Mit dem Ja des Bundestags zur Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine hat Deutschland eine weitere Kehrtwende vollzogen und sich im russischen Angriffskrieg so klar wie nie an die Seite Kiews gestellt. Das Parlament beschloss am Donnerstag in Berlin mit großer Mehrheit einen gemeinsamen Antrag von Ampel-Koalition und Union. Die Opposition aus Linken und AfD sieht die Gefahr eines Atomkriegs, weil Deutschland nun zur Kriegspartei werde.
Mit großer Mehrheit von 586 Stimmen forderte der Bundestag die Bundesregierung auf, die "Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortzusetzen und wo möglich zu beschleunigen und dabei auch die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe Systeme etwa im Rahmen des Ringtausches zu erweitern". Mit Nein stimmten 100 Abgeordnete, sieben enthielten sich. Die Bundesregierung hatte am Dienstag die Lieferung von Gepard-Flugabwehrpanzern der deutschen Rüstungsindustrie genehmigt. Es sind die ersten schweren Waffen, die direkt aus Deutschland in die Ukraine geliefert werden. Vor dem Ukraine-Krieg galt der Grundsatz, keine Waffen in Krisengebiete abzugeben.
Schwere Waffen für Ukraine: "Geht völlig am Nerv der Bevölkerung vorbei"
So kommentieren deutsche Zeitungen die Entscheidung des Bundestages:
"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Der Antrag, in dem die Lieferung schwerer Waffen und 'Ringtausche' begrüßt und gefordert werden, hatte seine Aufgabe aus Sicht der Union allerdings schon erfüllt, bevor er beschlossen wurde. Sicher war es nicht nur die Opposition, die den Kanzler dazu brachte, die Lieferung von Panzern und anderem schweren Gerät in die Ukraine endlich zu beschleunigen. Aber der Druck aus der Union trug dazu bei, Scholz daran zu erinnern, was Tatkraft ist. Die Geparde kamen schneller als der Bundestag. Die Panzerwende ist eine von vielen in der deutschen Ukrainepolitik, die immer erst dann kommen, wenn es gar nicht mehr anders geht. Für Scholz hat die Methode den Nachteil, als Zauderer zu gelten, aber den Vorteil, die widerstrebende SPD-Fraktion vor vollendete Tatsachen stellen zu können."
"Frankfurter Neue Presse": "Gestern dann kam der Bundestag mal wieder seiner staatspolitischen Verantwortung nach und zeigte mit eindrucksvoller Mehrheit Haltung in der brisanten Frage über Waffenlieferungen an die Ukraine. Damit sendet Deutschland ein wichtiges Signal nach Moskau, nach Kiew und an den Rest der Welt. Alles andere wäre ein Offenbarungseid gewesen. Eine Sternstunde des Parlamentarismus war die Debatte aber auch nicht. Unionsfraktionschef Merz prangerte die 'Ängstlichkeit' von Scholz bei der Entscheidung über die Lieferung schwerer Waffen an. Ein Kritikpunkt, der überzogen wirkt, decken sich Scholz’ Sorgen doch mit denen weiter Teile der Bevölkerung. Sicher wäre es besser gewesen, wenn sich die Ampelfraktionen und der Kanzler an der Spitze früher einmütig und klar positioniert hätten. Eine gewisse Zögerlichkeit steht Deutschland in dieser Frage aber gut zu Gesicht."
"Hannoversche Allgemeine Zeitung": "Der Union sei der Triumph zu gönnen, zuerst einen Antrag vorgelegt zu haben. Es war ein wichtiger Impuls, das Parlament muss über derart zentrale Entscheidungen debattieren. Was der Ukraine allerdings nicht helfen wird, ist, sich lange mit der Herleitung des Beschlusses aufzuhalten. Dass eine Regierung schlecht kommuniziert, kann man ihr zum Vorwurf machen, nicht aber, dass sie bei schwerwiegenden Entscheidungen abwägt. Und wenn der Gegner Atomwaffen besitzt und sich schon bisher wenig um Regeln geschert hat, ist schwerwiegend fast eine Untertreibung.
