Der Macher macht einen angegriffenen Eindruck in diesen Tagen. Wolfgang Clement, von Amts wegen zum Optimismus verpflichtet, wirkt müde und dünnhäutig, die Mundwinkel hängen auf 20 vor 4. Alles hat sich gegen ihn verschworen. Seit Wochen plagt ihn die Bandscheibe, mit zusammengebissenen Zähnen schleppt er sich durch die Termine. Sein geliebter VfL Bochum rast fast unaufhaltsam Richtung Zweite Liga, der SPD in Nordrhein-Westfalen droht im Mai nach vier Jahrzehnten Herrschaft die Abwahl, und die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist so dramatisch wie noch nie seit Gründung der Bundesrepublik.
"5,2 Millionen Arbeitslose sind eine schrecklich hohe Zahl", gab Clement Donnerstag voriger Woche vor 400 bayerischen Managern in München zu. Und: "Es ist leider so, dass wir bisher im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit nicht erfolgreich gewesen sind."
Nicht mal schöner trinken kann sich der Wirtschafts- und Arbeitsminister die Lage. Fastenzeit ist "Trockenzeit" für Clement. Nach seiner Rede saß der 64-Jährige, der ein kleines Pils in 1,5 Sekunden kippen kann, in der rustikalen Zirbelstube im Haus der Bayerischen Wirtschaft, hielt sich an einem alkoholfreien Bier fest und haderte mit dem ungewöhnlich langen Winter. Er erwartet nicht, dass die Zahl der Arbeitslosen bis zum Wahltag in NRW wieder unter die hässliche Fünf-Millionen-Marke sinken wird. Normalerweise, sinnierte er, würden es im März automatisch 100000 weniger, "aber bei diesem Scheißwetter kann man das vergessen".
Das Wetter! So sieht es der verantwortliche Minister. Die panischen nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten dagegen haben einen anderen Schuldigen für ihre Misere ausgemacht: den ehemaligen NRW-Ministerpräsidenten Clement.
Wolfgang der Wählerschreck.
Die Liste der Vorwürfe gegen ihn ist lang. Die 5,2 Millionen! Das Chaos um Hartz IV! Das Palaver um geringere Unternehmenssteuern! Immer diese unausgegorenen Vorschläge! Clement verjagt unsere Stammkundschaft, sagen sie. Er ist rücksichtslos, klagen sie. Was macht er überhaupt, um Jobs zu schaffen?, fragen sie. Das war Wolfgangs Werk!, wetterten die Genossen schon nach dem unerwartet schlechten Abschneiden der SPD bei der Wahl in Schleswig-Holstein. Zwar verlangt noch niemand offen Clements Demission. Aber in Berlin und Düsseldorf streuen Parteifeinde im Schutz der Anonymität, nach einer SPD-Niederlage am 22. Mai sei der Minister "fällig". In den nächsten Wochen werde es "ganz eng für Clement", orakelt ein Spitzengenosse.
Gerade haben vier Bundestagsabgeordnete aus NRW seine Politik in einem Aufruf als "abwegig" gegeißelt. Hinterfotzig verteidigt ihn der saarländische SPD-Chef Heiko Maas: Ein Rücktritt Clements - "das würde nur einen Arbeitslosen mehr schaffen". Sogar sein Freund und Nachfolger Peer Steinbrück klagt, dass Clement zu häufig "wie Zieten aus dem Busch kommt, obwohl noch kein konsistentes Konzept vorliegt".

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Vom Superminister zum Sündenbock, vom Reservekanzler zum Risikofaktor - Clement ist rasant abgestürzt. Zwei Drittel der Deutschen sind unzufrieden mit seiner Leistung - sogar FDP-Chef Guido Westerwelle kommt besser weg. Und nur noch jeder fünfte traut der rot-grünen Koalition zu, die Konjunktur anzukurbeln und für mehr Jobs zu sorgen.
Clement war Schröders Wunderwaffe, seine Reformrakete. Die wandelnde Wirtschaftskompetenz. Ungeliebt in der SPD, aber hoch geachtet in den Vorstandsetagen, sollte er Deutschland modernisieren, für Wachstum sorgen, die Hartz-Konzepte umsetzen, Aufbruchstimmung verbreiten und die Arbeitslosigkeit senken.
