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Bundestag Wie politisch irre kann die Ampel sein, so einen Vorschlag zur Wahlrechtsreform zu machen?

Wahlrecht Reform
Groß, größer, Bundestag: Das bisherige System hatte nicht allein eine gerechte Sitzverteilung im Parlament zum Ziel. 
© Michael Kappeler / DPA
Mit ihrem neuen Entwurf zur Wahlrechtsreform lassen SPD, Grüne und FDP den Verdacht zu, politische Konkurrenz per Gesetz zu bekämpfen. Das hätte nicht passieren dürfen.

Seit einiger Zeit ist Markus Söder mit der Klage unterwegs, die Ampel-Regierung in Berlin wolle vor allem Bayern und der CSU schaden. So hat er es am politischen Aschermittwoch verkündet, aber eben nicht nur da. Das einzige Indiz, das der CSU-Chef Söder bisher für seinen Vorwurf präsentierte, war die Tatsache, dass Olaf Scholz keinen bayerischen Minister berufen hat. Man hört und liest das und denkt sich, was für ein irres Aufputschmittel doch Wahlkampf sein muss, schließlich wird im Oktober in Bayern gewählt, und Söder will sein Amt als Ministerpräsident verteidigen.

CSU hat Sperrklausel nur knapp übersprungen

Und dann kommt plötzlich die Ampel in dieser Woche mit einer Wahlrechtsreform daher (mehr zur Reform lesen Sie hier). Sie sieht den Wegfall der Grundmandatsklausel vor, was dazu führen würde, dass direkt gewonnene Wahlkreismandate allesamt verfallen, wenn die Partei des Kandidaten nicht die Fünf-Prozent-Hürde schafft. Die CSU hat 2021 bei der letzten Bundestagswahl 45 von 46 bayerischen Wahlkreisen gewonnen und die Sperrklausel mit 5,2 Prozent trotzdem nur knapp übersprungen. Fiele sie beim nächsten Mal auf 4,9 Prozent oder weniger, wären alle direkt gewonnenen Wahlkreise weg. Man liest das und denkt sich: Wie politisch irre kann die Ampel sein, so einen Vorschlag zu machen?

Man muss bei einer Wahlrechtsreform Systematik und Politik unterscheiden. Systematisch argumentiert die Ampel, dass Erststimmen praktisch keinen verzerrenden Einfluss mehr auf die Sitzverteilung im Bundestag haben sollen. Diese Sitzverteilung ergibt sich aus dem Ergebnis der Zweitstimmen – künftig deshalb auch Hauptstimmen genannt. Das ist ein durchaus vertretbarer, einer größtmöglichen Gerechtigkeit verpflichteter Gedanke. Nur wäre der damit verbundene Einschnitt in das deutsche Wahlrecht so grundsätzlich, dass er nicht eben mal von einer Regierungskoalition im Alleingang vollzogen werden sollte.

Denn das personalisierte Verhältniswahlrecht, aus dem das System mit Erst- und Zweitstimme hervorgegangen ist, hatte eben nicht allein eine gerechte Sitzverteilung im Parlament zum Ziel, sondern über die Wahlkreiskandidaten auch eine gewisse lokale Verbindung zwischen Wählern und Abgeordneten sowie über die Grundmandatsklausel die Chance, einzelne oder regionale Hochburgen einer Partei abzubilden – deshalb sitzt die Linke dank dreier Direktmandate gerade noch im aktuellen Bundestag und die CSU sowieso.

Politisches Vorgehen ist völlig daneben

Kann man der systematischen Absicht des Ampel-Vorschlags noch etwas abgewinnen, so ist das politische Vorgehen völlig daneben. Übrigens allein schon deshalb, weil SPD, Grüne und FDP in ihrem ersten Entwurf die Grundmandatsklausel noch stehen hatten. Auch in diesem ersten Entwurf wäre die Erststimme zwar geschwächt worden, weil möglicherweise einige Direktkandidaten mit sehr niedrigen Ergebnissen ihr Mandat nicht hätten antreten können.  Das wäre nicht schön, aber in der Abwägung mit einer gerechteren Sitzverteilung in einem verkleinerten Bundestag hinnehmbar gewesen.

Nun aber bringt die Ampel die politische Konkurrenz fast geschlossen gegen sich auf, weil CSU und Linke um ihre parlamentarische Existenz fürchten. Der Vorwurf, SPD, Grüne und FDP wollten sich der Konkurrenz dieser Parteien entledigen, liegt auf der Hand – auch wenn es weiß Gott nicht mehr die stolze CSU ist, die man von früher kennt, wenn ihr Chef Markus Söder überhaupt die Möglichkeit zu denken wagt, seine Partei könne bei einer Bundestagswahl unter die Fünf-Prozent-Hürde fallen. Aus dem Geschimpfe Söders, das nicht zu dem sonstigen Mia-san-mia-Gehabe des Ministerpräsidenten und CSU-Chefs passt, spricht offenkundig ein völlig neues CSU-Gefühl: Angst.

Dessen ungeachtet hat die Ampel einen schweren Fehler gemacht, indem sie einen nicht perfekten, aber passablen ersten Entwurf kassierte, obwohl er politisch vertretbar gewesen wäre. Stattdessen will sie nun einen zweiten Entwurf durchsetzen, dem der Ruch anhängt, SPD, Grüne und FDP handelten nur zu ihrem Vorteil. Das beschädigt das neue Wahlgesetz schon bevor es beschlossen ist. Und damit schadet die Ampel der Demokratie im Land.

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