Herzlichen Glückwunsch, Herr Koch!
Wozu?
Die Union führt einen Monat nach der Wahl in den Umfragen wieder klar vor der SPD.
Der Aufkleber: »Jammert mir nichts vor, ich habe CDU gewählt« wird sehr gefragt sein. Aber die Wahl ist vorbei.
Edmund Stoiber spricht davon, dass die Wähler sich »verarscht« vorkommen.
Das trifft das Lebensgefühl der Menschen im Augenblick ausgezeichnet. Es wäre ein heißer Favorit für das Unwort des Jahres. Eichel hat in einem Kernbereich, der Staatsverschuldung, wissentlich gelogen. Schröder hat Steuererhöhungen ausgeschlossen, jetzt kommen sie knüppeldick.
Wie hätten Sie reagiert, wenn ein Kanzler Stoiber so gestartet wäre?
Dann hätte es einen Heidenkrach in der Union gegeben. Mit mir wäre das nicht zu machen gewesen.
Sie müssten der Regierung doch dankbar sein. Sie überdeckt, dass es in der Union an allen Ecken und Enden knirscht.
Die Einschätzung teile ich nicht. Die CDU hat eine Wahl verloren, und sie wird natürlich darüber diskutieren, wie sie sich aufstellen muss, damit sie die nächste gewinnt. Das ist das Normalste der Welt.
Warum hat die Union denn verloren?
Ohne das Thema Irak hätten wir die Wahl gewonnen. Mit dem Schüren von Kriegsangst hat der Kanzler einen Schleier über die wirkliche Lage des Landes gezogen.
Vor allem die Frauen haben der Union eine lange Nase gedreht. Das können Sie kaum mit dem Thema Irak erklären.
Natürlich haben wir als CDU nicht gut genug bei jungen Frauen abgeschnitten. Und trotzdem hätten wir gewonnen, wenn es den Punkt Irak nicht gegeben hätte.
Was muss die CDU Frauen anbieten?
Die CDU kommt aus der Tradition einer starken Aufgabenteilung zwischen Männern und Frauen...

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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...die für Kinder, Küche, Kirche zuständig sein sollten?
...die junge Frauen heute nicht mehr so akzeptieren. Unsere Politik war bis in die 80er Jahre darauf ausgerichtet, diese Teilung weiter möglich zu machen, etwa mit Erziehungsurlaub. In der praktischen Politik sind wir heute viel weiter. Wir machen Hessen etwa zum Land der Tagesmütter, haben das Betreuungsangebot an Grundschulen verdreifacht. An unserem Image an dieser Stelle müssen wir aber noch arbeiten.
In Teilen der Union gibt es zaghafte Annäherungen an die Grünen. Ist da ein neuer Koalitionspartner in Sicht?
Für die Bundes- und Landesebene sind schwarz-grüne Koalitionen auf viele Jahre - mehr als Legislaturperioden ausdrücken - völlig undenkbar. Auf regionaler Ebene kann man manches gemeinsam lösen. Da gibt es bei den Grünen interessante Köpfe mit interessanten Ideen.
Im November droht die Steuerschätzung mit verheerenden Zahlen. Wie wollen Sie in Hessen auf die Einbrüche reagieren?
Wir werden nicht ohne zusätzliche Verschuldung auskommen. Das ist immer noch besser und verantwortungsvoller, als jetzt auf Lehrer oder Polizisten zu verzichten. Ich hoffe allerdings darauf, dass die Bundesregierung ökonomisch noch zur Vernunft kommt, damit die Lage sich im Laufe des nächsten Jahres entspannt.
Ist das Ihr Ernst?
Keine Regierung kann in Deutschland allzu lange überleben, wenn sie die ökonomischen Probleme ignoriert. Ich glaube, dass Rot-Grün überleben will. Deshalb wird der Koalitionsvertrag so nicht lange Bestand haben. Man kann ja depressiv werden, wenn man sieht, was diese Regierung macht. Ein Jahr halten wir das vielleicht aus, länger nicht, dann ist unser Wohlstand gefährdet.
Wenn das so ist, müssten Sie im Bundesrat den Lafontaine machen.
Nein. Agonie schadet allen. Wir werden uns jeden Punkt genau ansehen, aber klar ist schon jetzt: Rot-Grün braucht Kontrolle - nicht Blockade durch den Bundesrat.
Dann schauen wir mal: Was ist mit der Mindeststeuer für Unternehmen?
Hans Eichel wollte die Körperschaftsteuer halbieren und hat sie aus Unvermögen versehentlich auf null gedreht. Wenn er diesen Fehler korrigieren will, werden wir uns das anschauen.
Anschauen? Die Mindeststeuer war eine Wahlkampf-Forderung Ihrer Partei!
Die Körperschaftsteuer muss wieder fließen. Große Unternehmen dürfen sich nicht der Mitfinanzierung des Staates entziehen. Deshalb bieten wir unsere Mitarbeit an. Aber das bleibt der einzige Punkt.
Es gibt keinen Grund, Kontrollmitteilungen der Banken für Zinszahlungen abzulehnen. Oder soll der Ehrliche der Dumme bleiben?
