SPD-Schicksalsjahr Simonis-Debakel war der Anfang vom Ende

2005 war für die SPD ein Schicksalsjahr. Erst die Stimmenthaltung bei der Ministerpräsidentenwahl in Schleswig-Holstein, dann die Auflösung des Bundestages und Neuwahlen - am Ende hatte die Partei nur verloren.

"Für die Abgeordnete Simonis haben gestimmt: 34..." - vier Mal verkündete Schleswig-Holsteins Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU) am 17. März das für die SPD unheilvolle Ergebnis. Es bedeutete nicht nur den Sturz der an einer Stimmenthaltung gescheiterten Ministerpräsidentin Heide Simonis in Kiel, sondern den Anfang vom Ende für Rot-Grün im Norden, zwei Monate später in Nordrhein-Westfalen und in ganz Deutschland mit der Bundestagswahl vom 18. September.

Fasziniert sahen Millionen im Fernsehen, wie die seit 1993 amtierende Regierungschefin von einem bis heute unerkannten Abweichler gedemütigt wurde. Damit platzte das Experiment einer rot-grünen Minderheitsregierung, die der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) unterstützen wollte.

"Tragweite nicht sofort erkannt"

Die beispiellose Niederlagenserie von Simonis stellte am 17. März alles in den Schatten, sogar den als Top-Thema avisierten Job-Gipfel in Berlin. Inzwischen hat die in Land und Bund in große Koalitionen gerettete SPD ihre Vorleute Simonis und Gerhard Schröder verloren, nach turbulenten Monaten aber mit dem erzwungenen Wechsel im Parteivorsitz von Franz Müntefering auf Matthias Platzeck ihre Führungskrise zügig bewältigt.

"Die ganze Tragweite haben wir nicht sofort erkannt: Dass es zur Auflösung des Bundestages und Neuwahlen kommt, konnten wir nicht wissen", sagt Simonis nach neun Monaten. "Dass es Auswirkungen auf NRW haben würde, war aber klar." Den 17. März (Kayenburg: "Bei aller politischen Auseinandersetzung - so behandelt zu werden, hat kein Mensch verdient, zumal das Abstrafen aus dem eigenen Lager kam.") wird Simonis nie vergessen. Sie vermittelt aber den Eindruck, dass sie ihr Debakel zunehmend besser verkraftet hat. Im Januar übernimmt die 62-Jährige den Deutschland-Vorsitz des Kinderhilfswerks Unicef.

"Wahl in NRW war keine Überraschung"

Zum Zustand ihrer Bundespartei ist Simonis - als "Häuptling flinke Zunge" gekürt - noch zurückhaltend: "In den ersten 100 Tagen sollte man nicht gleich wieder losmeckern." Es komme darauf an, wie die SPD offen gelassene "weiße Flecken" in Finanz-, Gesundheits-, Renten- oder Arbeitsmarktpolitik ausfüllen könne. "In einer großen Koalition muss man aufpassen, dass die eigenen Vorstellungen nicht untergehen."

Für Meinungsforscher Richard Hilmer zeigte Schleswig-Holstein, dass der Aufschwung nicht kam, den die SPD für NRW und Bund brauchte - denn im Norden war die Ausgangslage ganz gut. Sie hätte noch besser sein können, wäre die Stimmung nicht kurz vor der Wahl am 20. Februar gekippt: 5 Millionen Arbeitslose, Visa-Affäre des Außenministeriums und ein Sieg im TV-Duell - CDU-Spitzenkandidat Peter Harry Carstensen konnte das Ruder zum knappen Sieg herumreißen. Der SPD blieb der bittere Trost, für die Partei (38,7 Prozent) das beste Ergebnis seit 2002 - außer Bremen - geholt zu haben. Doch am Ende wurde sie nur Juniorpartner in der großen Koalition. "Insofern war die Wahl in NRW keine Überraschung mehr", sagt Infratest-dimap-Geschäftsführer Hilmer. "Schröder und Franz Müntefering konnten sich so auf dieses Szenario einrichten."

Der damalige Parteichef hatte in den Kieler Krisenstunden engen Kontakt zum Landesvorsitzenden Claus Möller: "Die Bundes-SPD zeigte ganz hohes Interesse, dass das positiv ausgeht", sagt Möller. Als es schief ging, wurde die große Koalition angesteuert. Die SPD sollte nicht "voll ins B-Lager gehen" - auch als Signal für NRW. "Auslöser für die Bundestagsneuwahl war aber NRW, der 17. März war ein Mosaikstein." Möllers Gesamtfazit: "Am Ende des Jahres steht die SPD nicht schlecht da."

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Wolfgang Schmidt/DPA