Soziales Regierung bei Reformen unter Druck

Die Bundesregierung gerät mit ihrem Reformpaket immer mehr in Bedrängnis. Zugleich sinken die Chancen, die Sozialbeiträge schon im nächsten Jahr auf unter 40 Prozent zu drücken.

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) warnte am Freitag in Berlin davor, sein Reformprogramm zu zerreden. "Wir müssen aufpassen, dass wir ein vernünftiges Programm wie die Agenda 2010, die für die einen zu weit und für die anderen nicht weit genug geht, nicht zerreden und am Ende gar nichts passiert." In einem Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk und dem Nachrichtensender Phoenix zeigte sich Schröder davon überzeugt, dass es für die Vorschläge der Regierung eine breite Mehrheit in der SPD gibt.

Widerstände bei Basis der Grünen

Ungeachtet wachsender Widerstände, die sich jetzt auch an der Grünen Basis formierten, zeigte sich auch SPD-Generalsekretär Olaf Scholz im Inforadio Berlin-Brandenburg zuversichtlich, dass man Skeptiker in der Fraktion noch überzeugen werde. SPD-Sozialpolitiker Ottmar Schreiner berichtete indes von "sehr viel Unzufriedenheit und Unsicherheit". Der SPD-Abgeordnete Rüdiger Veit sprach in der Berliner Zeitung «Der Tagesspiegel» (Samstag) von "mehr als zwei Dutzend Abgeordneten", für die die zentralen Reformvorhaben nicht vertretbar seien. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering rechnete im «Mannheimer Morgen» (Freitag) gleichwohl mit einer klaren Fraktions-Mehrheit für das Reformpaket.

"Die sind richtig sauer"

DGB-Chef Michael Sommer erwartet hingegen keine Mehrheit für das Paket und kündigte weitere Aktionen dagegen an. Dem Nachrichtensender N24 sagte er: "Ich bin dabei, die Leute vor Ort zu mobilisieren, die haben so einen Hals, die sind richtig sauer." Gegen Schröders Reformpläne haben sich auch die CDU-Arbeitnehmer in Stellung gebracht. "Mit allen Mitteln" wolle die CDU verhindern, dass ältere Arbeitslose in Zukunft nur noch maximal 18 Monate Arbeitslosengeld beziehen können, sagte Karl-Josef Laumann, dem «Tagesspiegel» (Samstag).

Senkung immer unwahrscheinlicher

Die von der rot-grünen Koalition angestrebte deutliche Senkung der Sozialbeiträge schon im nächsten Jahr wird immer unwahrscheinlicher. Die Entlastung der Arbeitslosenversicherung durch kürzere Bezugsdauer von Arbeitslosengeld kann wegen Verfassungsvorgaben 2004 noch nicht in nennenswertem Umfang wirksam werden. Bei der Reform werde es eine Übergangsfrist von etwa zwei Jahren geben, um von der Verfassung geschützte Eigentumsrechte der Versicherten nicht zu verletzen, wurde am Freitag bekannt. Die Kürzung der Bezugsdauer von bisher höchstens 32 Monaten auf 12 Monate und 18 Monate für über 55-Jährige werde zum 1. Januar 2004 darum nur für diejenigen gelten, die noch nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben.

Keine Zahlen, keine Zeiträume

Die Bundesregierung wollte sich nicht auf einen festen Zeitplan für die Senkung der Sozialbeiträge festlegen. Regierungssprecher Bela Anda bekräftigte zwar am Freitag, Rot-Grün wolle die Beiträge senken. Zahlen und Zeiträume nannte er aber nicht. Unterdessen drohen bei Renten und Krankenversicherung ein weiterer Anstieg der Beiträge.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Mehrheit glaubt nicht an Schröder

Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Befragten trauen Schröder laut ZDF-Politbarometer weiterhin nicht zu, die von ihm angekündigten Reformen umzusetzen. Vor seiner Regierungserklärung Mitte März waren es allerdings noch 64 Prozent. Nach einer Umfrage des Möllner Meinungsforschungsinstituts Inra für die «Financial Times Deutschland» (Freitag) sind 69 Prozent gegen die Pläne zur Reform der Krankenversicherung, 56 Prozent sind unzufrieden mit den Ideen zum Arbeitsmarkt und 54 Prozent mit den Plänen zur Rentenversicherung.

Einschnitte bei der Rente

Bei der geplanten Gesundheitsreform drückt Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) jetzt aufs Tempo. Die verschiedenen Teile der Reform sollen noch im April zusammengefügt werden, kündigte sie am Freitag an. Spätestens Anfang Mai will sie den Gesetzentwurf vorlegen und "so rasch es geht" in den Bundestag bringen. CDU-Chefin Angela Merkel plädierte in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» (Freitag) dafür, Kinderlosen weniger Rente zu zahlen. Das Sozialministerium lehnte den Vorstoß umgehend ab. Auch die Regierung plant weitere Einschnitte bei der Rente. Einzelheiten hat die Koalition dazu aber noch nicht vorgelegt.