Kindergärten, Kitas, Schulen und Universitäten – sie alle mussten aufgrund der Kontaktbeschränkungen gegen die Ausbreitung des Coronavirus schließen. Die Kinder kehren nun an vielen Stellen wieder zurück in ihr alltägliches Leben, die Universitäten bleiben weiterhin geschlossen.
In einem offenen Brief unter dem Titel "Zur Verteidigung der Präsenzlehre", zu dessen Erstunterzeichnenden viele Germanistik-Dozenten gehören, plädieren nach aktuellem Stand weit über 2000 Lehrende für die baldige Rückkehr zur Präsenzlehre an den Universitäten.
"Persönliche Gespräche lassen sich nicht verlustfrei in virtuelle Formate übertragen"
Die Universität sei ein Ort der Begegnung. Wissen, Erkenntnis, Kritik und Innovation entstünden nur durch Begegnungen. In dem Brief heißt es, "für diesen gesellschaftlichen Raum können virtuelle Formate keinen vollständigen Ersatz bieten". Außerdem gehe in der prägenden Phase des Studiums der Gemeinschaftsaspekt verloren, wenn Studierende keine Netzwerke und Freundschaften für das spätere Leben knüpfen könnten. In dem Brief wird betont, wie wichtig kritischer Austausch für den wissenschaftlichen Diskurs sei. "Dafür, so sind sich Soziologie, Erziehungs-, Kognitions- und Geisteswissenschaften völlig einig, ist das Gespräch zwischen Anwesenden noch immer die beste Grundlage. Auch dies lässt sich nicht verlustfrei in virtuelle Formate übertragen."
Im Inforadio des RBB betonte Johannes Lehmann, Germanistik-Professor an der Universität Bonn und einer der Initiatoren des Briefes, die soziale Bedeutung der Präsenzlehre: "Die soziale Schere geht nicht nur an den Schulen auseinander, sondern auch an der Universität. Wir verlieren eine ganz bestimmte Gruppe von Studierenden, die den Raum der Universitäten unbedingt brauchen." Denn die Universität sei ein Ort der Gleichheit. Diese Gleichheitsräume brächen weg, wenn alle in ihre privaten Herkünfte geschickt und dort alleingelassen würden.
Abkehr von Digitalisierung der Lehre könnte wie ein Rückschritt wirken
Zu Beginn des offenen Briefes betonen die Unterzeichnenden, wie wichtig Elemente des digitalen Lehrens in den letzten Jahren gewesen seien und dass sie vor allem während der Coronakrise die Rettung des Universitätsbetriebes darstellen würden. Was jedoch fehlt sind Vorschläge, wie die positive Entwicklung in der Digitalisierung, die jetzt durch zwingende Notwendigkeit nach vorne getrieben wurde, auch weiterhin gefördert wird. Eine zu schnelle Rückkehr zu bekannten Strukturen könnte für Studierende schnell wie ein Rückschritt in der Modernisierung aussehen.
Die Hochschulen hatten das laufende Sommersemester im April wegen der Corona-Pandemie als "Online-Semester" begonnen. Die Lehrveranstaltungen im Wintersemester, das am 1. Oktober beginnt, sollen nicht vor dem 1. November starten. Darauf hatten sich die Kultusminister der Länder im April verständigt.
Quellen: Offener Brief "Zur Verteidigung der Präsenzlehre", mit Material der dpa