Wikileaks-Enthüllungen Deutsche Botschafter schreiben auch aggressiv

  • von Hans Peter Schütz
Berlin arbeitet die US-Depeschen auf - und gibt sich total locker. Allen voran Außenminister Guido Westerwelle. Seine Zurückhaltung hat auch einen Grund, den er nicht an die große Glocke hängt.

In Washington ist man schwer geschockt. Doch Guido Westerwelle gibt sich dennoch super-locker. Als er nach der montäglichen Sitzung des FDP-Präsidiums von den Journalisten gefragt wird, wie er denn finde, dass die Berliner US-Botschaft ihn als ausgeprägten politischen Schlaffi beschreibt, macht er auf lässig: "Ach, ach", sagt er und lächelt, "ich habe von Ihnen, meine Herren, schon ganz andere Sachen lesen müssen."

Und was hält er davon, dass er in Washington gemeldet wird als: ein Mann, dem "es fehlt an Persönlichkeit"; dass er noch nicht über die "nötige Fachkompetenz in Außen- und Sicherheitspolitik verfüge"; dass er "aggressiv" sei und "no Genscher"? Auch da lächelt der Außenminister geradezu entzückt und belegt das diplomatische Runtergeputze seiner Person in den geheimen Depeschen des State Departments mit dem Satz: "Das ist unbedeutend." Das Urteil über seine Person kümmere ihn nicht. "Das ist nicht wichtig", sagt er und lächelt erneut.

Informant soll FDP-Mitglied sein

An dieser Stelle wird damit eindrucksvoll belegt, dass der geheime Informant des amerikanischen Botschafters an der Spree, wenn es ihn denn gibt - angeblich ein "junger aufstrebender Parteigänger" der Liberalen - seinen Parteichef sehr gut kennt. Denn der habe, so wird in den Papieren behauptet, einen "etwas kantigen Sinn für Humor".

Andererseits gibt es diesen liberalen Agenten im Dienst der USA natürlich sowieso nicht. "Ich glaube solche Geschichten nicht", sagt Westerwelle. Im übrigen habe er in die Mitarbeiterschaft der FDP ganz großes Vertrauen.

Mitarbeiter reden über seine Ablösung

Dass die liberalen Mitarbeiter sich vergangene Woche mit dem Thema der Ablösung von Westerwelle als FDP-Chef in genau diesem Raum, in dem er jetzt spricht, bei einer Geburtstagsfeier überaus amüsiert haben, das verdrängt er locker. Zu den "verschiedenen wichtigen politischen Fragen", mit denen sich an diesem Vormittag FDP-Präsidium und Bundesvorstand beschäftigt haben, gehörte auch, ob private Gläubiger bei EU-Finanzskandalen künftig in Haftung genommen werden sollen. Ja, verkündet Westerwelle stolz: "Wir behalten die Hand auf unserem Portemonnaie."

Doch das interessiert nicht einen einzigen Journalisten. Keine einzige Frage dazu. Weil in den geheimen Papieren steht, der deutsche Außenminister habe bisher "sehr wenig eigene Ideen zur Lösung internationaler Probleme" entwickelt?

Westerwelle übt den Wahlkampf

Alles egal, was es da zu lesen gibt, ist die Devise Westerwelles. Man arbeite eng und freundschaftlich mit der US-Regierung zusammen, und das werde auch so bleiben. Seine Laune sei ungetrübt, er freue sich auf die Neuwahlen in Hamburg, fügt er in einem kleinen thematischen Exkurs hinzu. "Das Modell Schwarz-Grün ist in Hamburg ein toter Vogel." Und weil er schon bald an der Elbe Wahlkampf machen muss, übt er ein wenig vor der Presse: "Ob Sonne oder Regen, die Grünen sind dagegen."

Unbestreitbar allerdings ist: So locker wie Westerwelle geht das restliche politische Berlin nicht mit den Wikileaks-Enthüllungen um. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert darf zwar zunächst verkünden, was keinen in der Bundespressekonferenz interessiert: Dass im Internet jetzt ein virtueller Rundgang durchs Kanzleramt möglich sei, selbst die Glocke der Kanzlerin auf dem Kabinettstisch könne besichtigt werden. Fragen dazu? Nicht eine.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Nur wenige Minister namentlich genannt

Gefragt wird dann aber nur nach "Angela 'Teflon' Merkel", wie die Kanzlerin in den US-Dokumenten genannt wird. Erste Frage: Nur wenige Minister würden namentlich genannt. Sind diese wichtig und die nicht genannten unwichtig? Antwort Seibert: "Dass nur wichtig ist, wer sich in den Papieren wieder findet, teilt die Bundesregierung nicht."

Frage an Andreas Peschke, den Sprecher des Auswärtigen Amtes: Fertigen die deutschen Botschafter im Ausland auch derartige Berichte an wie die amerikanischen Diplomaten? Antwort Peschke: "Der deutsche Diplomat arbeitet sachorientiert, analytisch und im Interesse unseres Landes." Soll heißen: Bei uns ist alles amtsbürokratisch paletti. Dass es durchaus auch analytische Arbeit gewesen sein könnte, wenn der US-Botschafter den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer einen "unberechenbaren Politiker" und den Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel eine "schräge Wahl" nennt, auf diese Diskussion lässt sich Peschke nicht ein.

"Freundschaft nicht beschädigt"

Unterm Strich wird schließlich mitgeteilt: "Die deutsch-amerikanische Freundschaft ist so robust, dass sie durch die Veröffentlichungen nicht beschädigt wird". Man werde "sich im Außenministerium in gewohnter Gründlichkeit mit dem Vorgang auseinandersetzen"; "Westerwelle und die Bundeskanzlerin arbeiten sehr gut und vertrauensvoll zusammen".

Womit dann alles weitere auch klar ist. Die Bundesregierung wird sich "nicht detektivistisch" auf die Suche nach dem FDP-Informanten begeben, falls es den doch geben sollte. Jetzt werde erst einmal alles gesichtet, fügt Seibert wolkig hinzu. "Auf der Basis der Sichtung wird man sich Gedanken machen." Konkrete Kommentare verweigern alle Regierungssprecher strikt.

"Das Wörtchen aggressiv kommt vor"

Nur an einer Stelle bricht durch, weshalb man so zurückhaltend über die US-Berichte über deutsche Spitzenpolitiker urteilt. Frage ans Auswärtige Amt: Welche Adjektive benutzen denn die deutschen Botschafter in ihren Berichten nach Berlin? Antwort: "Der Sprachgebrauch richtet sich nach der Angemessenheit." Und nach kurzem Zögern wird zugegeben: "Das Wörtchen aggressiv kommt in den Berichten der deutschen Diplomaten schon auch vor."

Na also, die diplomatische Welt ist irgendwie doch uniform. Jeder versucht, jeden zu enthüllen.