Prinzipiell sollten wir schnell eine Steuerreform mit einfachen und durchschaubaren Sätzen machen, um den Volkssport Schummeln zu minimieren. An Kontrollmitteilungen wird die deutsche Politik weder gesunden noch zugrunde gehen.
Was spricht gegen die generelle Besteuerung von Gewinnen aus Aktienverkäufen?
Das ist eine Abgabenerhöhung, deshalb sagen wir nein.
Könnten Sie die Umstellung der Eigenheim-Zulage mittragen?
Auf gar keinen Fall. Bei der Neustrukturierung, wie Rot-Grün sie plant, muss eine Familie sechs Kinder haben, um in den vollen Genuss der Förderung zu kommen - aber das Haus darf nur so teuer sein wie für eine Familie mit zwei Kindern.
Werden Sie die Änderungen bei der Mehrwertsteuer akzeptieren?
Die sind doch ohne Sinn und Verstand. Landwirte zahlen künftig den vollen Satz für Viehfutter, bei Hunde- und Katzenfutter gilt weiter der halbe Satz. Demnächst werden Kühe wohl Whiskas kriegen. Das Beispiel zeigt, welche Panik beim Geldzusammenkratzen geherrscht haben muss.
Der Kanzler will das Hartz-Konzept »eins zu eins« umsetzen.
Er weiß doch selber, dass das gar nicht geht. Davon wird in Kürze keine Rede mehr sein. Wir wollen Arbeitslosen- und Sozialhilfe besser verzahnen. Wenn die SPD glaubt, dass sie unser hessisches »Offensiv«-Gesetz mitmachen kann: herzlich willkommen!
Wird Hessen die Anschubfinanzierung des Bundes zur Kinderbetreuung annehmen?
Wer bin ich, eine Wohltat abzuweisen, wenn man sie uns gemäß den Regeln der Verfassung gewährt. Aber wenn der Bund glaubt, er könne schleichend die Kulturhoheit der Länder übernehmen, täuscht er sich.
Gerhard Schröder möchte den Föderalismus neu regeln. Einverstanden?
Das ist dringend notwendig. Wir müssen klarer trennen, wer wofür zuständig ist. Schulpolitik ist Sache der Länder und geht den Bund nichts an. Ich bin dafür, dass Hochschulpolitik auch Sache der Länder wird. Es geht den deutschen Studenten sehr viel besser, wenn der Bund keinen Satz mehr zur Hochschulpolitik sagt. Die Mischfinanzierung ist ein Übel. Wir werden auch darüber reden müssen, wer die Steuern definiert. Ich würde meinem niedersächsischen Kollegen Sigmar Gabriel gerne erlauben, eine Vermögensteuer zu erheben. Soll er machen, wir erheben sie nicht, und dann schauen wir mal, wer mehr davon hat. Und der Bund muss die Möglichkeit erhalten, über die Einkommensteuer alleine zu entscheiden.
In Hessen und Niedersachsen wird am 2. Februar gewählt. Wie oft denken Sie: Danke, Rot-Grün, für den Rückenwind?
Wir werden einen Wahlkampf bekommen, in dem viele Menschen ihre Frustration zum Ausdruck bringen werden. Spaß habe ich daran nicht.
Wenn die USA den Irak angreifen, haben Sie das gleiche Problem wie Stoiber.
Die Leute werden sich fragen, ob sie über der Frage Irak das ganze Desaster in Berlin übersehen und dafür sogar den Preis einer Veränderung der Mehrheit im Bundesrat bezahlen wollen. Deshalb habe ich relativ geringe Sorgen.
Es ist in Hessen noch keinem CDU-Ministerpräsidenten gelungen, wiedergewählt zu werden. Wie stark wird Ihre Position in der Bundespartei, wenn Sie es schaffen?
Es gibt mich noch.
Ist der starke Mann dann noch stärker?
Wenn man eine Bundestagswahl verloren hat, muss man möglichst schnell zeigen, dass es auch anders gehen kann. Das ist wie das Anschlusstor im Fußball. Wenn die Wähler am 2. Februar sehr klar sagen, wir wollen ökonomisch nicht verarscht werden, um das inzwischen gesellschaftsfähige Wort zu gebrauchen, wird Schröder die Sprache sehr wohl verstehen und sich nicht mehr trauen, seinen Kurs einfach fortzusetzen.
Im Februar findet das Fernduell der Kanzlerkandidaten für 2006 statt: Gabriel gegen Koch?
Ich habe, wenn auch mit einer Mischung aus Überraschung und Unverständnis, gehört, dass der Kanzler plötzlich Spaß hat am Regieren und wieder antreten will.
Ihr Gegner wird also Schröder heißen?
Mein Ziel und meine Aufgabe ist da, wo ich antrete.
Dann kann sich Angela Merkel schon mal warmlaufen für 2006?
Sollte die Regierung von heute auf morgen wechseln, ist unser Kanzlerkandidat der, der bei der Wahl angetreten ist. Das gilt vier Jahre, dann entscheiden wir neu. Wir werden durch keine Aufgeregtheit der Welt diese Regel ändern. Angela Merkel nicht, ich nicht und kein anderer.
Interview: Andreas Hoidn-Borchers/Hans Peter Schütz