Christian Lindner ist ein Politiker, der keinem Streit aus dem Weg geht. Für einen Finanzminister ist das ein durchaus vorteilhafter Wesenszug, weil er schon qua Amt fortwährend im Clinch mit seinen Kabinettskollegen liegt. Die wollen Geld, wovon der Bundeskassenwart behauptet, dass es nicht vorhanden sei. Und ein Verhinderer steht meistens nicht so gut da, wie ein Ermöglicher. Deshalb darf man als Finanzminister nicht wehleidig sein.
Besonders gerne trägt Lindner Konflikte öffentlich aus. Jetzt hat er die Vorstellung der Eckpunkte für den nächsten Haushalt verschoben. Eine Pressekonferenz in der nächsten Woche, die erst am Donnerstagnachmittag angekündigt worden war, flog am Freitag schon wieder aus den Kalendern. Wahrscheinlich geschah das erste nur, um das zweite überhaupt zu ermöglichen. Denn der Finanzminister, der zugleich als Parteichef stets Aufmerksamkeit für seine vom Untergang bedrohte Truppe gewinnen muss, weiß, wie man politischen Entscheidungen in der Öffentlichkeit einen dramatisierenden Wumms verleiht. Die Geräuschkulisse ist dem FDP-Vorsitzenden Lindner fast so wichtig wie dem Finanzminister ein ausgeglichener Etat.
Denn Christian Lindner leidet nicht an seinem Kampf allein gegen fast alle. Im Gegenteil: Er versteht ihn als politisches Programm. Und einen Mann hat er dabei besonders im Auge: Olaf Scholz. Das Beharren auf der Schuldenbremse, die Forderung nach einer Priorisierung der Ausgaben, schlicht: das Bekenntnis dazu, dass der Staat nicht alle Wünsche erfüllen kann und soll, das alles ist aus Lindners Perspektive auch die Aufforderung an den Bundeskanzler, sich hinter die strenge Politik des Finanzministers zu stellen. Es geht um das Signal, dass die FDP in der Regierung auch etwas zu sagen hat und nicht nur Olaf Scholz die Mehrheit zum Kanzlern verschafft.
Scholz hatte als Finanzminister Wahlkampf stets im Blick
Scholz war selbst Finanzminister. In der großen Koalition aber hatte er stets einen Wahlkampf um die Nachfolge Angela Merkels fest vor Augen. Deshalb ging es ihm gerade nicht um den Eindruck, er trachte nach dem Schulterschluss mit der Kanzlerin, um einen Haushalt aufzustellen. Olaf Scholz‘ feste Überzeugung, dass er sowieso alles am besten hinkriegt, wenn er sich vor allem auf Olaf Scholz verlässt, kam ihm in dieser Funktion besonders gelegen.
Zudem gab ihm die Corona-Pandemie die Möglichkeit, ohne schlechtes Gewissen viel Geld auszugeben und die Schuldenbremse zu vernachlässigen. Man kann sogar sagen, dass er anderenfalls wohl nie Kanzler geworden wäre, weil das viele Geld auch dazu diente, die Differenzen zwischen der SPD und ihrem ungeliebten Frontmann zu überbrücken.
Für Lindner ist die Lage völlig anders. Nach Extra-Etats jenseits des offiziellen Haushalts in Höhe von insgesamt 300 Milliarden Euro ist es höchste Zeit für den Finanzminister, sein Image zu korrigieren. Mit einem Haushalt, der ohne großes Aufsehen durchginge, würde der Finanzminister in der liberalen Anhängerschaft sofort den Verdacht erwecken, mit Steuergeld nicht sorgsam genug umzugehen. Deshalb muss um jeden Euro öffentlichkeitswirksam gerungen werden. Deshalb schrieb der Finanzminister einen stilistisch aufgebrezelten Brief mit verfassungsrechtlichen Belehrungen an den Vizekanzler von den Grünen. Deshalb will er nun am Mittwoch im Kabinett Grundsätze der Haushaltsbildung diskutieren lassen. Es soll im Protokoll offiziell vermerkt werden, dass die Zeit der Großzügigkeit vorbei ist und fortan wieder die Schuldenbremse regiert. Abgesegnet vom Bundeskanzler. Und durchgesetzt von Christian Lindner.