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Türkei-Wahlen Warum so viele Deutsch-Türken so große Erdogan-Fans sind

Wahl Türkei Hamburg
Feiernde Erdogan-Anhänger in Hamburg-Wilhelmsburg
© Kay Nietfeld / DPA
Wenn sich der neue und alte Präsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan auf etwas verlassen kann, dann auf seine riesige Basis in Deutschland. Ob Berlin oder Duisburg - überall wird sein Sieg gefeiert. Ein Rundgang in der Hauptstadt.

Auf dem Berliner Kurfürstendamm feiern Anhänger von Recep Tayyip Erdogan den Wahlsieg des türkischen Präsidenten. Sie schwenken türkische Fahnen und Banner der siegreichen Regierungspartei AKP. Währenddessen verfolgen Anhänger der größten Oppositionspartei, der linksliberalen CHP, mit zunehmend länger werdenden Gesichtern in einem Restaurant die Berichterstattung über die Wahl.

Autokorsos in Berlin und Duisburg

In der Hauptstadt gab es einen Autokorso mit rund hundert Fahrzeugen, wie ein Polizeisprecher sagte. 200 Menschen nahmen demnach daran teil. Der reguläre Verkehr musste teilweise umgeleitet werden, Zwischenfälle gab es aber nicht. In Duisburg feierten Erdogan-Anhänger laut Polizei ebenfalls mit Autokorsos sowie zahlreichen gezündeten Knallkörpern die Wiederwahl des türkischen Staatschefs. Mehr als tausend Menschen blockierten zeitweise eine Straße.

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir kritisierte im Kurzbotschaftendienst Twitter, die feiernden deutsch-türkischen Erdogan Anhänger feierten "nicht nur ihren Alleinherrscher", sondern drückten "damit zugleich ihre Ablehnung unserer liberalen Demokratie aus".

Deutsch-Türken wählen so viel wie noch nie

In Berlin trägt Hülya Morkoyun eine Brosche mit dem Konterfei von Mustafa Kemal Atatürk. Als ob die Brosche am Revers verhindern soll, dass Recep Tayyip Erdogan wieder zum Staatspräsidenten gewählt wird, dass seine islamisch-konservative AKP in der Türkei an der Macht bleibt. Morkoyun gehört zu den 1,44 Millionen wahlberechtigten Türken in Deutschland. Fast die Hälfte haben diesmal in extra eingerichteten Wahllokalen ihre Stimmen abgegeben, so viele wie noch nie.

Morkoyun unterstützt die CHP-Partei, die einst von Atatürk selbst, dem Staatsgründer der Türkei, ins Leben gerufen wurde. Für die Präsidentenwahl bedeutet das: dem Hoffnungskandidaten der Opposition, Muharrem Ince, die Stimme geben. Seit über dreißig Jahren lebt Morkoyun in Deutschland, hat ihre Kinder hier großgezogen. Sie gehört zu denjenigen, die mit Frust in die alte Heimat schauen, wo Erdogan und die islamisch-konservative AKP die Geschicke der Türkei seit nunmehr 16 Jahren lenken.

Das Wahlergebnis? Unglaubwürdig

Was sie im Laufe des Wahlabends hört, gefällt Morkoyun nicht - und noch weniger glaubt sie daran. Erste Teilergebnisse, veröffentlicht durch die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu, deuten auf einen klaren Sieg Erdogans hin. "Es gibt viele Manipulationen", sagt Morkoyun. Die Zahlen seien nicht richtig. Selbst wenn das Endergebnis so verkündet würde, sie würde nicht daran glauben. Um sie herum stehen viele, die das ähnlich sehen.

Anders sehen das zwei Männer, die zur in Deutschland starken Stammwählerschaft von Erdogan zählen. Hierzulande hat Erdogan bei den Wahlen prozentual deutlich mehr Stimmen bekommen als in der Türkei. Zwei-Drittel haben für die Präsidenten gestimmt. Die Männer tragen Fez auf dem Kopf, die osmanische Kopfbedeckung, die Atatürk einst in der Türkei aus der Öffentlichkeit verbannen wollte. Sie betrachten begeistert Dutzende Autos, die hupen und türkische Fahnen schwenken. Um diese Zeit zeichnet sich bereits ein Sieg Erdogans ab, seine Anhänger feiern.

Großbaumeister Erdogan 

Dass Präsident Erdogan bei den Türken in Deutschland deutlich besser abgeschnitten habe als in der Türkei, sei eine Folge der Art von Arbeitsmigration, wie sie die Bundesrepublik einst betrieben habe. Diese Arbeitsmigranten stammten vorwiegend aus einem konservativen Milieu. Menschenrechtsfragen interessierten sie weniger, "für sie ist Erdogan derjenige, der Krankenhäuser, Autobahnen und Einkaufszentren gebaut hat", sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, der Nachrichtenagentur DPA.

Die Fez-Träger erklären, was ihnen an Erdogan gefällt. "Er redet nicht, er macht", sagt Attila, Student an der TU Berlin. Und könnten sich die Zahlen nicht doch noch ändern? "Wir glauben an Allah, und der lässt uns nicht im Stich", sagt er. Mit einem provokanten Lächeln, als ob er wisse, wie ein solcher Satz bei Deutschen ankommt.

Ein anderer junger Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte, schlägt versöhnlichere Töne an. "Wir essen hier, wir trinken hier, wir arbeiten hier", sagt er. Gegen Deutschland habe er nichts. Aber er glaube eben, dass Erdogan gute Sachen für die Türkei mache.

Gräben sind auch in Deutschland tief

An Erdogan spaltet sich in der Türkei die Nation. Und auch in Deutschland sind die Gräben tief. Auf der Wahlparty der CHP sorgt man sich sogar darum, wie sehr sich die AKP-Wähler hierzulande abschotten. "Die Medien greifen Erdogan an", sagt ein Mann. "Und dann kommt man nicht mehr an sie ran." Wenn das stimmt, könnte das auf lange Sicht ein Problem werden, denn auf der CHP-Wahlparty tummeln sich Menschen mittleren Alters, die AKP-Anhänger auf den Straßen Berlins wirken um Jahrzehnte jünger.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland hofft, dass die Spannungen zwischen den unterschiedlichen politischen Lagern nach den Wahlen in der Türkei nun abnehmen werden. "Seit Jahren dreht sich alles um Politik, die Menschen in der Türkei brauchen Ruhe und ein Ende des Ausnahmezustandes", sagte Sofuoglu. 

nik/DPA/AFP

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