, und nicht, um sie drangsalieren, wie manche sofort wähnen. Die amtlich verordnete Unfreiheit dient dazu, wieder die Freiheit zu erlangen, wie sie noch vor wenigen Tagen so selbstverständlich schien wie Sonne oder Regen. Sollte die Corona-Infektionskurve in Deutschland weiter so exponentiell steigen wie bisher, wird auch die nun beschlossene Zwei-Personen-Grenze für Außenaufenthalte in wenigen Tagen passé sein. Die der Kleinstaaterei geschuldete gesamtdeutsche Inkonsequenz ist niemandem mehr zu vermitteln. Italien kann morgen hier sein.

"Stuttgarter Nachrichten"

Die Ergebnisse des Gesprächs der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten bestätigt einen alten Eindruck: Nicht die Bundesregierung, sondern die Regierungschefs der am meisten betroffenen Länder sind die treibenden Kräfte bei der Krisenbekämpfung. Tatsächlich sind die Vereinbarungen im Kern der Nachvollzug dessen, was etwa in Bayern und Baden-Württemberg schon Praxis ist. Das öffentliche Leben wird weiter beschränkt. Alle Gruppentreffs werden unterbunden. Aber wir sind weit davon entfernt, dass alle Bürger im Zuge genereller Ausgangssperren zu Hause eingesperrt würden. Das ist nicht halbherzig, sondern eine Linie mit Augenmaß.

DPA · AFP
nik