Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat ein dramatisches Bild der aktuellen Finanzkrise gezeichnet und zu deren Lösung eine enge Zusammenarbeit aller Akteure beschworen. "Die ernste globale Finanzkrise wird tiefe Spuren hinterlassen. Sie wir das Weltfinanzsystem tiefgreifend umwälzen", sagte er in einer Regierungserklärung am Donnerstag.
Als Folge würden die USA ihren Status als Supermacht des Weltfinanzsystems verlieren. Die Wall Street werde nicht mehr das sein was sie war. Durch ein funktionierendes Krisenmanagement sei ein "Super-Gau" bisher verhindert worden, doch "Licht am Ende des Tunnels" sehe er noch nicht. Auch Deutschland sei betroffen, wenn auch weit weniger als die USA, wo die Krisenursachen lägen. "Die Bürgerinnen und Bürger müssen keine Angst um ihre Ersparnisse haben", beruhigte er.
Die Auswirkungen der Finanzkrise und ihr Fortgang lassen sich Steinbrück zufolge noch nicht absehen. Klar sei, dass die Krise weltweit zu niedrigeren Wachstumsraten und mit gewisser Verzögerung zu ungünstigeren Arbeitsmarktentwicklungen führen werde. Die Auswirkungen auf Deutschland seien bislang weniger dramatisch. Wie sich das konkret darstelle, sei noch nicht zu beziffern, sagte er mit Blick auf die öffentlichen Haushalte und die Revision der Regierungsprognose zum Wachstum im Oktober. Experten rechnen inzwischen für das nächste Jahr mit einem deutschen Wachstum von deutlich unter einem Prozent, während die Regierung aktuell von 1,2 Prozent ausgeht.
"Deutscher Bankensektor bleibt nicht verschont"
"Der deutsche Bankensektor wird von den krisenhaften Entwicklungen nicht verschont", erklärte Steinbrück. Die Krise zeige aber, dass das Drei-Säulen-Modell im Bankensystem Deutschlands relativ stabil sei. Eine Kreditklemme zulasten der Güter-Wirtschaft sei gegenwärtig nicht zu beobachten. Die Bürger sollten ebenfalls nicht in Panik verfallen.
Ursprungsort und Schwerpunkt der Krise seien die USA, wo immens riskante Immobilien- und Kreditgeschäfte betrieben worden seien, sagte Steinbrück. Es gehe um die unverantwortliche Überhöhung eines zügellosen Renditestrebens ohne ausreichende Regulierung. Dagegen seien die USA zwar zu spät vorgegangen, das von ihnen geplante Rettungspaket über 700 Milliarden Dollar sei aber richtig.
Ein ähnliches Programm in Europa oder Deutschland halte er jedoch nicht für sinnvoll. "Die Finanzmarktkrise ist vor allem ein amerikanisches Problem."

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Steinbrück für staatliche Regulierungen auf den Finanzmärkten
Als Konsequenz aus der Krise forderte Steinbrück weltweit "neue Verkehrsregeln" und staatliche Regulierungen für die Finanzmärkte. Es gehe um eine Art neue "Zivilisierung" dieser Märkte. Vor allem sollten besonders risikoträchtige Geschäfte stärker abgesichert oder teils gar verboten werden. Die richtige Antwort sei "eine stärkere, international abgestimmte Regulierung auf internationaler Ebene". Steinbrück legte einen Katalog von acht Vorschlägen vor, für die er sich international, wie bei den Treffen am Rande der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) einsetzen will.
Im einzelnen müsse verhindert werden, dass Risiken außerhalb der Banken-Bilanzen platziert werden können, sagte Steinbrück. Die Banken müssten eine größere Liquiditätsvorsorge treffen und die verantwortlichen Finanzmarktakteure stärker in persönliche Haftung für ihre Geschäfte genommen werden. Das Renditestreben müsse zugunsten von mehr Risikogewichtung zurückgedrängt werden. Die internationalen Gremien, wie das Forum für Finanzstabilität und der IWF, sollten enger vernetzt werden. Spekulative Leerverkäufe möchte Steinbrück auf internationaler Ebene ganz verbieten. Die Banken sollten bei Verbriefung bis zu 20 Prozent des Risikos in den eigenen Büchern halten müssen. Und schließlich bedürfe es einer europäischen Harmonisierung der Banken- und Finanzmarktaufsicht.
Der FDP-Finanzexperte Hermann-Otto Solms warf Steinbrück vor, keinerlei Selbstkritik geübt zu haben. Die Bundesregierung habe versagt bei der Aufsicht über die staatliche Förderbank KfW. Der Fraktionschef der Linken, Oskar Lafontaine, sprach von einer "Krise der geistig moralischen Orientierung der westlichen Gesellschaften". Durch das Regime der internationalen Finanzmärkte und eine "völlig durchgedrehte" Banker-Elite gebe es keine soziale Marktwirtschaft mehr. Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn sieht das neoliberale Konzept einer Marktwirtschaft gescheitert. Es sei auch ein "moralisches Missverhältnis", wenn über ein 700-Milliarden-Dollar-Paket verhandelt werde, während Afrika-Hilfen von 70 Milliarden Dollar scheiterten.
Krisentreffen mit Spitzenvertretern der Kreditwirtschaft
Am Nachmittag will Steinbrück mit Spitzenvertretern der Kreditwirtschaft die Krise erörtern. Es werden unter anderem Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann und Bankenpräsident Klaus-Peter Müller erwartet. Steinbrück verspricht sich von dem Treffen auch Vorschläge für seine Gespräche im Oktober in den USA.
Die Opposition ist angesichts des geplanten Krisengipfels skeptisch. Er begrüße das Gespräch, sagte der Vorsitzende des Bundestags-Haushaltsausschusses, Otto Fricke (FDP), im ZDF-"Morgenmagazin". "Aber ich bin doch etwas nervös bei der Frage, was wird da rauskommen, denn das ist entscheidend."