Nach Äußerung zu Kinderimpfung Scharfe Kritik an Stiko-Chef: Politiker stellen Glaubwürdigkeit der Kommission infrage

Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission
Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO)
© Bernd von Jutrczenka / DPA
Der Druck auf Stiko-Chef Thomas Mertens wächst. Nachdem er erklärt hat, seine eigenen Kinder nicht impfen zu lassen, äußern immer mehr Politiker Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Impfkommission.

Es sieht momentan nicht gut aus für Thomas Mertens, dem Chef der Ständigen Impfkommission (Stiko). In den letzten Wochen hatte die Kritik an den langwierigen Empfehlungen und der teils chaotischen Kommunikation der Stiko stark zugenommen. Am Donnerstag räumte Mertens erstmals öffentlich Fehler seiner Kommission ein. Einzelne Entscheidungen wie die Booster-Empfehlung seien "aus der heutigen Perspektive" zu spät erfolgt, gab er in der ARD-Sendung "Panorama" zu.

Nun sorgt ein Ausschnitt über Corona-Impfungen für Kinder aus einem Podcast der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" für neue Empörung. Mertens wurde in dem Gespräch gefragt: "Wenn Sie ein sieben-, achtjähriges Kind hätten, würden Sie das impfen lassen?" Seine Antwort lautete: "Also, ich würde es wahrscheinlich jetzt nicht impfen lassen." Zuvor hatte der Stiko-Chef angekündigt, eine Impfempfehlung für Kinder unter zwölf Jahren bis um den 11. Dezember zu veröffentlichen. Die Reaktionen aus der Politik ließen nicht lange auf sich warten.

Scharfe Kritik aus der Politik

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), ein erklärter Befürworter von Kinderimpfungen, fand für Mertens deutliche Worte. "Etwas seltsam finden wir die Einlassungen des Stiko-Chefs", sagte Söder am Freitag. "Es ist seine persönliche Entscheidung natürlich, wie er es mit seinem Kind hält, aber es führt natürlich zu einer tiefen Frage der Befangenheit, wenn der Stiko-Chef, bevor eine offizielle Empfehlung der Stiko kommt, quasi es selbst verkündet oder in einem Podcast." Das schwäche insgesamt die Empfehlungskapazität und -glaubwürdigkeit der Stiko enorm, so der CSU-Chef.

Auch Manuela Schwesig, SPD-Ministerpräsidentin aus Mecklenburg-Vorpommern, kritisierte, dass schon die Stiko-Empfehlung für Booster-Impfungen viel zu spät gekommen sei. Sie hoffe, dass Mertens daraus Schlussfolgerungen für künftige Empfehlungen ziehen werde, sagte Schwesig dem "Spiegel".

NRW-Familienminister Joachim Stamp (FDP) ging am Sonntag sogar noch einen Schritt weiter. "Ich bin mir auch nicht sicher, ob man in einer Pandemie mit der Stiko, so wie sie aufgestellt ist, dauerhaft arbeiten kann", erklärte der FDP-Politiker in der WDR-Sendung "Westpol". In Nicht-Corona-Zeiten sei die Stiko ein "hochangesehenes und wirklich großartiges Gremium". Aber jetzt, wo es um die Abwägung von Risiken, Ansteckungsverhalten und Zumutungen für Kindern gehe, brauche man mehr Beweglichkeit, forderte Stamp.

Stiko klagt über Personalmangel

Doch Stiko-Chef Mertens weist die Kritik zurück. Entscheidungen bräuchten Zeit, sagt er im FAZ-Podcast, und eine fundierte wissenschaftliche Basis. "Die wechselnden Stimmungen in der Öffentlichkeit und auch bei den Politikern können ja nicht das Maß für eine Stiko-Entscheidung sein", verteidigt Mertens die Arbeit seiner Kommission. Die Stiko entscheidet in einer unabhängigen Runde aus zwölf bis 18 ehrenamtlichen Experten, unterstützt von einer Geschäftsstelle im Robert Koch-Institut.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Nach fast zwei Jahren Corona-Pandemie zeige sich da auch eine gewisse Erschöpfung, sagt Stiko-Mitglied Martin Terhardt im "Deutschlandfunk": "Wir sind in der Stiko mit allen Aufgaben zur Covid-Impfung wirklich ausgelastet und am Rande der Möglichkeiten, was die Ressourcen hergeben. Wir würden gerne oft schneller sein, aber das liegt daran, dass wir nicht genügend Ressourcen an der Geschäftsstelle im Robert Koch-Institut haben." Die sei personell in der jetzigen Situation völlig überfordert, erklärt Terhardt: "Da arbeiten alle völlig an ihrem körperlichen Limit."

Auch der Chef der Stiko fühlt sich von der Politik im Stich gelassen. "In der Situation einer Pandemie hätte man eine bessere Personalausstattung sicher gut gebrauchen können", sagte Mertens in der Panorama-Sendung. Eine bessere Aufstellung bei Epidemiologen und Modellierern, wäre hilfreich gewesen.

Quellen: "FAZ", MDR, "Spiegel", "Westpol", "Deutschlandfunk", mit DPA

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