Raub, Steuerhinterziehung, Totschlag … an Straftaten wie diese denkt man bei einer Gefängnisstrafe. Doch Hochrechnungen zufolge gibt es jedes Jahr auch etwa 7700 Personen, die wegen Schwarzfahrens in Haft müssen, weil sie ohne Ticket in Bus oder Bahn saßen. "Schwarzfahren, oder besser gesagt, das 'Erschleichen von Leistungen', ist seit 1935 eine Straftat in Deutschland. Das geht zurück auf eine Strafrechtsnovelle der Nazis", erklärt stern-Redakteur Nico Schnurr in der 470. Folge des Podcasts "heute wichtig". Seitdem hat keine Regierung den Paragrafen 265a abgeschafft, der besonders häufig Menschen in Armut betrifft – und deren Situation sich durch die Haft oft deutlich verschlimmert.
7700 Menschen in Deutschland sitzen jedes Jahr in Haft wegen Schwarzfahrens
Heiko Fischer war einer dieser 7700 Menschen. Er ist 46 Jahre alt und musste selbst insgesamt ein Jahr und vier Monate in Haft, weil er ohne Ticket in der Bahn fuhr und mehrfach erwischt wurde: "Ich musste jeden Tag zum Arzt fahren, das Ticket zu kaufen war mir nicht möglich. Drei bis vier Mal wurde ich beim Schwarzfahren erwischt und bin dann in Haft gelandet", berichtet er im Podcast. Fischer war drogenabhängig und bekam deshalb das Geld für ein Ticket nicht zusammen.
Wie ihm geht es einem Großteil der Menschen, die wegen dieses Straftatbestands in Haft landen. Das erklärt der stern-Redakteur Nico Schnurr, der zu diesem Thema recherchiert hat: "Eine Untersuchung aus Nordrhein-Westfalen zeigt: 77 Prozent davon sind arbeitslos. Jeder Vierte ist drogenabhängig, jeder Fünfte ist obdachlos und Jeder sechste ist suizidgefährdet." Was in anderen Ländern als Ordnungswidrigkeit gilt, führt in Deutschland dazu, dass es besonders arme Menschen noch schwerer haben. In Haft muss zum Beispiel, wer sich die abzuleistende Geldstrafe nicht leisten kann – die sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe – oder wer bereits eine Vorstrafe hat und erwischt wird.
Das 49-Euro-Ticket ist teurer als der Bürgergeld-Regelsatz für "Verkehr"
Nico Schnurr hat mit vielen Betroffenen gesprochen. Die meisten von ihnen würden die Bahntickets gern bezahlen, können es sich jedoch schlicht nicht leisten. Wer zum Beispiel Bürgergeld bekommt, kriegt für den Bereich "Verkehr" einen Regelsatz von aktuell 45,02 Euro im Monat. Das heißt im Umkehrschluss: Selbst das aktuell geplante 49-Euro-Ticket ist zu teuer für die Menschen, die es besonders dringend benötigen würden. Ein Ende des Paragrafen ist nur bedingt in Sicht, sagt Schnurr: "Die Bundesregierung hat zumindest angekündigt, dieses Jahr mal darüber nachzudenken, zu überprüfen, inwiefern Schwarzfahren überhaupt noch eine Straftat sein sollte."
Schweden macht es besser
Ein alternatives Modell könnte die gesetzliche Regelung in Schweden sein. Dort prüft eine Behörde bei wiederholten Verstößen, ob die ertappten Personen nicht zahlungswillig sind, oder tatsächlich nicht zahlungsfähig, erklärt Nico Schnurr: "Wenn jemand wirklich nicht das Geld hat, so ein Ticket zu bezahlen, wird er dafür auch nicht weiter verfolgt. Das müssen die Betroffenen auch nicht selbst nachweisen, sondern ein Amt." Dafür säßen in Schweden jährlich nur etwa 20 Personen in Haft wegen Schwarzfahrens, im Gegensatz zu den 7700 in Deutschland. "Das spart die Schweden eine Menge Geld, die man hier auch dafür nutzen könnte, einen sozial gerechteren öffentlichen Nahverkehr einzurichten, der für alle erschwinglich und verfügbar ist," so Schnurr.
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