Er durfte nun doch nicht Minister bleiben. Aber man muss hinzufügen: Er war es 24 Stunden zu lang. Denn dieser Franz Josef Jung ist selbst dann seinen Aufgaben nicht nachgegangen, als es um den Tod von 142 Menschen gegangen ist, darunter auch Kinder. Der ein Dokument nicht gelesen hat, das die Bundeswehr schuldig spricht für ihren Tod. Es einfach weiter schob innerhalb der Bürokratie.
Das stand schon gestern fest. Weshalb der Verteidigungsausschuss darüber noch einmal beraten musste, das müsste die Kanzlerin erst noch erklären. Denn auch Angela Merkel müsste schon gestern während der Bundstagsdebatte klar gewesen sein, dass sie sofort zum Handeln verpflichtet war. Wie hätte dieser Mann, der als Verteidigungsminister so versagt hat, jetzt einfach weitermachen können als Bundesarbeitsminister? Als sei nichts gewesen?
Angela Merkel bleibt stumm
Zuweilen hat Jung jetzt sogar noch im Bundestag gelächelt, als sein Versagen vorgeführt wurde. Den "Kampf-Lächler" nannten sie ihn gerne im politischen Berlin. Weil das seine wichtigste Waffe gewesen ist in den vier vergangenen Jahren auf dem Stuhl des Verteidigungsministers. Wo er lächelte und lächelte und lächelte, was immer auch schief ging in seinem Amt. Und das war einiges. Als "Sicherheitsrisiko" qualifizierten ihn viele. Einen Politiker, der von Bundeswehr und Sicherheitspolitik so viel verstehe wie ein Flusspferd vom Hochseefischen.
Nicht einmal der Hauch eines Lächelns lag auf dem Gesicht der Kanzlerin, als der Bundestag ihren Minister vorführte. Sie wusste gewiss, was selbst viele in der CDU/CSU-Fraktion dachten, die ihr im Bundestag bei dieser Debatte gegenüber saßen: Schmeiß ihn doch raus! Sofort.
Doch sie hat es nicht getan. Wollte sie erst noch das verheerende Medienecho studieren und prüfen, ob man diesen Skandal nicht doch noch unter den Tisch manövrieren könnte? Ein Grund ihres Zögerns dürfte gewesen sein, dass Jung in ihrem Kabinett felsenfest als der verlängerte Arm des Roland Koch saß. Als Ohr, Mund und Faust des hessischen Ministerpräsidenten, einer der wenigen führenden CDU-Männer, die sie noch nicht geschafft hat. Für diesen war Jung wichtig, weil der einst in der hessischen Schwarzgeld-Affäre für ihn den Sündenbock gegeben hat.
Die Methode Merkel
So operierte sie am liebsten schon als Kanzlerin der Großen Koalition. Das konnte damit erklärt werden, dass sie gebunden war an die fast gleichstarke SPD. Dass sie das jetzt fortsetzt in der schwarz-gelben Koalition mit sicherer Mehrheit in Bund und Ländern, ist schwer zu verstehen. Als Erklärung bleibt nur: Das ist eben die Methode Merkel. Sie kann nicht anders.
Elf Jahre haben CDU, CSU und FDP auf ihr Regierungsbündnis gewartet. Eine politische Traumbeziehung werde das, versprachen die Beteiligten im Wahlkampf. Aus der gerade mal vier Wochen alten Liebes-Liaison ist eine vorerst rundum abgewirtschaftete Partnerschaft geworden. Keiner traut dem Anderen, täglich wird gestichelt.
Man nehme den Fall Erika Steinbach. Vizekanzler Guido Westerwelle hat sich gegen die Vertriebenenpolitikerin definitiv festgelegt. Von seinem schnellen, strikten Nein gegen ihre Berufung in den Beirat der Vertriebenenstiftung kann er nicht mehr abrücken, es sei den um den Preis der Selbstdemontage. Aber Merkel schafft es nicht, auch ihrerseits ein klares Wort zu sprechen. Lieber lässt sie sich von ihrem Duzfreund als Drückebergerin vorführen.

