TV-Kritik Anne Will scheitert am Ypsilanti-Komplex

Eine Ausgangsfrage, tausend Themen, noch mehr Polemik und eine überforderte Moderatorin: Anne Will hat ihre Talkshow über "Ypsilanti - die SPD in Gewissensnot" tiptop versenkt. Auch deshalb, weil sie Linken-Frontmann Bodo Ramelow nicht in den Griff bekam.

Die Vorgänge bei der hessischen SPD sind komplex. Umso wichtiger, das Thema einzugrenzen. Man könnte den Fall der Andrea Ypsilanti rekonstruieren. Über die Bedeutung des Gewissens bei Abgeordneten philosophieren. Auch die Frage, ob die Geschlechterklischees noch so tief sitzen, dass bei einer Frau der Machtwille als Sünde, bei einem Mann aber als Tugend gilt, wäre eine Debatte wert. Oder man grenzt das Thema nicht ein und wird vom Orkan der Begriffe, Polemiken, Einwürfe und Gedankensplitter einfach weggeblasen. So geschah es Anne Will, nominell oberste Polittalkerin der ARD, am Sonntagabend. Dass es am Ende des Abends so aussah, als säße sie noch auf ihrem Stuhl, ist merkwürdig. Vielleicht handelte es sich um einen vorbereiteten Einspielfilm.

Die Liste der Stichworte, die Will und ihre Gäste mal eben verhandeln wollten, ist lang: Gewissen, Glaubwürdigkeit, Wortbruch, Linkspartei, Hans Modrow, 9. November, Mehrwertsteuer, Lügen, Roland Koch, Thorsten Schäfer-Gümbel, Agenda 2010, Barack Obama, Nichtwähler, SPD, Fairness, Fraktionszwang, Parteitage, Medien, CDU-Spendenaffäre, Globalisierung, Sozialstaat, Bahnprivatisierung, SED-Vermögen. Hängt ja auch alles irgendwie mit allem zusammen. Douglas Adams selig hat aus diesem Gedanken mal einen schönen Roman entwickelt, "Dirk Gently's holistische Dedektei". Aber eine Talkshow ist nun mal kein Roman.

"Die SPD diskutiert das"

Zwei Erkenntnisse immerhin blieben hängen. Erstens: Wehe dem, der Bodo Ramelow von der Linkspartei zu einer Podiumsdiskussion einlädt und sich nicht vorher vertraglich abgesichert hat, dass jedes Abweichen vom Thema mit einer saftigen Konventionalstrafe geahndet wird. Zweitens: Die SPD ist nach wie vor tief gespalten.

Exemplarisch dafür war der Auftritt des ehemaligen Hamburger Bürgermeisters Klaus von Dohnanyi. Er nannte die Idee, dass sich die hessische SPD von der Linkspartei tolerieren lassen wollte, "Irrsinn". Oder auch: "ein Vabanque-Spiel". Aus Dohnanys Perspektive sollte die SPD grundsätzlich nicht mit der Linkspartei zusammenarbeiten, "wir sollten alle dankbar sein, dass das jetzt in Hessen nicht stattfindet." Als Grund nannte Dohnanyi die Sozialpolitik der Linken; sie sei in Zeiten der Globalisierung nicht umsetzbar. "Mit denen hätte man keinen Satz der Agenda 2010 beschließen können. Keinen Satz!", ereiferte sich Dohnany.

Dohnanyi ist Sozialdemokrat. Ralf Stegner auch. Stegner, Vorsitzender der SPD in Schleswig Holstein und ein Buddy Yspilantis, vermied es klugerweise, den Glaubenskrieg um die Agenda 2010 offen anzuheizen. Aber er nannte Ypsilanti eine "mutige Frau". Mit den Abweichlern, die sie nicht zur Ministerpräsidentin wählen wollten, ging er abermals hart ins Gericht. Sie hätten die innerparteiliche Solidarität verletzt, mit dem Gewissen habe das nichts zu tun. Außerdem erinnerte Stegner Dohnanyi daran, dass die Bundes-SPD Koalitionen auf Länderebene mit der Linkspartei offiziell genehmigt hat. Dohnanyi konterte, er würde lieber einen Beschluss sehen, dass dies geduldet, aber nicht erwünscht sei. Vera Lengsfeld von der CDU, die auch auf Anne Wills Podium saß, konnte sich still die Hände reiben. Schließlich sagte Stegner einen Satz, der das Dilemma der SPD kongenial umreißt: "Die SPD diskutiert das. Die CDU macht, was machtpolitisch nötig ist."

"Kein schöner Film"

Ach ja: Andrea Ypsilanti war auch noch da. Zumindest virtuell. Anne Will spielte ein Interview ein, dass sie offenbar vor der Sendung geführt hatte. Immerhin entlockte Will der hessischen SPD-Chefin einen Satz zu ihrem persönlichen Befinden. "Es gibt Momente der Ruhe, in denen der Film immer wieder abläuft", sagte Ypsilanti über die zurückliegenden Chaostage. "Und das sind keine schönen Momente."

Politisch jedoch sagte Ypsilanti keinen Satz, den sie nicht so oder ähnlich schon zuvor gesagt hatte. Abermals betonte sie, dass sie das Verhalten der Abweichler "nicht fair" finde. Will fragte: "Kann jemand, der das eigene Wort bricht, von anderen verlangen, das Wort zu halten?" Darüber hätte man mal reden können. Wenn Will auf Antworten beharren würde. Und nicht nur auf Erwiderungen.