Rüttgers-Vorschläge CDU profitiert von "virtueller Politik"

Die Parteitags-Delegierten haben Rebell Jürgen Rüttgers abgestraft, in der Forsa-Umfrage des stern profitiert die CDU dennoch von seinem Vorstoß. Nur: Will und kann die Partei ihre sozialen Versprechen einlösen? Die SPD blockiert - und selbst ein mächtiger CSU-Mann findet starke Worte.

Es war eine harte Tracht Prügel, die Rebell Jürgen Rüttgers in Dresden einstecken musste: Magere 57,72 Prozent erhielt er bei der Wahl zum Partei-Vize. Und so bestraft die Partei den Rebellen, profitiert aber von dessen Rebellion: In der jüngsten wöchentlichen Forsa-Umfrage im Auftrag des stern konnte die Union in der vergangenen Woche drei Prozentpunkte zulegen, sie machte einen Satz von 29 auf 32 Prozent. Das ist das beste Ergebnis der Union seit Juli dieses Jahres. "Egal, ob die Rüttgers-Vorschläge objektiv vernünftig sind oder nicht, haben die Wähler sie offenbar als richtig empfunden. Rüttgers hat die CDU stabilisiert, während die Delegierten ihn abgestraft haben", sagte Forsa-Chef Manfred Güllner stern.de. "Enttäuschte Wähler, die die Union im September verloren hatte, sind zurückgekehrt - auch von der FDP. " In der Umfrage, die vor dem Dresdner Parteitag durchgeführt wurde, verlor die FDP drei Prozentpunkte und fiel auf 12 Prozent.

Bürger messen CDU an ihren Versprechen

Für die Union ist das Ergebnis der Umfrage freilich zweischneidig: Den Bürgern gefallen die Versprechen von Rüttgers, aber gleichzeitig werden sie die CDU nun auch daran messen, ob die CDU diese Versprechen auch einlöst. Und genau das ist zweifelhaft: Spätestens, seitdem die CDU am Montag auf ihrem Parteitag jenen Antrag beschlossen hat, der vorsieht, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I an die vorherige Einzahlzeit zu koppeln, ist Streit darüber entbrannt, ob und wie das Vorhaben umgesetzt werden kann - und wer im Falle eines Scheiterns den Schwarzen Peter zugeschoben bekommt. Ist es die Unionsfraktion im Bundestag, die das Projekt selbst beerdigt? Oder wird, das sähe eleganter aus, die SPD für eine Pleite verantwortlich gemacht?

SPD sperrt sich gegen Vorstoß

Für die SPD ist die Lage schwierig. Sie läuft Gefahr, dass die Union sie links überholt und ihr so Wähler abspenstig macht. Die Gewerkschaften, die klassische SPD-Klientel, jubeln Rüttgers zu. "Die CDU hat auf dem ureigensten Feld der SPD einen Vorschlag gemacht", sagte Güllner stern.de. "Das hat sie auch nicht durch ihren hektischen Zukunftskongress kompensiert." Die SPD muss als links aufpassen, gleichzeitig wollen die Sozialdemokraten aber ihre Hartz-IV-Gesetze keinesfalls schnöde demontieren. Die Sprachregelung der Genossen lautet deshalb: Rüttgers' Vorschlag ist unsinnig und unlauter. Deshalb machen wir nicht mit. Arbeitsminister Franz Müntefering erläuterte seine Position in der vergangenen Woche bereits in der Unionsfraktion. Überzeugend, wie man von Unionsseite hört. Olaf Scholz, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Bundestag, bestätigte die Haltung der SPD am Dienstag. "Ich sehe keine Möglichkeit, sich auf diese Beschlüsse zu verständigen", sagte er - und meinte damit beide Beschlüsse der CDU vom Montag: Das Vorhaben, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes zu ändern, und das Vorhaben, den Kündigungsschutz aufzuweichen. "Die SPD ist unter vielen Mühen zu der Erkenntnis gelangt, dass die lange Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes eine Ursache für die hohe Arbeitslosigkeit bei älteren Arbeitnehmern ist", sagte Scholz.

Rüttgers' angebliche "So-Tun-Als-Ob-Politik"

Der SPD-Mann warf Rüttgers fehlende Ehrlichkeit und fehlende Ernsthaftigkeit vor. "Das Ganze war immer Parteipolitik. Das war nicht ehrlich gemeint von Herrn Rüttgers", sagte Scholz. Es handele sich um eine "So-Tun-Als-Ob-Politik", eine "virtuelle Politik." Diese Art des Vorgehens werde kurz- und mittelfristig schief gehen. Viele ältere Arbeitslose, sagte Scholz, würden bei einer Umsetzung der Rüttgers-Pläne schlechter gestellt als bisher. "Politiker sind gut beraten, eine ernsthafte Politik zu machen." Seine Position, so Scholz, werde von der Mehrheit der SPD-Fraktion getragen - trotz gegenläufiger Äußerungen, etwa des Parteilinken Ernst-Dieter Rossmann. Dieser hatte der "Netzzeitung" am Dienstag gesagt, dass er einen Kompromiss mit der CDU durchaus für möglich halte.

Ramsauer lobt Köhler - und distanziert sich von Stoiber

Aber nicht nur die SPD lehnt die CDU-Pläne ab. Auch die CSU-Abgeordneten im Bundestag sperren sich gegen die Kehrtwende der Schwesterpartei. "Dieser verzirbelte Antrag ist in der praktischen Politik nicht umsetzbar", sagte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer am Dienstag - und schob jede Verantwortung von sich: "Das ist ein CDU-Parteitagsbeschluss. Damit muss jetzt die CDU umgehen. Ich lehne mich zurück und warte ab", sagte er. Ramsauer gratulierte Bundespräsident Horst Köhler demonstrativ zu dessen öffentlich vorgetragener Kritik an den Rüttgers-Vorschlägen. "Bravo, Herr Köhler!", sagte Ramsauer - und befindet sich damit im Einklang mit einer breiten Mehrheit der Bevölkerung: Laut der Forsa-Umfrage für den stern begrüßen knapp drei Viertel der befragten Bundesbürger es, wenn das Staatsoberhaupt sich auch in die Tagespolitik einmischt. "Der Köhler ist zu unrecht für diese Rede an den Pranger gestellt worden", sagte Ramsauer.

Im Einklang mit der Münchner CSU-Zentrale steht Ramsauer allerdings nicht. CSU-Chef Stoiber und der Parteivorstand hatten sich für die Rüttgers-Pläne ausgesprochen. Bei der entscheidenden Sitzung des Vorstands in München hatten Ramsauer und Wirtschaftsminister Michael Glos gefehlt. Auf die Frage, ob er denn nun Stoibers Position unterstütze, sagte dessen Berliner Statthalter: "Jein." Er, Ramsauer, jedenfalls würde sich nicht an dem Einbringen des Antrags beteiligen. Offenbar hat das Wort des bayerischen Ministerpräsidenten auch bei den eigenen Abgeordneten in Berlin nicht mehr die Wirkungsmacht früherer Zeiten.

Entgegen dieser Widerstände hatte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla der "Welt" gesagt, die Beschlüsse des Dresdner Parteitags in der Koalitionsrunde auf die Tagesordnung zu setzen. SPD-Fraktionschef Peter Struck sagte, wenn Unions-Fraktionschef das Thema nicht anspreche, gebe es keinen Grund, dass es in die parlamentarische Beratung eingebracht werden müsse.