Schwul, evangelisch und Sozialdemokrat Michael Adam, Bayerns Politwunder

  • von Malte Arnsperger
Sie nennen ihn den "Wald-Wowi": Michael Adam, SPD, hat sein Amt als jüngster Landrat Deutschlands angetreten. Das Porträt einer unmöglichen Karriere.

Schwul, evangelisch, Sozialdemokrat, Anfang 20. Die besten Voraussetzungen, um in Berlin-Friedrichshain in die Bezirksversammlung gewählt zu werden. Oder in ein Studentenparlament in Köln. Aber so einer bekommt doch im bayerischen Wald, im erzkonservativen, katholisch-ländlich geprägten Süden, keine Stimme. Dachte wohl jeder. Bis vor ein paar Jahren ein gewisser Michael Adam die politische Bühne betrat und 2008 im Örtchen Bodenmais jüngster hauptamtlicher Bürgermeister Deutschlands wurde. An diesem Donnerstag hat er nun im Landkreis Regen sein Amt als jüngster Landrat der Republik angetreten. Klingt wie eine Fabel.

Wer ist dieser Mann, der scheinbar jedes politische Naturgesetz außer Kraft setzen kann? Nach seiner Wahl zum Landrat am 27. November vermittelte Michael Adam einen Eindruck davon, warum er trotz - oder gerade wegen - seiner persönlichen Lebensumstände gewählt wurde. Da trat er also bei der Wahlparty vor seine Anhänger, ein Mann mit Milchbubi-Gesicht und modisch-kurzen Haaren. Er schwadronierte nicht groß über politische Hintergründe der Entscheidung, sondern dankte seinen Eltern und seinem Lebensgefährten, die im Publikum saßen. Tief gerührt, mit Tränen in den Augen, sagte er Sätze wie: "I woiß, wie es ist, wenn dahoam die Dinge knapp sind" oder "Du hast es net leicht mit mir und es ist net leicht, daneben zum stehen und net den Glanz der First-Lady zu hoam." Ehrlich, bodenständig, volksnah. Das sind die Attribute, die dem neuen SPD-Star zugeschrieben werden.

Ein Deal mit Küblböck

Der rasante Aufstieg des Michael Adam, Sohn eines Schweißers und einer Arzthelferin, beginnt 2005, als er, damals noch an der Uni, der SPD beitritt. Es sei der Frust über die Bildungspolitik gewesen, die es Arbeiterkinder wie ihm schwer mache, zu studieren, sagt er über seine Beweggründe. Adam will es besser machen und schon 2008 bekommt er die Gelegenheit, sein Können zu zeigen. Sensationell wirft er den amtierenden CSU-Bürgermeister des Ferienörtchens Bodenmais aus dem Rathaus. Schon wenig später erlebt der lokale Tourismus einen Aufschung. Denn Adam bedient sich auch ungewöhnlicher Maßnahmen und engagiert den schwulen niederbayerischen Blödel-Sänger Daniel Küblböck als Werbefigur. Die Bürger sind zufrieden mit ihrem neuen Gemeindeoberhaupt, und Adam staunt noch über seinen Erfolg: "Ich bin alles, was man in Bodenmais nicht sein darf - jung, evangelisch und offen schwul."

Und ehrgeizig. 2009 verliert er als Bundestagskandidat gegen den CSU-Mann Ernst Hinsken, aber zwei Jahre später eröffnet sich eine neue Karrierechance. Der Landrat von Regen, ein Christsozialer, begeht Selbstmord, er hatte offenbar Spielschulden, noch immer laufen Ermittlungen wegen Korruption. Eine Neuwahl wird nötig. Adam stürzt sich in den Wahlkampf. Er fährt in einem beklebten Smart übers Land, organisiert Kinoabende und Konzerte für Senioren. Die "Süddeutsche Zeitung" kommentiert: "Wer sein Milchbuben-Gesicht kennt, der traut es ihm nicht zu, aber Adam kann mit jungen Leuten in der Disco genauso umgehen wie mit Senioren."

Ein Hinweis auf die Landtagswahl?

Die CSU erkennt die Gefahr, bangt um ihre Vormachtstellung, attackiert Adam, auch mit schmutzigen Mitteln. Die CSU-Bezirksgeschäftsstelle verschickt eine Mail, in der sie aus einem Leserbrief zitierte: "Mit Adam schaffen wir es, dass aus dem Ruf des hinterwäldlerischen Bayerwaldes ein Paradies für Sex, Drugs & Rock'n'Roll wird." Aber letztlich schafft es aber auch die aus München und Berlin eingeflogene CSU-Prominenz nicht, den Jung-Politiker aufzuhalten.

