Wesentlich mehr junge Menschen als bisher angenommen entscheiden sich wegen der Gebühren gegen ein Studium. Dies ist das Ergebnis einer bislang unveröffentlichte Untersuchung im Auftrag von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU). Die Studie, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, wird seit Wochen in ihrem Ministerium unter Verschluss gehalten.
Demnach haben allein vom Abiturienten-Jahrgang 2006 bis zu 18.000 junge Menschen wegen der neuen Gebühren kein Studium aufgenommen. 2006 hatten erst zwei Bundesländer - Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen - Gebühren verlangt. Danach folgte die Einführung in fünf weiteren unionsgeführten Ländern, darunter Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen und das Saarland. In Hessen wurden die Gebühren nach der jüngsten Landtagswahl wieder abgeschafft.
Schavan: Zahl "nicht beträchtlich"
Schavan hält die Zahl der jungen Menschen, die wegen Studiengebühren auf eine Hochschulausbildung verzichten jedoch "nicht für beträchtlich". Die Ministerin bestätigte, dass in ihrem Hause zwei Studien vorlägen, und zwar eine Abiturientenbefragung des Jahrganges 2006 sowie eine Studienanfängerbefragung 2007. Sie würden derzeit ausgewertet und in etwa vier Wochen veröffentlicht, sagte sie am Montag in Berlin.
Aus den Studien wisse sie, dass für 91 Prozent der jungen Menschen Gebühren bei der Studienentscheidung keine entscheidende Rolle spielten, sagte Schavan. 2006 hatten 415.000 junge Menschen die Schule mit einer Studienberechtigung verlassen, 2007 waren dies 432.500. Eine Ministeriums-Sprecherin sagte, "die negative Tendenz" der ersten Studie werde "aus der Gesamtschau nicht bestätigt".
Der Untersuchung zufolge verzichten insbesondere Frauen und junge Menschen aus bildungsfernen Elternhäusern wegen der Gebühren häufiger auf das Studium. Dagegen lassen sich Kinder aus Akademikerfamilien "deutlich seltener in ihrer Hochschulwahl beeinflussen", stellt das Hochschul-Informations-System (HIS) in der Studie fest. Die Gebührendebatte habe unter Abiturienten und jungen Menschen mit Fachhochschulreife zu "erheblicher Verunsicherung" beigetragen - auch in Ländern, die noch keine Gebühren verlangen.
Abwanderung in Länder ohne Studiengebühren
Weiter heißt es in der Studie, eine Abwanderung von Studien-Interessierten von "Gebühren-" in "Nicht-Gebührenländer" sei "in großem Umfang nicht zu verzeichnen". Gleichwohl wollten im Vergleich zu früheren Jahren weniger Abiturienten aus dem Osten im Westen studieren, wo Gebühren verlangt werden. Die Studie stützt sich auf der Befragung von 5240 repräsentativ ausgewählten Studienberechtigten des Jahrgangs 2006 sowie auf regelmäßige Abiturienten-Untersuchungen des HIS. Das Institut mit Sitz in Hannover arbeitet im Auftrag von Bund und Ländern sowie der Hochschulrektorenkonferenz.

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Die Vorsitzende des Bundestags-Bildungsausschusses, Ulla Burchardt (SPD), forderte am Montag die unverzügliche Veröffentlichung der Studie. Sie habe schon vor Wochen eine Unterrichtung durch das Ministerium verlangt. Die Ergebnisse dürften vor dem Bildungsgipfel von Bund und Ländern "nicht vertuscht werden", sagte Burchardt. Das Thema gehöre auf den Bildungsgipfel am Mittwoch in Dresden. SPD-Chef Franz Müntefering sagte, es habe "keinen Sinn, einen großen Bildungsgipfel zu veranstalten, wenn man auf der anderen Seite Studienzugänge durch Studiengebühren schwer macht".
"Studiengebühren gehören abgeschafft"
Der Präsident des Deutschen Studentenwerkes (DSW), Rolf Dobischat, sagte im WDR: "Studiengebühren gehören abgeschafft." Jeder vierte Studienverzichtler habe Angst vor Studiengebühren und Verschuldung. Die Bildungssprecherin der Linken, Nele Hirsch, sagte, auch die Bundesbildungsministerin müsse nun begreifen, dass Studiengebühren unsozial seien.
Der bildungspolitische Obmann der CDU/CSU-Fraktion, Michael Kretschmer (CDU), sagte, die Hochschulen seien wegen ihrer schlechten Ausstattung auf die Gebühren als private Zuwendungen der Studierenden angewiesen. Gleichwohl dürften "diejenigen, die ernsthaft und engagiert studieren wollen, nicht abgeschreckt werden". Deshalb müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden. Dazu gehörten Studienkredite, Stipendien und Bafög.
Im Vergleich zu 2003 gab es im vergangenem Jahr wegen der starken Abiturienten-Jahrgänge bundesweit zwar 17 Prozent mehr junge Menschen mit Hochschulreife, gleichzeitig aber fünf Prozent weniger Studienanfänger. 2003 war mit 377.500 Neueinschreibungen an den deutschen Hochschulen ein Anfänger-Rekord erzielt worden. 2007 waren dies mit 358.670 Anfängern knapp 19.000 Neueinschreibungen weniger. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der Studienberechtigten um mehr als 63.000 auf 432.500.
Schavan will Studieren ohne Abitur ermöglichen
Mit einer Öffnung der Hochschulen für Berufstätige ohne Abitur will Bildungsministerin Schavan die Ausbildungsberufe stärken. Sie wolle einen "völlig neuen Weg schaffen, Berufstätigen ohne Abitur ein Studium zu ermöglichen", sagte die CDU-Politikerin laut "Rheinischer Post". Wer eine Ausbildung und Berufserfahrung habe, solle auch studieren können. "Das kann zum Beispiel der Mechatroniker sein, der Ingenieur werden will, oder die Krankenschwester, die Medizin studieren möchte oder auch die Erzieherin, die sich zur Grundschullehrerin weiterbilden möchte", sagte Schavan. Eine solche Öffnung der Hochschulen stärke gleichzeitig die Ausbildungsberufe, die dadurch wieder attraktiver würden, "weil sie eine Perspektive bekommen".
Die Kultusministerkonferenz hatte vergangene Woche beschlossen, bis 2010 länderübergreifend die Voraussetzungen für den Hochschulzugang beruflich qualifizierter Bewerber zu formulieren. Spätestens auf der übernächsten Sitzung im kommenden Jahr soll über das Thema beraten und entschieden werden.