Der Spieler macht Geschichte. Sagen wir etwas vorsichtiger: kann Geschichte machen. Denn er spielt mit höchstem Einsatz, hat alles auf Rot gesetzt, und noch ist höchst ungewiss, wo die Kugel im Roulett der Mächte am Ende ausrollen wird. Der Spieler kann alles gewinnen oder alles verlieren. Doch eines müssen wir uns schon heute klar machen, auch wenn das Richtige und das Falsche, das Taktische und das Grundsätzliche, das Kleindeutsche und das Globale so eng und verwirrend miteinander verwoben sind, dass noch kein eindeutiges Muster erkennbar wird: Gerhard Schröders Feldzug gegen den Krieg im Irak kann die Welt verändern, den Traum Washingtons vom amerikanischen Empire mindestens stören, wenn nicht gar dauerhaft zerstören.
Sagen Sie nicht gleich, das sei zu hoch gegriffen, Bombast, Schwulst, Propaganda gar. Es geht nicht darum, den Kanzler zu loben - dafür ist er gerade in dieser Sache zu angreifbar. Doch wenn wir die Perspektiven sorgfältig trennen, die enge deutsche und die weite internationale, dann sagt uns die nüchterne Analyse: Der Spieler vom Marktplatz der Wahlkämpfe ist zum Global Player aufgestiegen. Deutschland dehnt den Spielraum seiner wiedergewonnenen Souveränität bis zum Äußersten, so weit und so risikobeladen, dass es heute als politische Großmacht wahrgenommen wird. Weder Russen noch Chinesen oder Franzosen - und die Briten schon gar nicht - bieten den Amerikanern derart Paroli.
Selbst unsicher, schwankend, hypernervös
Mögen uns auch die Finger zittern: Die Deutschen sind, im Augenblick jedenfalls, die wichtigste politische Gegenmacht der Amerikaner. Selbst unsicher, schwankend, hypernervös. Im Ausland mit höchst zwiespältigen Gefühlen beäugt: schäumend vor Zorn (in Washington), irritiert (in London), zweifelnd (in Paris). Und doch ist die Hartleibigkeit der Deutschen - bis in die USA hinein - der Kristallisationspunkt des Widerstands gegen das "neue Rom", wie nicht nur deutsche Politiker das machtbesoffen arrogante Washington bei Visiten empfinden.
Sorgfältig kalkuliert, bis zum Ende durchdacht war das freilich nicht. Ganz im Gegenteil. Schröder ist eine Spielernatur - er wechselt Themen und Positionen so eruptiv, wie Kinder die eben noch innig bespielte Lok in die Ecke feuern, um den Baukasten hervorzuziehen. Instinkt und Augenblickseingebung treiben ihn weit mehr als Analyse oder gar fest verwurzelte Überzeugung.
"goddamn campaign"
Als er im vergangenen August den scheinbar schon verlorenen Wahlkampf mit dem Thema Krieg und Frieden herumriss, war das noch von Augenzwinkern gen Washington begleitet: Leute, ihr versteht doch, Wahlkampf ... George W. Bush verstand, wenn auch zunehmend ungeduldig, und fragte Joschka Fischer in New York, wann denn diese "goddamn campaign" endlich vorüber sei. Kaum war die Wahl gelaufen, da drehten die Deutschen auch schon bei: Überflugrechte, Bundeswehrsoldaten in Awacs-Flugzeugen und zur Bewachung von US-Kasernen, "Patriot"-Raketen für Israel, hilfreiche Spürpanzer in Kuwait. Fischer öffnete gar die Option auf ein Ja zum Krieg im Weltsicherheitsrat. Doch das Manöver zermalmte Schröders Glaubwürdigkeit - und die "campaign" begann aufs Neue. Wieder trieb die Not des Wahlkampfs: In Goslar schleuderte Schröder Bush entgegen, ein Ja im Sicherheitsrat sei ausgeschlossen. Triumphierend ergriffen die Franzosen die Chance, die Deutschen den Amerikanern und Briten zu entfremden, sich selbst aber alle Optionen offen zu halten.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Am Ende ist Schröder reif für den Rücktritt - oder fürs Geschichtsbuch
Nun ist die Sache nicht mehr rückholbar: Der Blechtrommler von Goslar hat global gewaltiges Echo gefunden. Zwei Szenarien sind denkbar. Das Szenario der Niederlage: Gerade Schröders Widerspenstigkeit zwingt Bush in den Krieg, Frankreich wechselt im letzten Moment die Seite, die Deutschen sind isoliert, das Verhältnis zu den USA liegt in Trümmern. Das Szenario des Sieges: Die wichtigsten Alliierten - auch Tony Blair - wenden sich ab von den USA, weil ihnen ihre Völker sonst die Gefolgschaft verweigern, der Konflikt wird zur Geburtsstunde der politischen und militärischen Einigung Europas, Nato und Vereinte Nationen werden demokratisiert, der Alte Kontinent steigt zur Weltmacht auf. Es ist alles drin: Im ersten Fall wäre Schröder außenpolitisch am Ende, reif für den Rücktritt. Im zweiten Fall ginge er in die Geschichtsbücher ein.
Übrigens: Haben Sie schon mal nachgedacht, warum ausgerechnet jetzt Schröders Ehe in einer europafeindlichen englischen Zeitung zum Thema einer rufmörderischen Kampagne wird?