Reisedatenaustausch Codename "Semaphore"

Von Susanne Härpfer
Der Austausch von Flugpassagierdaten zwischen der EU und den USA ist schon in der aktuellen Form stark umstritten. Dabei verfolgt Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble bereits ein Projekt, das die heutige Datensammel-Praxis weit übertrifft.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will noch mehr Datenaustausch mit den USA in Sicherheitsfragen. Dies erklärte er gemeinsam mit dem amerikanischen Minister für Homeland Security Michael Chertoff. Dazu sollen Fragen der Biometrie, des Visaverfahrens, aber auch der Austausch von Flugpassagierdaten und IT-Projekte gehören. Dazu kann auch ein Projekt mit dem Codenamen "Semaphore" gehören. Auf Anfrage bestätigt Annette Ziesig, Sprecherin des Bundesinnenministeriums (BMI), es verfolge Semaphore "mit großem Interesse".

Bei dem Projekt geht es um die Erfassung und Übermittlung von Passagierdaten im großen Stil nach britischem Vorbild. Bislang konzentriert sich die Debatte auf die Weitergaben von Flugpassagierdaten an die USA. Datenschützer kritisieren den Austausch. Der Europäische Gerichtshof verbot sogar eine entsprechende Direktive aus formalen Gründen, dennoch soll sie in nationales Recht umgesetzt werden. Zurzeit hat Deutschland im Rat der Europäischen Union die Präsidentschaft und verhandelt zusammen mit der Kommission über die Bedingungen, zu denen die Daten übermittelt werden sollen.

Die Debatte hinkt hinterher

Allerdings: Die aktuelle Debatte hinkt hinterher. Längst wird an der viel umfassenderen Kontrolle gearbeitet. In Zukunft können nämlich auch Daten von Bus- und Bahnreisenden erfasst und ausgetauscht werden. Die rechtlichen Weichen dafür wurden bereits vor zwei Jahren auf europäischer Ebene gestellt. Die umstrittene Direktive 82 regelt hauptsächlich die Weitergabe von Passagierdaten von Luftfahrtunternehmen an die USA. Punkt 8 erlaubt aber auch Daten "anderer Beförderungsunternehmen" zu erfassen und abzugleichen."

Damit ist der Weg längst frei für ein IBM-Projekt, das künftig auch jeden, der eine Fernreise mit Bahn- oder Bus machen will, in behördlichen Datenbanken Überprüfen möchte.

"Verbrecher sind wie Stecknadeln im Heuhaufen. Warum die "Nadeln im Heuhaufen" erst an der Grenze suchen, wenn man den Heuhaufen vorher intensiver durchsuchen kann?", wirbt IBM unter anderem beim BMI, der Europäischen Union und auf Fachkonferenzen für ein Komplettpaket der Überwachung. IBM wirbt für das Orwell-Angebot mit dem Argument, die Firmen-Software und Computer stünden sowieso in Reisebüros, bei Polizei und Geheimdiensten. Man brauche sie nur noch zu vernetzen.

China und Marokko als Referenzen

"Als Referenzen führt der Konzern Regierungen von so etablierten Demokratien wie China und Marokko an." Wenn es nach IBM ginge, würde jeder, der ein Ticket kauft, erfasst und mit Datenbanken von Polizei und Geheimdienst abgeglichen. "Nur mit welchen Datenbanken, das ist die Frage", kritisiert Tony Bunyan von der Londoner Datenschutzorganisation "Statewatch" den Ansatz. Geregelt ist dies nämlich nicht. Jedes Land hat andere Listen und erfasst Bürger nach unterschiedlichen Kriterien. Für alle gilt allerdings die Definition des Europäischen Rats. Die stuft jeden als Terroristen ein, "der öffentliche Stellen (sic!) oder eine internationale Organisation rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zwingen" will. Damit gilt jede Teilnehmer einer nicht genehmigten Demonstration oder einer Sitzblockade als potentieller Terrorist und kann entsprechend behandelt werden.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

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Im Vereinigten Königreich gibt es bereits ein vergleichbares Projekt unter dem Codenamen Semaphore. Eigentlich heißt so in der Küstensprache ein Signalmast zum Anzeigen der Windstärke. Jeder Flugpassagier, der ins Vereinigte Königreich Großbritannien aus den USA, Thailand oder anderen Länder einreist oder dorthin fliegt, wird bereits beim Ticketkauf erfasst und mit Dateien abgeglichen. Während der Datenabgleich mit den USA für Wirbel sorgt, wissen nur wenige Experten von Semaphore. Dabei sind schon heute auch Deutsche betroffen, wenn sie z.B. Thailand- oder Karibikurlaub machen. Denn viele karibische Inseln gehören zum Vereinigten Königreich.

Nachrichtendienste prüfen Reisedaten

Wer dort ein- oder ausreist, wird bereits im Reisebüro oder bei der Buchung von der Fluglinie erfasst und mit Dateien der britischen Nachrichtendienste MI 5, MI 6, der Polizei Scotland Yard und Metropolitan Police sowie weiteren Behörden abgeglichen. Und wer über England nach Thailand zum Baden fliegt, gerät auch ins Visier. Das System wird in Großbritannien gerade auf den Seeweg ausgeweitet. "Daher weht also der Wind", kommentiert Tony Bunyan die Avancen des Computer-Multis, künftig alle Reisenden in ganz Schengen zu überwachen. Franco Frattini, Vizepräsident der Europäischen Kommission und zuständig für Justiz und Sicherheitsfragen, fordert bereits jetzt ein System, das Name, Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Angaben über Kreditkarten, Hotel- und Leihwagenbuchungen aller Flugpassagiere an europäische Regierungen weiterleitet.

Auch deutschen Innenpolitikern kommt die Umwerbung durch IBM gerade Recht. Seit den Meldungen über die Funde der Kofferbomben in deutschen Bahnhöfen fordern sie eine stärkere Kontrolle aller Bahnreisenden. "Staatliche Sicherheitsbehörden vergrößern ihre Möglichkeiten zur sozialen Kontrolle und zum Eingriff in die Privatsphäre ihrer Bürger im Namen der Terrorbekämpfung derzeit massiv - grade in demokratischen Ländern", sagt Otfried Nassauer vom Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit. "Ironischerweise sieht sich aber der staatliche Big Brother, der angeblich das öffentliche Gut 'Sicherheit' garantieren will, aber gleich mit dem Vorschlag der Industrie konfrontiert, die neuen Sicherheitsaufgaben zu privatisieren. Im Ergebnis kommt die 'Ware Sicherheit'. Der kontrollierte Bürger zahlt dafür, kontrolliert zu werden."

Eine klammheimlichen Einführung in Deutschland wurde aber offenbar durch diese Presseanfrage verhindert - denn, so das Bundesinnenministerium auf Anfrage: "Planungs- und Prüfarbeiten" könnten "nur dann mit Aussicht auf Erfolg geleistet werden, wenn sie vertraulich erfolgen."