Von Bayern lernen heißt verlieren lernen. Das war mal anders, aber das ist eine Weile her. Verlieren lernt Bayern nicht erst durch den aktuellen Feldzug der CSU für die Wiedereinführung der Pendlerpauschale, den die einst erfolgsverwöhnte Regierungspartei ganz im Stile eines Oppositionswahlkampfs inszeniert - so zahnlos wie vergebens. Es begann schon eher: mit dem schärfsten Rauchergesetz Deutschlands, das im Dezember nach einem gruppendynamischen Kurzschluss in der christsozialen Landtagsfraktion beschlossen wurde und das Günther Beckstein, der Ministerpräsident, nun auch noch als Modell für alle anderen Länder anzudienen versucht. Es ist ein Desaster. Wer sich darauf einließe, hätte das Schicksal der CSU zu gewärtigen. Von Bayern lernen ...
8000 bis 10.000 Wirtshäuser sind zu Raucherklubs geworden.
Die Bürger tanzen dem Staat auf der Nase herum, die CSU zerstört ihr Markenzeichen: Recht und Ordnung
Denn als sich eine Rebellion der Raucher gegen das fatale Machwerk erhob, stürzte die CSU bei der Kommunalwahl im März auf 40 Prozent ab - ihr miserabelstes Ergebnis seit mehr als 40 Jahren. Die Umfragen für die Landtagswahl am 28. September taxieren sie nun auf 48 bis 50 Prozent. "50 minus X" - das wäre die größte Katastrophe in der Geschichte der Partei.
Gut möglich, dass diese Katastrophe am 30. Juli schon programmiert wurde. Denn an jenem Tag, drei Stunden nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Rauchergesetzen, verkündete Beckstein, für Bayern ergebe sich daraus "kein gesetzlicher Handlungsbedarf ".
Drei Stunden, in denen er den bayerischen Raucherkrieg mit einem klugen Schachzug hätte beenden können, ohne das Gesicht zu verlieren. Zwei Wege hatte Karlsruhe für gangbar erklärt: striktes Rauchverbot in allen Gaststätten, wie es nur in Bayern im Gesetzblatt steht, oder Toleranz für Raucher in Eckkneipen und Nebenräumen von Restaurants, wie es nun bundesweit die Regel geworden ist. Wir schließen uns dieser Praxis an, sie entspricht auch der weiß-blauen Tradition von "Leben und leben lassen", hätte Beckstein argumentieren können - und zwischen Main und Isar wäre der Landfrieden ausgebrochen.
Doch er verfiel in Angststarre, statt sich zu bewegen. Bloß keinen Fehler zugeben, bloß nicht wanken! Man nennt das Selbstmord aus Angst vor dem Tod. Dabei war an der Spitze der CSU längst die Einsicht gereift, dass das Rauchergesetz durch und durch lebensfremd ist. Wirte und Raucher, ein gutes Viertel der Bevölkerung, liefen derart Sturm dagegen, dass in Kommunalwahl-Panik wenigstens das Rauchen in Bierzelten befristet wieder erlaubt worden war - eine Lex Oktoberfest, das in München eine Woche vor der Landtagswahl beginnt. Becksteins Starrsinn wird politische Folgen haben. Man muss sich den Abend des 30. Juli nur aus der Sicht bayerischer Raucher vorstellen. In den Fernsehnachrichten erleben sie den Jubel befreiter Kneipenbesucher aus ganz Deutschland - sie selbst aber sitzen weiter in bayerischer Einzelhaft. Und sind zur Rebellion verdammt.
Also erobert schwarzer Anarchismus den Freistaat - und rollt die Christsozialen auf. Weil in geschlossenen Gesellschaften geraucht werden darf, haben sich schon 8000 bis 10.000 Gaststätten in Raucherklubs umgewandelt, schätzt der Verein zum Erhalt der bayerischen Wirtshauskultur - nach dem ADAC und Bayern München der drittstärkste Verein des Freistaats, der für die Abwahl der CSU trommelt. In Augsburg sperrt die Hälfte aller Cafés, Bars, Clubs und Discos Nichtraucher aus. Damit werde es für Nichtraucher immer schwieriger auszugehen, klagte ein Sprecher der Stadt. In kleineren Gemeinden gibt es kaum noch Kneipen, die keine Raucherklubs sind. Im Allgäu erklärte sich eine Pilsbar zum Laientheater, täglich wird das Stück aufgeführt: Bayern vor dem Rauchverbot. Am Bodensee schlug ein Wirt ein Zelt in der Gaststube auf, denn darin - siehe Oktoberfest - darf ja Tabak genossen werden.

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So witzig das auch erscheinen mag, für die CSU ist es kein Spaß mehr. Der Widerstand trifft sie ins Herz: Recht und Ordnung, Achtung vor dem Gesetz waren einst ihre Kernbotschaften. Damit erhob sie sich über die angebliche Rechtsverluderung der Nordlichter. Nun zerstört sie selbst ihr Markenzeichen. Bayern bizarr: Es gilt das schärfste Rauchergesetz - und dennoch wird so viel, so aufsässig gequalmt wie in keinem anderen Land. Die Bürger tanzen dem Staat auf der Nase herum - und der toleriert das. Wollte er den Raucherklubs nämlich den Garaus machen, loderte die Empörung noch heller.
Paart sich Arroganz mit Ignoranz, zerfällt die Macht. Die SPD, die das bayerische Rauchverbot mitbeschlossen hatte, ist nach dem Karlsruher Urteil umgeschwenkt. Die FDP, bislang außerparlamentarisch in Opposition, hat es immer vehement abgelehnt - die jüngsten Umfragen sehen sie prompt im Landtag. Die Frage wird am Wahltag entschieden. Für die CSU heißt das wohl, verlieren lernen - und Demut.