Die erste Überraschung auf dem SPD-Parteitag heißt Serpil Midyatli. Um eine Kampfabstimmung zwischen Bundesarbeitsminister Hubertus Heil und Juso-Chef Kevin Kühnert zu verhindern, ist die Parteispitze von ihrem Plan abgerückt, die Zahl der Stellvertreter auf drei zu begrenzen. Midyatlis zusätzliche Kandidatur kam für viele Beobachter unerwartet. Nach einer überzeugenden Rede erzielte dann aber ausgerechnet die Überraschungskandidatin das beste Ergebnis: 79,8 Prozent der Delegiertenstimmen vielen auf die Kielerin.
Serpil Midyatli überzeugt mit ihrer Rede
Zuvor hatte die eigentlich GroKo-kritische Midyatli für eine weitere Regierungsbeteiligung der Sozialdemokraten geworben. Deutschland gehe es dann besser. Zugleich betonte sie: "Deutschland geht es am besten, wenn die SPD diese Regierung führt." Dazu wolle sie ihren Beitrag leisten und frischen Wind an die Spitze der Partei bringen.
Aber wer ist die Frau aus dem Norden?
Die 44-Jährige ist erst seit Ende März Landesvorsitzende der SPD in Schleswig-Holstein, wo Ralf Stegner nach rund zwölf Jahren das Amt abgegeben hatte. Für viele Sozialdemokraten im Norden war der Wechsel ein Coup, hatte Midyatli ihre Kandidatur doch vor dem Rückzug von Stegner bekanntgegeben und diesen damit deutlich unter Zugzwang gesetzt.
Seit 2000 in der SPD, seit 2017 im Bundesvorstand
Serpil Midyatli, nach eigenen Angaben seit dem Jahr 2000 SPD-Mitglied, verheiratet und Mutter zweier Kinder ist seit 2007 im Landesvorstand der schleswig-holsteinischen SPD aktiv und sitzt seit 2009 im Kieler Landtag. 2010 übernahm sie dort den stellvertretenden Fraktionsvorsitz.
Midyatli, 1975 als Tochter türkischer Einwanderer in Kiel geboren, ist ihrer nordischen Heimat treu geblieben. Heute lebt sie mit Familie in Gettorf, etwa auf halber Strecke zwischen Kiel und Eckernförde. Sie ist muslimischen Glaubens und Vizepräsidentin des Heimatbundes Schleswig-Holstein. Ihr Werdegang liest sich so, als hätte sie Integration nie nötig gehabt, schreibt die "Süddeutsche Zeitung" in einem Porträt. Ihr Temperament allerdings habe wenig mit der Kühle des Nordens zu tun. Im Landtag von Schleswig-Holstein hat die stellvertretende Fraktionsvorsitzende schon den einen oder anderen Ordnungsruf kassiert. Ihr Parteigenosse und Mitparlamentarier Kai Dolgner sagte gegenüber "sz.de": "Sie kann auch explodieren."
Restaurantleiterin, Betreiberin einer Konzerthalle, Catering-Chefin
Bevor sie Berufspolitikerin wurde übernahm sie mit 18 die Leitung eines Restaurants ihrer Eltern - "mit einem Saal für 450 Gäste", wie Midyatli in ihrem eigenen Lebenslauf betont. Später betrieb sie gemeinsam mit ihrem Mann eine Konzerthalle und einen Catering-Service.
Im Landtag ist Midyatli zuständig für die Themen Kita, Integration, Gleichstellung und sexuelle Vielfalt. Ihr Herzensprojekt: Die flächendeckende Abschaffung der Kita-Gebühren.
Großartig aufgefallen ist die Frau aus dem Norden auf der bundespolitischen Bühne bisher nicht, auch wenn sie bereits seit 2017 Mitglied im Parteivorstand ist. Dort hatte sie sich allerdings vor einem Jahr früh dafür eingesetzt, dass der damals geschasste Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen nicht zum Staatssekretär ernannt wird. "Für mich ist das Ende der Fahnenstange erreicht", sagte Midyatli im September 2018 der Nachrichtenagentur Reuters. “Ich werde im Parteivorstand der SPD dafür kämpfen, dass Maaßen keinerlei Verantwortung mehr trägt. Mit allen Konsequenzen.”
Unbequeme Dinge aussprechen, davor scheut sich Midyatli offensichtlich nicht, ebenso wenig davor, an mehreren Stellen Verantwortung in der Partei zu übernehmen. Bekannt war bisher, dass sie der Großen Koalition kritisch gegenübersteht und das neue Vorsitzenden-Duo aus Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken früh unterstützt hat. Begleiter beschreiben sie als vertrauensvoll, authentisch, mutig. "Frauen können mehrere Bälle gleichzeitig in der Luft halten", sagte sie laut "sz.de" schon 2009 als Landtags-Debütantin nach einem Wahlkampf, den sie kurz nach ihrer zweiten Schwangerschaft bestritten hatte.
Hinweis: Dieser Artikel wurde erstmals am Mittag des Parteifreitages veröffentlicht, als die Kandidatur Midyatlis bekannt wurde. Wir haben den Artikel nach der Wahl aktualisiert.
Quellen: Homepage Serpil Midyatli, "sueddeutsche.de", Nachrichtenagentur Reuters