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Querschüsse aus der CSU
Man nehme den unendlichen Streit ums Betreuungsgeld. Zwar muss die Frage, ob Eltern, die ihr Kleinkind lieber zu Hause erziehen, monatlich 150 Euro bekommen oder nicht, erst im Jahr 2013 entschieden sein. Doch die Kanzlerin lässt sich auch hier tagtäglich vorführen, vor allem von der CDU-Lieblingsschwester CSU. Im Koalitionsvertrag ist eindeutig verankert, dass das Betreuungsgeld auch als Gutscheinmodell realisiert werden darf. Aber die Kanzlerin eiert. Redet heute so, morgen sagt sie das Gegenteil. Ihr Regierungssprecher muss jeweils übersetzen, was sie meint. Nur vom überfälligen Ausbau der Krippenplätze ist keine Rede.
Man nehme das Gezerre um die Mehrwertsteuer. Vereinbart ist, auf Druck der CSU, dass die Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen auf sieben Prozent gesenkt wird. CDU und FDP wollen den Unsinn nicht mitmachen, der sich beim besten Willen nicht als Steuerreform und Wachstumsförderung verkaufen lässt und den Gästen keinen Preisvorteil bringt. Michael Meister, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU, sagt das ganz offen, will aber Merkel nicht stoppen. Das Steuergeschenk ohne Wachstumseffekt kostet eine Milliarde Euro. Und gestritten wird ausgiebig darüber, ob diese "Reform" außer in Hotels auch auf Campingplätzen gelten soll.
Große Versprechen ohne Substanz
Unterm Strich der ersten vier Wochen der Traum-Koalition steht der schlechteste Start, den jemals eine neue Bundesregierung hingelegt hat. Vermutlich klammerte sich Merkel auch nur deshalb an Jung, weil sie - wie jetzt geschehen - mit dem schnellsten Rücktritt eines Bundesministers nach seiner Vereidigung zusätzlich blamiert gewesen wäre.
Wer sich korrekt erinnert, dürfte nicht vergessen haben, dass diese Regierung sich als Meistermannschaft bei der Krisenbewältigung empfohlen hat. Merkel hat versprochen, die Bundesrepublik zur "Bildungsrepublik" zu machen. Bildung sei so wichtig wie Wachstum. Nur: In der Diskussion um die überfällige Reform des universitären Systems findet die Regierung nicht statt. Von fairen und sozial ausgewogenen Bildungschancen keine Spur. Die Wirtschaft ist enttäuscht, nicht zuletzt durch die Berufung von Rainer Brüderle zum Wirtschaftsminister. Die langfristige Wachstumsvorsorge, klagt etwa Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln (IW), finde in Form von "Allgemeinplätzen" statt. Und Finanzminister Wolfgang Schäuble hat klar gemacht, dass er beim Blick auf die marode Staatskasse kein Geld sieht für eine große Steuerreform.
Schwarz-Gelb hockt in der Sackgasse
Es gäbe ja die Chance, den grundgesetzwidrig erklärten Soli zu kippen. Schon wären zwölf Milliarden in der Tasche der Steuerzahler. Es wäre ein enormer Wachstumsschub. Doch nichts wird geschehen, die Entscheidung wird auf die lange Bank des Bundesverfassungsgerichts geschoben. Von Subventionsabbau ist ebenfalls nichts zu hören. Nicht einmal der Zuschuss für als Geländewagen getarnte, benzinfressende angebliche Dienstwagen wird gekippt. Aufschlussreich auch mit Blick aufs das Thema "Wahllügen": Dass die neue Regierung jetzt offenbar bereit ist, den US-Terrorfahndern jeden Weg zum Herumschnüffeln in deutschen Bankkonten zu öffnen. Vor der Wahl hatte die FDP sich massiv dagegen gewehrt. Ein Umfall, wie man es von den Liberalen schon immer kennt. Geschieht vor allem stets dann, wenn sich die FDP zuvor als Verteidiger von Bürgerrechten profiliert hat.
Wer es freundlich meint mit dieser Bundesregierung kann sagen: Kein Fehlstart, sondern überhaupt kein Start. Das ist zunächst einmal krasses Führungsversagen der Kanzlerin. Dank ihrer Aussitztechnik hockt ihre Regierung jetzt erst einmal in der Sackgasse fest. Wenn überhaupt einmal, dann will man mit dem Regieren nach der Landtagswahl in Mitte nächsten Jahres in Nordrhein-Westfalen beginnen. Die Zeitverschwendung hat nur eine kleinen positiven Aspekt: Dass die FDP nach elf Jahren Opposition, nach elf Jahren flotter Sprücheklopferei wieder lernt, wie solide Regierungsarbeit aussieht.