Besuch in Osteuropa Wie Merz versucht, Scholz vor sich herzutreiben

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender und Chef der Unions-Bundestagsfraktion
Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender und Chef der Unions-Bundestagsfraktion
© Tomasz Gzell/PAP / DPA
Vor Ort verständnisvoll und sachlich in der Kritik: Friedrich Merz schärft sein Profil als Oppositionschef – und wirft ein schlechtes Licht auf Bundeskanzler Scholz. Zumindest in Polen.

Die Schlagzeilen dürften ihm gefallen haben. Er sei mal wieder einen Schritt schneller gewesen als der Kanzler, heißt es hier, er, der Schattenkanzler, nutze die Schwächen der Bundesregierung, heißt es dort.

Nun lässt sich freilich darüber streiten, was Friedrich Merz auf seiner Reise nach Warschau erreicht hat, geschweige denn überhaupt erreichen konnte. Gewiss ist dem CDU-Chef ein Aufmerksamkeitserfolg gelungen.

Polen hatte Redebedarf angemeldet, sich wortreich über den schleppenden Panzer-Ringtausch mit Deutschland echauffiert – und Merz hat das klärende Gespräch gesucht. So jedenfalls der Eindruck. 

Der Oppositionsführer reise zum verstimmten Nachbarn, um die Wogen zu glätten, wie der "Spiegel" vor dem Besuch "dem Vernehmen nach" erfuhr. Man darf jedoch davon ausgehen, dass der berufsbedingte Gegenspieler von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seiner Ampel-Regierung mehr als einen Vermittlungsversuch im Sinn gehabt haben dürfte. 

Schon seine Reise nach Kiew stand offiziell im Zeichen der "staatspolitischen Verantwortung von Opposition und Regierung", die Merz mit seinem Besuch zum Ausdruck bringen wolle, wie sein Stabschef seinerzeit mitteilte. Dabei dürfte es Merz auch darum gegangen sein, Entschlossenheit und Tatendrang zu demonstrieren – die Scholz aus Sicht seiner Kritiker, nicht zuletzt der Opposition und Kiews, vermissen ließ.

Der CDU-Chef kam dem Kanzler mit seiner Reise ins Krisengebiet zuvor, der angesichts kriechender Kriegsgerätlieferungen und wechselhaften Begründungen für seinen ausbleibenden Besuch als Zauderer und Zögerer wahrgenommen wurde. 

Dass es Merz offenbar um mehr als die Sache ging, die Reise auch ein Versuch der Profilierung gewesen sein könnte, legte schließlich eine Wortmeldung nach der Reise nahe: "Ich bin Präsident Selenskyj sehr dankbar, dass er meiner Bitte um eine Einladung des Bundespräsidenten gefolgt ist", schrieb Merz auf Twitter, der Weg für eine persönliche Begegnungen des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers mit Präsident Selenskyj sei nun frei. Dank Merz, versteht sich, der in der Sache entscheidend vermittelt haben will. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Friedrich Merz: Ein Oppositionschef arbeitet an seinem Profil

Nun schwangen bei seinem zweitägigen Warschau-Besuch – mit einem abschließenden Abstecher nach Litauen – zwar auch mehrere Subbotschaften mit. Wieder reiste Merz ins (diplomatische) Krisengebiet, erneut nahm er die Kritik vor Ort entgegen, während der Kanzler im Urlaub und das Parlament in der Sommerpause weilen. Da kümmert sich einer. Doch war Merz auch merklich darauf bedacht, seine eigene Rolle zu relativieren, um nicht den Eindruck aufkommen zu lassen, die Regierungspolitik torpedieren zu wollen. 

Weder würde er Nebenaußenpolitik betreiben, noch Vermittler zwischen den Regierungen sein, versicherte er am Freitagmorgen im Deutschlandfunk. Er sei Vertreter der Bundesrepublik Deutschland und mache sich als solcher ein Bild von der Lage. Die Reise sei schon seit Wochen geplant gewesen und habe nichts mit den aktuellen Spannungen zu tun.

Zwar zeigte Merz Verständnis für die "Enttäuschung" in Polen, mahnte eine insgesamt prägnantere außenpolitische Rolle Deutschlands an, doch fand der Oppositionschef auch verteidigende Worte für die Bundesregierung. So teile er etwa nicht den Eindruck des polnischen Vizeaußenministers, Deutschland übe sich beim Ringtausch in einem "Täuschungsmanöver" (mehr dazu lesen Sie hier), was er auch bei seinen Gesprächen in Warschau gesagt habe. "Ich habe versucht sie (die Vorwürfe, Anm. d. Red.) zu entkräften, ich konnte sie aber nicht durch die Bank entkräften", berichtete Merz am Donnerstag im Gespräch mit Phoenix

Schließlich hat Merz nur beschränkten Einfluss auf das Regierungshandeln, etwa bezüglich der Waffenlieferungen, wenngleich ihm als Oppositionsführer eine wichtige Rolle im Bundestag zukommt. Folglich konnte er sich gar nicht als engagierterer Quasi-Kanzler präsentieren: Er hätte Erwartungen geschürt, die er nicht erfüllen kann. Dafür konnte Merz sein Profil als Oppositionsführer schärfen, vernünftig im Umgang und sachlich in der Kritik, der sich vor Ort über die Lage beugt, bevor er sie im Bundestag kritisiert.    

Das macht Eindruck, zumindest in Polen: "Er führte eine andere Sprache als Angela Merkel oder der jetzige Kanzler Olaf Scholz, der mitten in der kompromittierendsten Lage der deutschen Politik seit 1945 meint, sein Land solle Verantwortung für Europa übernehmen", kommentierte die regierungsnahe Warschauer Zeitung "Gazeta Polska" den Besuch. "Dafür würde sich wohl der Spruch 'kopflos wie Deutschland' einprägen. Es sieht so aus, als ob Merz, wenn Scholz die Macht verliert, dieses Bild ändern könnte."

Auch das dürfte Friedrich Merz gefallen haben.