Es ist ein Spiel mit der Angst. Seit jeher. Taktierend und zynisch. Wird in Deutschland der Kündigungsschutz zur Debatte gestellt, greifen die Verteidiger der Festung Sozialstaat routiniert zur schweren Streitaxt der ideologischen Frühzeit. Schon der erste Hieb spaltet das Hirn: Wehret amerikanischen Verhältnissen! Die sind offenbar besonders grauenerregend - auch wenn die Arbeitslosigkeit dort weit niedriger liegt als hierzulande. Reicht das noch nicht, wird dem Uneinsichtigen rhetorisch ganz der Kopf abgeschlagen: Generalangriff des Kapitals, Rollback von einem Jahrhundert sozialem Fortschritt!
Deutschland ist das Land der Angst, und wer sich fürchtet - vor Krieg und großer Krise -, der klammert sich an scheinbar Bewährtes. Den Kündigungsschutz lockern, ausgerechnet jetzt, wo die Arbeitslosigkeit Rekorde erklimmt? Um neue Jobs zu schaffen? Wer‘s glaubt? Schon der Begriff ist irreführend: Lockerung des Kündigungsschutzes. Seit Jahren läuft die Debatte unter diesem Label, und seit Jahren kommt sie deshalb nicht voran. Weil dieser Stempel den Verdacht nährt, Ehernes werde mit finsterer Absicht vom Rande her zersetzt. Und weil er jene, die den Streit wagen, in die Defensive drängt: zu verwirrender Detail- statt erhellender Fundamentalkritik.
Eine Fiktion
Dabei ist das Kündigungsschutzrecht reif dafür, vollständig neu gefasst zu werden. Denn es ist ein Paradebeispiel dafür, wie das deutsche Sozialsystem geradezu das Gegenteil dessen bewirkt, was es einst wollte. Schon der Grundgedanke, in Zeiten endlos scheinender Prosperität geboren, ist verkehrt: Das Kündigungsschutzgesetz erweist sich als der gescheiterte Versuch, die Maßstäbe des öffentlichen Dienstes auf die Privatwirtschaft zu übertragen. Die Unkündbarkeit als Regelfall eines Berufslebens - eine Fiktion, die ein ganzes System von sozialen, moralischen und ökonomischen Verwerfungen gezeugt hat. Diese Widersprüche haben das Recht längst zu einem monströsen Abfindungsbasar verkommen lassen.
Eher "schützt" das Gesetz vor Einstellung, als dass es der Entlassung einen Riegel vorschiebt. Betriebe mit maximal fünf Beschäftigten unterliegen nicht dem Kündigungsschutz - und diese willkürliche Grenzziehung hat sich tief in die deutsche Wirtschaft eingegraben. 1,46 Millionen Firmen gibt es unterhalb dieser Schwelle, lediglich 260000 beschäftigen dagegen sechs bis neun Mitarbeiter und 200000 Firmen zehn bis 19 Menschen. Der Sprung von fünf auf sechs Beschäftigte - und damit ins Minenfeld der Kündigungsschutzklagen und des Abfindungspokers - ist erkennbar abschreckend. Da Großkonzerne systematisch Beschäftigung abbauen, ist der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit aber nur zu gewinnen, wenn im Kleinen mehr Beschäftigung entsteht.
Das Recht ist nur noch ein monströser Basar der Abfindungen
Geradezu ruinöse Folgen hat das Prinzip der Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen. Junge, Ledige und die zuletzt Gekommenen müssen als Erste gehen. Das heißt in der Praxis nichts anderes, als dass sich die Betriebe ihre eigene Zukunft abschneiden (müssen), indem sie die Flexibelsten, Leistungsstärksten und Motiviertesten an die Luft setzen. Ganze Firmen können auf diese Weise ins Kippen kommen: die Erschöpften, Trägen, Angepassten bleiben zurück.

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Ein entwürdigendes Mobbing
Überhaupt ist es ein Widersinn ohnegleichen, dass Kündigungen wegen mangelnder Leistung ausgeschlossen sind. Den einzigen Ausweg bietet in krassen Fällen des Versagens die mehrfache Abmahnung, die aber auch nur mit Zustimmung des Betriebsrats, ersatzweise des Arbeitsgerichts, wirksam wird - ein entwürdigendes Mobbing. Wie sollen sich Firmen behaupten, die eisigem Wettbewerb ausgesetzt sind, bei der Auswahl ihrer Leute aber nicht nach Leistungskriterien urteilen dürfen? Das Regiment des Mittelmaßes führt unweigerlich zu einer mittelmäßigen Wirtschaft - und exakt dies ist die deutsche Krankheit.
Ein rundum erneuertes Recht, das Firmen bis 20 Mitarbeiter freistellt und sich darüber hinaus auf anständige Kündigungsfristen und gesetzlich fixierte Abfindungen für die Jahre der Betriebszugehörigkeit beschränkt, die Sozialauswahl beseitigt und leistungsbedingte Kündigungen erlaubt, es wäre das Gebot der Stunde. Und vielleicht der Einstieg in eine Gesellschaft, die sich irgendwann getraut, ganz Abschied zu nehmen vom Patriarchat des Staates im Arbeitsleben. Die Politik wird dazu jetzt nicht den Mut aufbringen. Aber jene, die für Veränderung kämpfen, verdienen jede Unterstützung. Es ist ein Testfall für die Vitalität des Landes.