Adam gewinnt, und die CSU versuchte sofort, die Niederlage herunterzuspielen. Es sei eine "singuläre Wahl unter singulären Vorzeichen und mit einer singulären Vorgeschichte" heißt es. CSU-Niederbayernchef Manfred Weber sagte, das habe "keine Signalwirkung". Adams ehemaliger Bundestagskonkurrent Ernst Hinsken weist im Gespräch mit stern.de immer wieder darauf hin, dass der unterlegene CSU-Kandidaten der bessere Mann gewesen sei. Die Schuld für die Niederlage bei der Parteispitze zu suchen oder darin gar einen Fingerzeig für die Landtagswahl 2013 zu erkennen, "ist viel zu weit hergeholt und zu kurz gegriffen".

Seehofer in der Krise

Gleichwohl passt die Wahl in Regen zur aktuellen Situation der CSU. Die Kritik an Ministerpräsident Horst Seehofer wird immer lauter, auch, weil er mit dem Münchner SPD-Oberbürgermeister Christian Ude erstmals einen sehr ernstzunehmenden Konkurrenten bei der kommenden Landtagswahl hat. Und dann ist da noch der Streit um Karl-Theodor zu Guttenberg, der mit seinem Comeback-Versuch Partei und Landsleute entzweit.

Kein Wunder, dass die SPD Morgenluft wittert. "Die Wahl ist eine Sensation und zeigt, dass es keine Erbhöfe mehr für die CSU gibt. Es gibt eine Machtperspektive für die Opposition in Bayern", frohlockt Bayerns SPD-Chef Florian Pronold im Gespräch mit stern.de. "Die Wahl von Michael Adam wird sich zwar nicht eins zu eins auf das Land übertragen lassen, denn es war eine Persönlichkeitswahl. Aber die Verhältnisse sind im Wandel und die Leute schauen genauer hin, was jemand kann." Ähnlich äußerte sich auch Adam nach seiner Wahl in einem Radio-Interview: "Es kann schon ein Aufbruchsignal für die SPD sein. Ich glaube nicht, dass Bayern jetzt per se rot geworden ist. Aber die klassischen Wählerpräferenzen brechen auf."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wähler und Homosexualität

Pronold sieht zwei wesentliche Gründe für Adams Erfolg. Zum einen habe der junge Politiker als Bürgermeister Leistung gezeigt, außerdem sei er - auch dank seiner vielen Vereinszugehörigkeiten - im Ort gut vernetzt. Adams Homosexualität sei auch im bayerischen Wald kein Nachteil, sagt Pronold. "Den Niederbayern wir immer unterstellt, sie seien engstirnig. Das stimmt nicht. Wir sind offen aber bodenständig. Und die Wahl zeigt doch, dass die sexuelle Orientierung eines Kandidaten keine Grundlage für Wählerentscheidungen ist."

Diese These greift vermutlich zu kurz, denn Adams Homosexualität war vielleicht kein Grund, der SPD die Stimme zu verweigern - wohl aber, die CSU abzustrafen. "Die Wahl von Adam ist ein Warnschuss und ein deutlicher Hinweis an die CSU was ihre Blockadepolitik gegenüber Lesben und Schwule angeht", sagt Axel Hochrein, Vorstand des Homosexuellen-Verbands LSVD, zu stern.de. "Wer diskriminiert, kann offensichtlich keine Wahlen mehr gewinnen." Genüsslich attackiert der Hochrein CSU-Chef Seehofer, der vor einigen Jahren mit einem Ehebruch Schlagzeilen machte. "Die Leute wollen ehrliche Politiker. Das ist ihnen lieber als ein Ministerpräsident, der bestimmte Werte propagiert, sie aber selber nicht lebt." Selbst die eher konservative "Frankfurter Allgemeine Zeitung" konstatiert: "Auch in den ländlichen Regionen Bayerns sind die Wähler mittlerweile beweglich - Regen ist da, auch wenn es die CSU gerne so hätte, kein Einzelfall." Und die Münchner "Abendzeitung" kommentiert: "Das ist das neue Bayern."

Der "Wald-Wowi"

Michael Adam wird nun bereits mit dem Berliner Rathaus-Chef Klaus Wowereit verglichen, Prototyp des homosexuellen Spitzenpolitikers. Der "Wowereit von Niederbayern" wird er genannt, oder einfach "Wald-Wowi". Adam selbst hält den Ball lieber flach. "Es hat sich etwas an der Einstellung der Bürger geändert", sagt er. "Da ist eine neue Bereitschaft, sich unvoreingenommen Konzepte anzuhören und Personen anzugucken."

Das gilt auch für das Regener Landratsamt. Die Sekretärin jedenfalls freut sich auf den Neuen. "Es gibt schon viele Termine für ihn", sagt sie. "Es ist doch einiges liegengeblieben."

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