Rainer Brüderle "Regierung hat die Krise kleingeredet"

Das 500-Milliarden-Paket soll eines zeigen: Die Regierung sieht der Finanzkrise nicht tatenlos zu. Von präziser Arbeit sei das aber weit entfernt, kritisiert der stellvertretende FDP-Vorsitzende Rainer Brüderle. Im Interview mit stern.de spricht er über die Schwachstellen des Rettungspakets und eine neue Finanzmarktordnung.

Herr Brüderle, hat es Sie überrascht, dass die Kanzlerin vorgeschlagen hat, Professor Tietmeyer an die Spitze einer Beratergruppe zur Reform des internationalen Finanzsystems zu stellen, obwohl er im Aufsichtsrat der angeschlagenen Bank Hypo Real Estate sitzt?

Das hat mich sehr, sehr überrascht. Der Vorgang beleuchtet die Arbeitsweise der Bundesregierung bei der Krisenbewältigung: Da wird nicht sorgfältig recherchiert und nachgedacht. Die Hypo Real Estate musste mit einem Milliardenpaket vor der Pleite gerettet werden. Herr Tietmeyer ist sicher eine verdienstvolle Persönlichkeit, aber als HRE-Aufsichtsrat für die Beraterfunktion nicht vermittelbar. Der Vorschlag spricht nicht für die Instinktsicherheit der Kanzlerin. Die Proteste im Bundestag gegen diese Berufung waren voll berechtigt.

Ist der Vorgang aber denn nicht ein grelles Warnsignal, dass sich die FDP alles genau ansehen muss, was bei dieser Rettungsaktion inszeniert wird? Das meiste läuft ja außerparlamentarisch, was da geplant wird.

Man hat in der Tat sehr gemischte Gefühle. Einerseits muss eine Bank in einer akuten Notsituation gerettet werden, die nicht zusammenbrechen darf, weil damit die ohnehin im Abschwung befindliche Wirtschaft schwer belastet würde. Andererseits muss man zur Kenntnis nehmen, dass da sehr oberflächlich im Kanzleramt gearbeitet wird.

Den Eindruck mussten Sie aber schon früher haben.

Angefangen hat es in der Tat mit dem Versagen der Bankenaufsicht. Dem folgte die Behauptung von Finanzminister Steinbrück, die Krise sei auf USA begrenzt, dann kam die Stützungsmaßnahme für die Hypo Real Estate, und dann kam ein paar Tage später ein Mehrbedarf für die Hypo Real Estate von 20 Milliarden. Bei jeder kleinen Sparkasse wird genau geprüft, wenn es um kleine Summen geht, bei Milliarden wird offenbar nicht hingesehen.

Ihr Parteichef Guido Westerwelle hat jetzt im Bundestag das Krisengeschäft Merkels sogar mit den Notverordnungen des Reichskanzlers Brüning verglichen, mit der sich die Weimarer Republik einst den Nazis ausgeliefert hat. Ist das nicht eine Übertreibung gewesen?

Ich glaube, er meinte Notstandsgesetze. Bei der freien Rede kann es schon mal zu Missverständlichkeiten kommen. Guido Westerwelle wollte zum Ausdruck bringen, dass hier ein Weg beschritten wird, der ganz ungewöhnlich weit an der parlamentarischen Demokratie vorbei geht.

Welche Schwachstellen sehen Sie im Rettungspaket der Bundesregierung?

Man kann die tatsächliche Größenordnung nicht einschätzen, nicht die Risikovorsorge. Ich bezweifele, ob die übermittelten Informationen hinreichend sind. Über dem gesamten Konzept liegt reichlich Nebel. Es wurde schlicht von Großbritannien übernommen, da man kein eigenes Konzept entwickelt hatte. Von präziser Arbeit ist das weit entfernt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wie soll die künftige Bankenaufsicht nach Ihrer Meinung aussehen?

Wir waren schon immer gegen die rivalisierenden Strukturen von Bafin und Bundesbank. Das gehört doch in eine Hand. Wenn zwei Organisationen tätig sind, gibt es immer Reibungsverluste. Die Bankenkontrolle gehört in die Bundesbank, wobei sie die Kompetenz bekommen muss, sich auch Finanzprodukte anzuschauen.

Zur Person

Rainer Brüderle war von 1987 bis 1998 Wirtschaftsminister des Landes Rheinland-Pfalz. Seit 1998 ist er stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, seit 1995 auch stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP.

Immer wieder haben Angela Merkel und Finanzminister Steinbrück in den letzten Wochen die Existenz einer Bankenkrise geleugnet. Wurde dabei die Wahrheit verschwiegen oder hatte die Regierung auch keine klaren Auskünfte von der Bankenaufsicht?

Beides war der Fall. Die Aufsicht hat nicht richtig funktioniert, die Regierung hat die Krise klein geredet und viele Fakten verdrängt. Sie wollte sie einfach nicht wahrhaben. Deshalb hat Steinbrück unendlich darüber geredet, es handle sich im Kern um eine amerikanische Krise. Er hat lange nicht begriffen, dass das an der größten Exportnation der Welt, die wir sind, nicht vorbei gehen würde. Das war auch in den Landesbanken der Fall, in denen ja viele Politiker sitzen.

Und Sie finden es dennoch richtig, dass den Bankern, die den größten Schaden angerichtet haben, jetzt Geld geradezu hinterher geworfen wird?