Der Budenzauberer
legte ordentlich los. Er machte und tat, redete und rödelte. Doch die Wirkung verpuffte, die Wunderwaffe ging häufig nach hinten los. Der Aufschwung kam nicht, so sehr der Wirtschaftsminister ihn herbeibetete. Seit drei Jahren leidet Deutschland unter Stagnation. "Das ist genauso schlimm wie eine Rezession", klagt ein Kabinettskollege.
Wolfgang Clement verkörpert so zwei Krisen zugleich: die Krise des Landes und die Krise der Regierung. Er ahnt, dass nun "einige ihr Mütchen an mir kühlen wollen". Es gehört zu seiner Rolle. Auch dafür hat ihn Schröder schließlich ins Kabinett geholt: als Prügelknaben, falls die Operation Hartz schief läuft. "Die Verantwortung liegt eindeutig beim Bundeswirtschaftsminister", hatte der Kanzler zu Jahresbeginn dem stern gesagt.
Seine Macht speiste Clement stets aus zwei Quellen. Die eine war der Rückhalt beim Kanzler. Der schwindet. Die andere war sein Ansehen jenseits der SPD. Das hat schwer gelitten. Der einst so mächtig scheinende Superminister wirkt heute ziemlich machtlos. Er flüchtet sich in Sarkasmus: "Mehr als 56 Prozent Zustimmung zu meinen Vorschlägen erwarte ich nirgendwo mehr", sagt er. 56,7 Prozent - das war das entwürdigende Ergebnis, das er zuletzt bei der Wahl zum stellvertretenden SPD-Vorsitzenden erzielt hatte, ohne Gegenkandidat. "Das war der Höhepunkt meines politischen Lebens in der SPD."
Journalisten lieben ihn
für solche Sätze. In der SPD hasst man ihn dafür. Auch das ist ein Teil seines Problems: Demut kennt Wolfgang Clement so wenig wie Joschka Fischer, der zweite aktuelle Problemfall der Regierung.
Deshalb macht er es, erst einmal angeschlagen, seinen Gegnern auch so leicht, sich zu rächen. Als Buhmann ist er die Idealbesetzung. Dabei hat er längst nicht alles, was ihm derzeit angelastet wird, allein zu verantworten. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe hat ein SPD-Parteitag abgesegnet, Hartz IV haben Regierung und Opposition gemeinsam verabschiedet, und es war der ausdrückliche Wille aller, dass arbeitsfähige Stützebezieher aus der Versenkung geholt werden. Jetzt sind 370000 davon in der Arbeitslosenstatistik aufgetaucht. Aber nur Clement scheint schuld zu sein.
Allerdings hatte er das Problem auf die leichte Schulter genommen. Noch Anfang Januar zeigte er sich "fast bereit zu wetten", dass "die fünf Millionen nicht erreicht" würden. Nur seine Pressesprecherin hielt ihn davon ab. Mitte Januar war dann klar, dass es anders kommen würde.
Clement liess es geschehen,
zum Ärger der SPD-Zentrale und des Kanzleramtes. Mit ein paar Rechentricks, lautete der Vorwurf, hätte der Minister dafür sorgen können, dass die Horrorzahl erst einen Monat später erreicht worden wäre, nach der so wichtigen Schleswig-Holstein-Wahl. Er versaute den Strategen den erhofften "Dreisprung": Erst siegt Rot-Grün klar in Kiel, verteidigt danach gestärkt die Macht in Düsseldorf und gewinnt schließlich auch 2006 im Bund.
Aus der Traum. Statt in der Offensive befindet sich die Koalition im Abwehrkampf. Die Unionsführer Angela Merkel und Edmund Stoiber treiben Schröder vor sich her, die Regierung wirkt ratlos, selbst die durchaus vorhandenen guten Nachrichten dringen nicht durch. Es gibt weniger Pleiten, es werden wieder mehr Unternehmen gegründet, dank der Minijob-Reform geht die Schwarzarbeit erstmals seit langer Zeit zurück, die Zahl der Erwerbstätigen steigt, und die Unternehmen stellen zum ersten Mal seit fünf Jahren wieder mehr Lehrlinge ein - ein persönlicher Erfolg für Clement. All die positiven Meldungen versendeten sich, und der Wirtschaftsminister trug dazu bei.
