Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken haben die Fraktionen von SPD und Grünen den Entwurf der Bundesregierung zur Verschärfung des Versammlungsrechts gekippt. Wie die parlamentarischen Geschäftsführer Wilhelm Schmidt und Volker Beck am Mittwoch in Berlin berichteten, werden die Fraktionen nur das Kernstück in den Bundestag einbringen. Damit sollen rechtsextremistische Aufzüge in Nähe des Holocaust-Mahnmals am 60. Jahrestags des Kriegsendes am 8. Mai verhindert werden.
Beck erklärte, bei den Fraktionen habe es vor allem Bedenken gegen einen Paragrafen im Regierungsentwurf gegeben, der das Verharmlosen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft unter Strafe stellen sollte. Dies sollte stets dann gelten, wenn das Vorgehen der Demonstranten geeignet sei, den öffentlichen Frieden zu stören. Die Ziele des Gesetzes sind ein erleichtertes Versammlungsverbot an Mahnmalen und ein gestärktes Strafrecht, um gegen Volksverhetzung vorgehen zu können.
Prüfung des Paragrafen
"Wir müssen aufpassen, dass wir die vom Verfassungsgericht gesetzte Grenze nicht überschreiten", erklärte der Grünen-Politiker. "Es ist niemandem damit gedient, wenn Karlsruhe die Regelung wieder aufhebt." Das wäre eine "große Blamage". Schmidt erklärte aber, es werde trotzdem weiter geprüft, ob dieser Paragraf in den Gesetzentwurf hineinkomme.
Regierungssprecher Bela Anda erklärte, Innenminister Otto Schily und Justizministerin Brigitte Zypries hätten das Bundeskabinett über den Stand des Verfahrens informiert. Der Sprecher des Innenministeriums, Rainer Lingenthal, sagte, der entscheidende Punkt sei das Demonstrationsverbot an Gedenkstätten des Holocausts. "Der Koalitionsentwurf ist in diesem Kernpunkt genau das, was das Bundesinnenministerium vorbereitet hat." Die weiteren Punkte seien nicht von der Tagesordnung, sondern würden als Teil der grundsätzlichen Reform des noch aus den 50er Jahren stammenden Versammlungsrechts wieder aufgegriffen.
Das Gesetz soll am 1. Mai in Kraft treten
Schmidt betonte, der Gesetzentwurf sei von beiden Fraktionen einstimmig auf den parlamentarischen Weg gebracht worden. Der Entwurf regelt, dass an Orten, die zu einem nationalen Symbol für die systematische Vernichtung von Menschen geworden sind, im Einzelfall Auflagen oder Versammlungsverbote erlassen werden können. Die Bestimmung dieser Orte soll durch Rechtsverordnung des Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats erfolgen. Die Gesetzgebung soll laut Schmidt bereits in der kommenden Woche abgeschlossen werden, damit das Gesetz rechtzeitig zum 1. Mai in Kraft treten kann.
Die Union warf der Bundesregierung vor, sie sei beim Versammlungsrecht handlungsunfähig. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hartmut Koschyk, erklärte, das Gezerre zwischen Bundesregierung und Koalition nehme langsam groteske Züge an. Er forderte die Bundesregierung auf, dem Gesetzentwurf der Union zur Ausweitung des befriedeten Bezirks um den Reichstag ("Bannmeile") zuzustimmen. Damit sei gesichert, dass sich beschämende Bilder wie die aus dem Jahre 2000, als Neonazis mit schwarz-weiß-roten Fahnen durch das Brandenburger Tor marschierten, um gegen das geplante Holocaust-Denkmal zu demonstrieren, nicht wiederholten.
Schmidt erklärte, eine Bannmeile helfe wenig, weil sie nur gelte, solange das Parlament tage. Er lehne sie aber auch nicht grundsätzlich ab. Beck meinte dagegen, eine "Bannmeile über halb Berlin-Mitte" sei ein massiver Eingriff in die Grundrechte aller Bürger.