Richtig ist, dass Banker leichtfertig gravierende Fehler gemacht haben. Früher haben sie bei ihren Industriebeteiligungen die Neigung gehabt, ein Stück Monopoly zu spielen. Heute spielen sie Roulette. Beides ist von Übel. Diese Fehlentwicklung ist erleichtert worden, weil die Bankaufsicht in den USA wie in Deutschland nicht funktioniert. Das ist alles nicht in Ordnung. Daher hat der Staat eine Mitschuld. Übrigens hat die grün-rote Regierung die ersten Hedge-Fonds in Deutschland zugelassen.

Es wird viel geredet über die Beschränkung der Manager-Gehälter. Was erwarten Sie hier?

Das Thema gehört endlich dorthin, wo die Eigentümer sitzen, nämlich in die Hauptversammlungen der Aktiengesellschaften. Es geht einfach nicht, dass da lukrativste Gehälter klammheimlich ausgekungelt werden. Da muss das Aktienrecht entsprechend geändert werden. Wir brauchen stärkere Eigentümerrechte und mehr Transparenz.

Was halten Sie denn noch von der diskutierten Begrenzung der Managergehälter auf 500.000 Euro im Jahr?

Wenn eine Bank jetzt ihre Insolvenz nur vermeiden kann, wenn sie sich staatliche Hilfe holt, dann ist es legitim, dass der Staat im Interesse der Steuerzahler Auflagen macht. Und Manager, die ihre Bank in eine solche Situation bringen, die haben auch keinen Bonus verdient. So lange die Steuerzahler beteiligt werden am Krisenmanagement, müssen solche Begrenzungen stattfinden. Von Arbeitnehmern werden bei Sanierungsarbeiten Opfer verlangt, die müssen dann zurückstecken und verzichten. Da müssen diejenigen, die die Firma an den Abgrund des Konkurses gesteuert haben, ebenfalls zur Kasse gebeten werden zur Sanierung des Unternehmens.

Gefordert wird auch eine neue Finanzmarktordnung. Wie soll die aussehen?

Europa muss die Not der Stunde begreifen und sich endlich auf eine europäische Bankaufsicht einigen. Bei uns ist Rating auf Druck der USA eingeführt worden. Jetzt müssen die Rating-Agenturen endlich in die Haftung dafür einbezogen werden für das, was sie verkünden. Und sie sollen nicht bezahlt werden von den interessierten Emittenten, sondern von den Verbraucherschützern oder Beteiligten, die Wert auf seriöse Auskunft legen. Wir brauchen auch mehr Rating-Agenturen, damit Wettbewerb untereinander entstehen kann.

Traut sich denn die FDP jetzt noch, sich neoliberal zu geben?

Faire Spielregeln und Ordnungspolitik sind nötiger denn je. Die aktuelle Krise ist Ergebnis fehlender Ordnungspolitik. Tatsache ist, dass viele Fehler gemacht worden sind in den letzten Jahren, die Verstöße gegen die soziale Marktwirtschaft waren. Denken Sie nur an die Fusion von EON und Ruhrgas, die den Markt zu 84 Prozent beherrschen. Hohe Mindestlöhne oder die Mehrwertsteuerbefreiung der Post - das alles widerspricht dem Geist der sozialen Marktwirtschaft. Man hat in die soziale Marktwirtschaft mehr rostige Nägel rein geschlagen als sie verträgt. Und eines muss man auch klar sagen: Soziale Marktwirtschaft ist kein Kapitalismus. Den lehne ich ab. Ich bin ein Ordoliberaler. Die soziale Marktwirtschaft steht für Ordnung. Man darf sie nur nicht aushöhlen, wie dies geschehen ist. Man kann auch mit einem guten Auto auf den Baum fahren, wenn man nicht aus der Frontscheibe blickt.

Wer ist denn zurzeit Bundeswirtschaftsminister? Kennen Sie ihn?

Ihre Frage ist treffend. Michael Glos müsste viel präsenter sein in dieser Situation. Der Bundeswirtschaftsminister müsste auf jeden Fall das ordnungspolitische Gewissen der Regierung sein. Die Bankaufsicht ist aber beim Finanzminister, der ist auch zuständig für die Geld- und Kreditabteilung. Das gehört doch zurück an den Wirtschaftsminister. Das müsste Glos jeden Tag fordern. Er muss sich mehr einsetzen für die Verteidigung des bewährten früheren Systems.

Es gibt in der FDP den Gedanken, wegen der Finanzkrise die Gesundheitsreform auszusetzen, wenigstens bis 2010, weil damit neue finanzielle Belastungen für die Bürger verbunden sind. Stehen Sie auch hinter dieser Forderung?

Voll und ganz. Nicht nur wegen der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch weil sie Unsinn ist. Sie bringt nur neue Bürokratie.

Und wo stehen Sie bei der Erbschaftssteuer, um die jetzt gefeilscht wird?

Dort herrscht ein wüstes Durcheinander. Es werden falsche Signale gesetzt. Die Erbschaftssteuer gefährdet Arbeitsplätze. Meine Meinung ist: Die Erbschaftssteuer gehört abgeschafft.

Die CDU will jedoch die Erbschaftssteuer, sie macht auch die Gesundheitsreform. Und ausgerechnet mit dieser Partei wollen sie 2009 koalieren?

Weil wir dann noch nicht alleine eine Regierung bilden können, müssen wir das kleinere Übel als Partner in Betracht ziehen und das ist die CDU.

Interview: Hans Peter Schütz