Schlag 12 - der Mittagskommentar aus Berlin Warum Merz Merkel gefährlich werden kann

Er war der wirtschaftliche Kopf der CDU. Nun referierte Friedrich Merz vor einer Parteikommission. Der Auftritt zeigt, wie die CDU unter Angela Merkel verödet.

Der Mann wird nächstes Jahr 60, er verdient längst gutes Geld als Wirtschaftsanwalt und Aufsichtsrat. Seine politische Karriere ist vorbei, das weiß er und das wissen auch alle, die in der CDU halbwegs bei Verstand sind. Trotzdem reicht es schon, dass dieser Friedrich Merzin einer mittelbedeutsamen CDU-Programmkommission ein "Impulsreferat" zum Thema "Digitalisierte Wirtschaft und Gesellschaft" hält, um einiges an Aufregung in der Partei auszulösen.

Merz – das war der Mann mit der "Bierdeckelsteuer". Fraktionschef der Union im Bundestag, ein mitreißender Redner. Marktradikaler und Wertkonservativer, der sich einst mit Klarinette bei der Hausmusik im Kreise seiner Lieben daheim im Sauerland ablichten ließ. Einer von diesen Männern, die sehr breitbeinig durch die Landschaft liefen, bis sie von Angela Merkel eiskalt in den politischen Vorruhestand entsorgt wurden.

Partei des "anything goes"

Warum die Aufregung um Herrn Merz und sein "Impulsreferat"? Man muss nur einmal ein längeres Gespräch mit dem Generalsekretär der CDU führen, um das zu verstehen. Der Mann heißt Peter Tauber. Nur wenige kennen ihn. Peter Tauber ist ein sympathischer Mann, mit Kahlkopf und dicker, schwarzer Berlin-Mitte-Brille. Herr Tauber twittert fleißig und ist auch sonst sehr modern. Das "C" im Namen seiner Partei hat für ihn eher dekorativen Charakter. Mit Abtreibung hat Herr Tauber kein gesteigertes Problem. Auch nicht damit, dass homosexuelle Paare Kinder adoptieren können. Auch nicht mit der Frauenquote. Oder der Abschaffung der Wehrpflicht oder dem Mindestlohn. Wie Herr Tauber eigentlich mit nichts ein größeres Problem hat, was gerade so Zeitgeist ist. Frau Merkel mag Männer wie Herrn Tauber. Mit ihrer fröhlichen Haltung des "anything goes" verkörpern sie die CDU so, wie Frau Merkel sich die CDU vorstellt: Irgendwie modern. Irgendwie für alle wählbar. Irgendwie irgendwie.

Talente und Temperamente fehlen

Der Auftritt von Friedrich Merz – von einer "Rückkehr in die Politik" zu sprechen, ist, Stand jetzt, maßlos übertrieben – weckt Erinnerungen an das, was die CDU in ihren besten Zeiten einmal war: eine Ideenwerkstatt, manchmal auch eine intellektuelle Gedankenschmiede. Nicht in der SPD, die ewig Willy Brandt nachheulte, sondern in dieser CDU wurden über viele Jahre die spannendsten Debatten der Republik geführt. Man muss Helmut Kohl und die unbarmherzige Art, mit der er mit früheren Weggefährten abrechnet, nicht mögen. Aber unzweifelhaft gehört es zu den großen Lebensleistungen Kohls, als Vorsitzender in der CDU über viele Jahre ganz unterschiedliche Talente und Temperamte zusammengeführt und, wenn auch nur mit Mühe, ertragen zu haben: den Weltbürger Richard von Weizsäcker ebenso wie den gelernten Opel-Werkzeugmacher Norbert Blüm. Die Halb-Feministin Rita Süssmuth genauso wie den schneidigen Wehrmachtsoffizier Alfred Dregger. Den messerscharfen Denker und Polemisierer Heiner Geißler. Den professoralen Kurt Biedenkopf. Den ersten schwarz-grünen Schwarzen Klaus Töpfer.

Längst wird über die Zeit nach Merkel diskutiert

Es waren Querköpfe mit beträchtlichem Machtbewusstsein und ausgeprägter Eitelkeit. Aber sie standen auch für ganz unterschiedliche Milieus und politische Mentalitäten. Sie waren das personelle Korsett für das faszinierende Konstrukt "Volkspartei". Erst Gesichter und Persönlichkeiten, die sich selbst und ihre Biographie in die Waagschale werfen, machen eine Volkspartei glaubwürdig. Da kann der nette Herr Tauber mit seiner Berlin-Mitte-Brille und seiner ganzen postmodernen Beliebigkeit nicht mithalten

Längst hat in der CDU die – wenn auch nur halblaut geführte – Debatte über die Zeit nach Merkel begonnen. Die CDU war immer eine Machtmaschine, anders als die SPD liebt sie nicht die Selbstzerknirschung. Solange ein Schwarzer im Kanzleramt sitzt, ist die Machtmaschine zufrieden, und einen Aufstandwird es nicht geben. Friedrich Merz kann der Kanzlerin nicht gefährlich werden, aber die Gefühle, die er auslöst, schon: Die Sehnsucht nach Typen und Themen, die Sehnsucht, mehr zu sein als ein Merkel-Wahlverein. Die Sehnsucht, sich als CDU wieder zu spüren. Klar, es sind nur Gefühle. Aber Gefühle können eine gewaltige Energie freisetzen. Und in der Politik können aus Gefühlen sehr schnell Machtfragen werden.

Tilman Gerwien beobachtet die CDU seit Jahren immer wieder für den stern. Eindrücklichstes Erlebnis zuletzt: Mehrere schnell heruntergekippte Biere auf dem Flughafen Berlin-Tegel mit Parteidenkmal Norbert Blüm, der seit 64 Jahren CDU-Mitglied ist.