Hiobsbotschaften über dramatische Steuerausfälle und erwartete Haushaltslücken auch im Jahr 2003 werden die rot- grünen Regierungsverhandlungen erschweren. Wie dpa am Donnerstag aus der Koalition erfuhr, lässt Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) jetzt prüfen, in welchem Umfang ein Sparpaket aufgelegt wird. Alternativen sind nach dpa-Informationen jetzt auch höhere Erbschaftsteuern und die Einführung einer Mindestbesteuerung bei der Körperschaftsteuer. Damit sollen zweistellige Milliardenlücken durch Steuerausfälle und erhöhte Arbeitsmarktausgaben aufgefangen werden. Beim Abendessen mit den Ministerpräsidenten der SPD-regierten Länder wollte Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) die Alternativen bereden.
»Fast drei Viertel des Literpreises für Benzin ist mit Steuer belastet«
Koalitionsintern begann ein Streit über die Ökosteuer. Die vom Grünen-Umweltsprecher Reinhard Loske verlangte Erhöhung wurde von SPD-Fraktionschef Franz Müntefering abgelehnt. Der Autofahrerclub ADAC zeigte sich zuversichtlich, dass Müntefering Recht behält. »Bundeskanzler (Gerhard) Schröder (SPD) hat uns ausdrücklich versichert, dass es über 2003 hinaus keine weitere Anhebung der Ökosteuer geben wird«, sagte Verbandspräsident Peter Meyer in München. »Damit steht er gegenüber den Autofahrern im Wort.« Nach vier Stufen der Ökosteuer sei derzeit der Liter Benzin mit 77 Cent, also fast drei Viertel des Gesamtpreises, mit Steuern belastet.
Haushaltslücke von etwa zehn Milliarden Euro
Fast unverändert belastet die Konjunkturflaute die öffentlichen Haushalte. Wie das Bundesfinanzministerium in seinem Monatsbericht meldete, gingen die Steuereinnahmen in den ersten acht Monaten im Vergleich zum Vorjahr um 3,9 Prozent auf 253,5 Milliarden Euro zurück. Der Bund allein muss ein Minus von 4,7 Prozent auf 113,8 Milliarden hinnehmen. Experten gehen davon aus, dass der in den Etats angenommene Steuerzuwachs von 2,1 Prozent auf 426,2 Milliarden Euro für das Gesamtjahr klar verfehlt wird. Für die Länder stellte das Ministerium einen Rückgang um 3,1 Prozent auf 112,2 Milliarden fest. Bis zur Jahresmitte hatten die öffentlichen Haushalte einen Schuldenberg von 1,2 Billionen Euro aufgetürmt, wie das Statistische Bundesamt mitteilte. Das waren 4,7 Prozent mehr als vor einem Jahr. Einschließlich Sozialversicherung meldete es ein Defizit von fast 58 Milliarden Euro - gut ein Drittel mehr als vor einem Jahr. In der Koalition wird nicht ausgeschlossen, dass sich allein für den Bund in diesem Jahr eine Haushaltslücke von etwa zehn Milliarden Euro auftun könnte. Eine ähnliche Summe müsse möglicherweise zusätzlich zum jetzt überarbeitenden Haushaltsentwurf 2003 aufgefangen werden. Durch Haushaltseinschnitte und höhere Steuern soll das Staatsdefizit bis auf Null im Jahr 2006 abgebaut werden.
Defizitquote erst nach der Wahl nach Brüssel gemeldet
Angesichts dieser Entwicklung schlugen Länder und Gemeinden Alarm. Bayerns Staatskanzleichef Erwin Huber (CSU) forderte Eichel auf, schnell eine Sondersitzung des Finanzplanungsrats einzuberufen, um die Konsequenzen für den Sparkurs zu diskutieren. Dabei hielt er dem Minister »massive Täuschungsmanöver« vor, weil er die von 2,5 auf 2,9 Prozent erhöhte Defizitquote erst nach der Wahl nach Brüssel gemeldet habe. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund forderte den Bund auf, ein Investitionsprogramm für die kommunale Infrastruktur aufzulegen.
Über die Ökosteuer will die Koalition jetzt erst in der übernächsten Woche verhandeln. An diesem Montag geht es zunächst um den finanziellen Spielraum, für Dienstag ist eine »Generalrunde« geplant, für Mittwoch stehen die Themen Kinder,- Familien- und Bildungspolitik auf der Tagesordnung. Müntefering hatte die Ökosteuer in der ARD »ganz sicher« ausgeschlossen. Dagegen hatte Loske erneut die Anhebung der Ökosteuer mit dem Ziel gefordert, die Lohnnebenkosten senken zu können. Das Bahnfahren will er durch die Halbierung des Mehrwertsteuersatzes auf Fahrkarten verbilligen. Dies hat das Finanzministerium unter Hinweis auf EU-Recht bisher abgelehnt. Scharf gegen eine Ökosteuererhöhung wandten sich unter anderem die Opposition und der Handel.