Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee "Die Leiche trägt die Kerze selbst"

  • von Hans Peter Schütz
Ein Bundesverkehrsminister auf dem Abstellgleis: Selbst die eigenen Genossen wollen Wolfgang Tiefensee am liebsten nicht mehr im Kabinett sehen, mögen es aber nicht laut sagen. Im Amt hält ihn nur noch die Koalitions-Arithmetik - und sein eigenes Talent, selbst größte Krisen lächelnd auszusitzen.

Der Fall Wolfgang Tiefensee ist ein Fall, der der SPD-Führung die Sprache verschlagen hat. SPD-Chef Franz Müntefering sagt keinen Pieps, dass der SPD-Bundesverkehrsminister eindeutig öffentlich gelogen hat. Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier schluckt ebenfalls jeden Kommentar dazu runter, dass sein Genosse Tiefensee den Bahn-Managern Millionen Euro an Boni und Gehaltserhöhungen zu servieren gedenkt, während die SPD lauthals fordert, Manager endlich an die finanzielle Kette zu legen.

Ist es daher vielleicht doch so, wie FDP-Chef Guido Westerwelle bereits vor einem Jahr gesagt hat: "Herrn Tiefensees politische Beerdigung ist bereits beschlossene Sache. Es geht nur noch darum, ob es eine erster oder zweiter Klasse wird. Ich vermute zweiter Klasse - die Leiche trägt die Kerze selbst."

Als der Chefliberale das sagte, ging es darum, dass ein SPD-Parteitag dem Verkehrsminister sein Konzept zur Bahnprivatisierung um die Ohren geschmettert hatte. Auch ein bedenklicher Fall politischen Versagens des Genossen Tiefensees.

Jetzt ist es noch schlimmer gekommen. Der Minister hat öffentlich gelogen und ist unbestreitbar dieser Lüge überführt worden. Das Schweigen der SPD-Führung sagt alles: Sie wollen diesen Mann am liebsten nicht mehr im Kabinett sehen. Angela Merkel steht zu Bahnchef Hartmut Mehdorn - und damit natürlich gegen Tiefensee.

Tiefensee hat nichts zu sagen im Unternehmen Bahn

Dass Mehdorn den Verkehrsminister öffentlich anmacht - "enttäuscht und verwundert" - und ihm verbietet, sich zu den kessen Bonuszahlungen für den Bahnvorstand zu äußern, sagt alles über die Schwäche Tiefensees. Nichts zu sagen hat er im Unternehmen Bahn. Und er hat sich in die Gespräche des Bahnvorstands über die Bonuszahlungen auch nie eingeschaltet. Den Prospekt für den Börsenzugang der Bahn hat er erhalten, aber offenbar nie gelesen.

Ein Vertrauter von SPD-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, der in den Prämienzahlungen kein Problem sieht, sagte zu stern.de: "Wir wären froh, wenn er von sich aus den Hut nähme." Denkbar ist, dass dies nach der Sitzung des Verkehrsausschusses des Bundestags an diesem Mittwoch geschieht.

Sicher ist das keineswegs, denn im Aussitzen seiner Krisen war Tiefensee schon immer stark, auch dann, wenn alle längst an seiner Kompetenz zweifelten. Ein typischer Tiefensee-Vorgang: Er scheiterte glatt mit dem Versuch, den Verkauf des Bahnnetzes im Sinne der Bahn-Bosse durchzusetzen. Seither ist der Minister letztlich gar nicht mehr interessiert daran, den Börsengang noch vor der Bundestagswahl durchzusetzen. Das könne auch nach 2009 geschehen. Seit Langem fordern viele in der SPD, man müsse dem Versager endlich die Kompetenz für den Bahnverkauf entziehen und sie an Steinbrück übergeben.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Abstieg eines Hoffnungsträgers

Welch ein Abstieg liegt inzwischen hinter diesem Mann. Nach Berlin kam er als eine Art Wunderkind des Ostens, wo er 1995 in die SPD eingetreten und 1998 zum Oberbürgermeister von Leipzig aufgestiegen war. Weil er 2002 den ersten Ruf Gerhard Schröders nach Berlin abgelehnt hatte, der ihn zum Verkehrsminister und zum Beauftragten für den Aufbau Ost hatte machen wollen, staunte die Republik. Wie konnte der denn lieber im Rathaus von Leipzig sitzen bleiben wollen? Was war das denn für ein Mann, der lieber bei der Olympia-Bewerbung Leipzigs auf dem Cello spielte, als in eine bundespolitische Machtposition aufzurücken?

Dass er 2005 dann doch ins Kabinett nach Berlin eilte, wurde vor diesem Hintergrund zunächst von vielen in der SPD freudig begrüßt. Was den Genossen unbekannt war: In Leipzig war man gottfroh, ihn endlich losgeworden zu sein. Zahlreiche Affären hatten das Rathaus erschüttert, Geld aus der Olympia-Bewerbung war in dunklen Kanälen versickert. Zwischen Leipziger Stadtverwaltung und organisierter Kriminalität schien nicht immer eindeutige Distanz bestanden zu haben. Einen Scherbenhaufen habe er in Leipzig hinterlassen, schimpften die Kritiker über "diesen Teflon-Mann" - einer, der es immer wieder schaffe, dass an ihm nichts hängen bleibe. Längst sehnten sich die Leipziger in den letzten Jahren des Oberbürgermeisters Tiefensee zurück zu seinem Vorgänger Hinrich Lehmann-Grube, einen 1990 eingesetzen Wessi.

"Opportunist und fachlicher Dilettant"

Ulrich I., ein ehemaliger Leipziger Mitarbeiter Tiefensees, sagt zu stern.de, den Mann habe er immer als "150-prozentigen Opportunisten und fachlichen Dilettanten erlebt". Nur Miese habe er in die Stadtkasse gebracht. Er könne sich sicher in politischen Seilschaften bewegen und mit "leerem Wort riesige Summen öffentlicher Finanzen verschleudern".

Politische Verantwortung für sein Handeln habe Tiefensee nie übernommen, klagen andere Kritiker in Leipzig heute noch. Irgendwie scheint er genau diese Politik auch am Kabinettstisch der Kanzlerin Angela Merkel fortgesetzt zu haben.