Statt stoisch durchzuregieren,
wie es der Kanzler und SPD-Fraktionschef Franz Müntefering gern gesehen hätten, eröffnete Polit-Sponti Clement angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit einen Zwei-Fronten-Krieg. Weil einige Gemeinden sogar Koma-Patienten als arbeitsfähige Hartz-IV-Empfänger meldeten, wollte Clement den Kommunen gleich pauschal die Bundeszuschüsse kürzen. Und nachdem er mit dem neuen BDI-Präsidenten Jürgen Thumann mal gemeinsam im Flieger gesessen hatte, wollte er sofort die Unternehmenssteuersätze in Deutschland senken. Seither schütteln die wenigen wohlmeinenden Genossen den Kopf über Clement, und die bösartigen streuen, er habe die Debatten nur angezettelt, um von den eigenen Hartz-Problemen abzulenken.
Clements Stärke ist zugleich seine größte Schwäche: Der gelernte Journalist sprudelt über vor Ideen, die er sofort in die Welt posaunen muss, ohne Rücksicht auf ihre Durchsetzbarkeit.
Was hat er in den gut zwei Jahren, seit er in Berlin mitregiert, nicht alles vorgeschlagen: Arbeitszeit verlängern. Feiertage streichen. Ladenschluss abschaffen. Kündigungen erleichtern. Honorarordnung für Architekten aufheben. Nichts davon wurde Wirklichkeit. Für die Forderung, den Sparerfreibetrag zur Haushaltssanierung einzukassieren, handelte er sich einen derben Rüffel des Kanzlers ein.
Und was hat er nicht alles versprochen: Die Arbeitslosigkeit kann halbiert werden. Vollbeschäftigung ist möglich. Ausbildungsplätze gibt es für alle. So sieht er sich: der Möglich-Macher. Leider stellt sich ihm immer irgendwer in den Weg: Der Eichel. Der Müntefering. Manchmal Schröder. Und ganz oft die Realität.
Wenn er könnte, wie er wollte, würde er gern die Wirtschaft richtig ankurbeln. Also bei der Steuerreform "noch 'ne Schippe drauflegen", für das Handwerk "die Lohnnebenkosten oder die Mehrwertsteuer halbieren". Aber das, grummelt Clement, sei leider in Zeiten klammer Kassen "nicht darstellbar".
Selbst wenn er inhaltlich Recht hat, gelingt es dem Dickschädel, alle gegen sich aufzubringen. Dass die deutschen Steuersätze für Unternehmen im internationalen Wettbewerb hoch sind, ist unter Experten unbestritten. Auch Kanzler und Kassenwart wollen sie senken - nur nicht sofort. Sie müssen und wollen auf den Haushalt, die soziale Seele der SPD und den unionsbeherrschten Bundesrat Rücksicht nehmen. Sie setzen auf den üblichen Ausweg: ein Sachverständigen-Gutachten bis Jahresende.
Der ungestüme Clement
inszenierte einen öffentlichen Showdown mit Eichel - und verlor. Schröder ließ sogar den Regierungssprecher auf seinen Superminister los - eine Demütigung. Im Autoradio musste er hören: "Schröder lässt Clement im Steuerstreit zurückpfeifen." Der gefürchtete Wüterich brüllte am Autotelefon einige Leute zusammen, aber der Makel blieb. Gegen den Kassenwart den Kürzeren gezogen, vom Kanzler vorgeführt - auch das sagt viel über den gesunkenen Stellenwert von Clement aus.
Der selbst sieht das naturgemäß nicht so. Gut, er hat eine Schlacht verloren, den Krieg noch nicht. Er wird weiterkämpfen. Für niedrigere Unternehmenssteuern und weitere Sozialreformen, vor allem für eine Sanierung der maroden Pflegeversicherung. Nicht an St. Nimmerlein, sondern vor 2006. Sonst ist es zu spät, für das Land und die Regierung.
Ruhe bewahren und abwarten, bis Hartz wirkt - das reicht nicht, das hat er auch Schröder und Müntefering gesagt, in aller Schärfe: "Ich bin es leid, mir anzuhören, was wir alles nach der Wahl machen. Dann sind wir tot."