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Wahlrechtsreform Größter Bundestag aller Zeiten: Wie die Ampel das aufgeblähte Parlament wieder schrumpfen will

Von der Empore des Bundestags in Berlin schaut man ins Plenum, in dem die Abgeordneten unter einem silbernen Bundesadler sitzen
Durch das geltende Wahlrecht ist der Bundestag auf aktuell 736 Abgeordnete angewachsen (Archivbild)
© Michael Kappeler / DPA
Eine Wahlrechtsreform soll den Bundestag von aktuell 736 Abgeordneten wieder auf 598 bringen. Nun legen SPD, Grüne und FDP ihren Gesetzesentwurf vor. Doch der passt der Union nicht. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Der aktuelle Bundestag ist mit 736 Sitzen der größte aller Zeiten – und hatte damit 2021 den vorherigen abgelöst. Der hielt bis dahin mit 709 den Rekord. Seit Jahren wächst das Parlament und ist weit von den 598 Plätzen entfernt, die es eigentlich haben sollte. Die Ampel-Koalition hat sich nun auf einen Gesetzentwurf für ein neues Bundestagswahlrecht verständigt. Wie bereits angekündigt soll laut dem Text, der der Nachrichtenagentur AFP am Sonntag in Berlin vorlag, die Mandatszahl auf die bisherige Regelgröße von 598 festgeschrieben werden. Die umstrittene Ersatzstimme für Direktmandate ist in der Vorlage nicht mehr enthalten.

Der Gesetzentwurf sei "zwischen den Koalitionsfraktionen jetzt geeint" worden, heißt es in einem Schreiben von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich an die SPD-Abgeordneten. "Mit dem Gesetzentwurf erreichen wir die drei wichtigsten Ziele: Verkleinerung des Bundestags und garantierte Größe von 598 Mandaten, der Bundestag spiegelt exakt das Wahlergebnis und Fairness gegenüber allen Parteien", sagte der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann den beiden Stuttgarter Zeitungen. Alle 299 Wahlkreise sollen laut der Vorlage erhalten bleiben. Zuletzt wurde die Regelgröße des Bundestages mehrfach massiv überschritten, aktuell gibt es 736 Abgeordnete.

Warum ist der Bundestag aktuell so groß?

Dies liegt an den sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandaten. Ein Überhangmandat entsteht, wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr laut Zweitstimmenergebnis Sitze im Bundestag zustehen. Nach bisheriger Rechtslage ziehen alle Wahlkreisgewinner in den Bundestag ein. Allerdings soll die Zusammensetzung des Parlaments trotzdem das Zweitstimmenergebnis korrekt abbilden. Deshalb gibt es im Falle von Überhangmandaten für die anderen Parteien Ausgleichsmandate.

Was soll sich nun ändern?

Der Ampel-Entwurf sieht vor, dass es keine Überhangmandate mehr gibt - und damit auch keine Ausgleichsmandate. Die 598 Bundestagssitze sollen komplett anhand der Mehrheitsverhältnisse bei den Stimmen für die Parteien vergeben werden. Diese bisherige Zweitstimme soll deshalb künftig an erster Stelle auf dem Wahlzettel stehen und Hauptstimme heißen. Die bisherige Erststimme soll Wahlkreisstimme genannt werden.

Nach der Wahl werden laut dem Entwurf wie bisher auch die den Parteien im Bundestag zustehenden Sitze auf die Bundesländer umgerechnet. Im einzelnen Land kommen dann zunächst die erfolgreichen Wahlkreiskandidaten der Partei zum Zuge. Sind danach noch Mandate zu vergeben, kommen die Kandidierenden auf der Landesliste an die Reihe.

Und wenn eine Partei mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr laut Hauptstimmenergebnis Sitze zustehen?

Für die Wahlkreisgewinnerinnen und -gewinner jeder Partei gibt es ein Ranking - wer die meisten Stimmen bekommt, steht ganz oben. Nach diesem Ranking werden die Bundestagsmandate verteilt. Wenn die Partei mehr Wahlkreisgewinne verbucht, als ihr laut Hauptstimmenverteilung Sitze zustehen, schauen die Wahlkreissiegerinnen und -sieger in die Röhre, die besonders wenige Stimmen bekommen haben.

Kann es dann passieren, dass ein Wahlkreis keinen Abgeordneten im Bundestag hat?

Die Ampel-Fraktionen halten dies für unwahrscheinlich. Sie verweisen darauf, dass in der Regel mehrere Abgeordnete aus einem Wahlkreis kommen. Möglich ist allerdings, dass eine Wahlkreissiegerin nicht in den Bundestag kommt und dann dieser Wahlkreis ausschließlich von Abgeordneten anderer Parteien repräsentiert wird.

Bis zu 1000 Abgeordnete nach der Bundestagswahl: Platz im Bundestag wird knapp

Welche Kritik gibt es an dem Vorschlag?

Die Union ist empört. Sie stört sich an der Möglichkeit, als Wahlkreissieger ohne Bundestagsmandat zu bleiben. Insbesondere die CSU, die viele Direktmandate gewinnt und daher von Überhangmandaten profitiert, sieht hier eine "Missachtung des Wählerwillens" und einen Verstoß gegen das Grundgesetz.

Welche Alternativvorschläge gibt es?

Eigentlich soll es zur Bundestagswahl 2025 nur noch 280 statt 299 Wahlkreise geben - dies sieht ein von der vorherigen schwarz-roten Koalition verabschiedetes Gesetz vor. Auch damals ging es darum, den Bundestag wieder mehr in Richtung Regelgröße zu bringen. Überhang- und Ausgleichsmandate hätte es aber weiterhin gegeben. Die Ampel-Koalition will nun die Wahlkreisreduzierung wieder zurücknehmen. 

In einem früheren Reformentwurf von SPD, Grünen und FDP war eine Ersatzstimme für die Wahlkreiskandidaten vorgesehen. Hier hätten die Wählenden eine zweite Präferenz angeben können. Wenn ein Wahlkreissieger nicht zum Zuge kommt, würde derjenige in den Bundestag einziehen, der die meisten Erst- und Ersatzstimmen auf sich vereint. Von dieser umstrittenen Idee hat sich die Koalition nun wieder verabschiedet.

Union plant andere Wahlrechtsreform

Die Union liebäugelt derweil mit dem sogenannten Grabenwahlrecht. Damit würde die Hälfte der Bundestagssitze über die Zweitstimme und die andere Hälfte über die Stimme für die Direktkandidaten vergeben. Ein solches Modell dürfte allerdings dafür sorgen, dass die Sitzverteilung im Parlament sehr stark vom Zweitstimmenergebnis abweicht. 

tkr/Christina Neuhaus AFP

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