"OM Medien": "Bundeskanzler Olaf Scholz ist nun in der Pflicht, sein Zaudern zu beenden, mit dem er eine erschreckende Führungsschwäche an den Tag legte, was einem Versagen in der Krise gleichkommt. Das Parlament hat ihm nun die Entscheidung abgenommen – und Verantwortung übernommen. Die Geschlossenheit der Regierungsfraktionen und der Union als größter Oppositionskraft ist deshalb ein wichtiges Signal an Kiew, die Nato-Bündnispartner und an die internationale Gemeinschaft, dass Deutschland seinen maximalen Beitrag zur Verteidigung der Souveränität der Ukraine, der westlichen Werte und der Stabilität der Ordnung leistet. Scholz war derweil abwesend, wegen seines Staatsbesuchs in Japan – auch das ist von symbolischer Aussagekraft. Der Kanzler, der in Zeiten, die auch einer existenziellen Bewährungsprobe für Europa gleichkommen, bei einer Entscheidung von historischem Gewicht nicht im Bundestag ist, ist spätestens jetzt ein inexistenter Kanzler."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
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"Rhein-Neckar-Zeitung": "Putins Vertrauter Medwedew, mit dem er sich im Amt des Präsidenten und Ministerpräsidenten abwechselte, orakelt bereits angesichts deutscher Waffenlieferungen, es werde traurig enden. Die Ukraine wiederum will russische Gräueltaten mit Angriffen auf Russland vergelten. Mit deutschen Waffen? Der Beschluss, Panzer und anderes schweres Gerät zu liefern, ist der riskanteste, den Deutschland bisher traf. Er geht völlig am Nerv der Bevölkerung vorbei. Die oberflächliche Debatte dazu erst recht. Der Beschluss ist in seinen möglichen Konsequenzen nicht richtig durchdacht. Kein Wunder, dass Scholz lieber weit weg flog. Obwohl es doch seine Aufgabe ist, Schaden vom deutschen Volk fernzuhalten."

"Badische Zeitung": "Den Vorwurf unterlassener Hilfeleistung ist die Berliner Politik mit den Entscheidungen dieser Woche los. Nun rückt die Frage in den Vordergrund, ob diese doch zu weit gehen, weil Russland in Panzern aus Deutschland und anderen Staaten des westlichen Bündnisses eine Nato-Beteiligung sehen könnte. Die AfD und die Linke jedenfalls sehen das so. Und es ist tatsächlich keine Lappalie, wenn der Außenminister einer Atommacht die Gefahr eines Dritten Weltkriegs real nennt – so wie das Sergej Lawrow diese Woche getan hat. Auch die Bundesregierung muss einräumen, dass Deutschland ein Risiko eingeht, weil Moskaus Handlungen unkalkulierbar geworden sind. Daher ist es gut, dass SPD, Grüne, FDP sowie CDU und CSU in ihrem Bundestagsbeschluss auch das Bemühen um eine Waffenruhe thematisieren."
"Leipziger Volkszeitung": "Nun haben sie sich doch zusammengetan: Koalition und Union stimmten im Bundestag gemeinsam für umfassende Hilfen an die Ukraine, Lieferung schwerer Waffen inklusive. Dass eine Regierung schlecht kommuniziert, kann man ihr zum Vorwurf machen, nicht aber, dass sie bei schwerwiegenden Entscheidungen abwägt. Und wenn der Gegner Atomwaffen besitzt und sich schon bisher wenig um Regeln geschert hat, ist schwerwiegend fast eine Untertreibung. Andere Nationen haben ihr schweres Gerät bereits früher angekündigt, ein Haken kam erst bei der Militärhilfekonferenz in Ramstein unter die meisten Angebote."
"Reutlinger General-Anzeiger": "Scholz hätte seine Japan-Reise verschieben und die Debatte nutzen können, nein müssen, um sein Handeln zu erklären, das von weitaus mehr als nur der Opposition als Zögern und Zaudern empfunden wird. Denn schließlich war wochenlang die Gefahr eines dritten Weltkriegs als Grund für die Zurückhaltung bei Waffenlieferungen genannt worden. Nun plötzlich werden doch Panzer in die Ukraine geliefert – obwohl sich an der grundsätzlichen Lage nichts geändert hat."
"Pforzheimer Zeitung": "Erst Zeitenwende, dann Kehrtwende. Der russische Angriff auf die Ukraine hat die Welt verändert. Und er hat die Politik dieser Bundesregierung verändert. Gerade vier Monate im Amt, sieht sich die Ampel mit einer schweren Herausforderung konfrontiert, die sie dazu zwingt, mit dem jahrzehntelangen Prinzip zu brechen, keine Waffen aus Deutschland in Kriegsgebiete zu liefern. Grüne wie FDP treiben dabei die SPD. Auch dies eine Zeitenwende. Welcher Grünen-Parteitag hätte noch vor zehn Jahren Rückendeckung für diese Politik gegeben? International ist es bestenfalls eine Randnotiz, aber für die deutsche Innenpolitik ist es doch von symbolischer Bedeutung, dass bei der Abstimmung im Bundestag über die Waffenlieferung an die Ukraine Ampel und Union einem gemeinsamen Antrag zugestimmt haben."
"Rhein-Zeitung": "International ist es bestenfalls eine Randnotiz, aber für die deutsche Innenpolitik ist es doch von symbolischer Bedeutung, dass bei der Abstimmung im Bundestag über die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine die Ampelfraktion und die Union einem gemeinsamen Antrag zugestimmt haben. Es ist das Votum einer sehr Großen Koalition, ein Statement nationaler Geschlossenheit, bei dem sich Unionsfraktionschef Friedrich Merz dann leider doch dazu hinreißen ließ, die parteipolitische Keule auszupacken. Unnötig und unangemessen – an diesem Tag bei diesem Thema. Merz sollte auch nicht taktisch wählen lassen, wenn es um die Zweidrittelmehrheit im Bundestag geht, um das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr durchzubringen."