Arthur ist 15 und er ist ziemlich sauer. Keiner seiner Klassenkameraden wollte mit zum globalen Klimastreik. Stolz reckt er sein Schild vor dem Brandenburger Tor in die Höhe und sagt: "Den anderen war die Mathestunde wichtiger als die Zukunft unseres Planeten."
Er stellt sich auf die Zehenspitzen, reckt den Hals und dreht sich einmal im Kreis: "Ich bin zwar etwas klein, aber es sieht zumindest so aus, als wären viele Menschen gekommen."
Es ist der 13. globale Klimastreik, fünf Jahre nachdem Greta Thunberg das erste Mal mit ihrem Schild "Skolstrik for Klimatet" vor dem Schwedischen Parlament saß. In über 250 Städten hat Fridays for Future in Deutschland heute Demonstrationen angemeldet. Alleine in Berlin hofften die Veranstalter auf 10.000 Teilnehmer.
"Es gibt keinen zweiten Planeten"
Um 12 Uhr beginnen sie sich vor dem Brandenburger Tor zu sammeln. Gekommen sind Luisa Neubauer, die Band Juli und der Musiker Bosse und etwa 24.000 andere Menschen – zumindest laut Fridays for Future. Die Polizei zählte etwa halb so viele. Sind das jetzt viele oder wenig? Zu wenig oder genug?
Die Fridays for Future Demo sieht so aus wie immer: Riesige Banner auf denen steht: "Es gibt keinen zweiten Planeten." Mit Helium-gefüllte Plastik-Erdbälle schweben über den Menschen. Die Sonne scheint, die Teilnehmer schmieren sich Sonnencreme auf die Nasen. Auf der Bühne moderieren zwei junge Frauen, sie rufen: "What do we want?" die Menge antwortet: "Climate Justice!"
Aber nur mal zum Vergleich: Am 20. September 2019, also auf die Woche genau vor fünf Jahren, sind in Berlin 270.000 Menschen dem Aufruf zum globalen Klimastreik gefolgt, deutschlandweit 1,4 Millionen. Damals wussten die Menschen noch nichts von einer Corona Pandemie und für ein Kilowatt Gas zahlte man im Schnitt 1,70 Cent. Das ist heute anders. Und Fridays for Future, so attestieren Protestforscher, steckt in einer Aufmerksamkeitskrise.
Luisa Neubauer widerspricht. Vor dem Brandenburger Tor hält sie die Eröffnungsrede und sagt: "Es ist leicht, sich klein reden zu lassen." Immerhin, in über 250 Städten habe man auch heute wieder Menschen zum Klimastreik mobilisiert, ruft sie. "Das ist keine Kleinigkeit!" Die Regierung trampele seit fünf Jahren auf ihren Klimazielen herum. "Der Skandal des heutigen Tages ist es, dass es uns nach fünf Jahren immer noch braucht."
Die Forderungen der Bewegung sind konkret: Sie wollen, dass die Bundesregierung des Klimagesetz stärkt, und nicht schwächt. Die im Klimagesetz verankerten Sektorziele für Emissionseinsparungen sollen deswegen bestehen bleiben. Ein Klimageld soll endlich kommen, um die Folgen der Klimakrise sozial auszugleichen. Die Klimademonstranten – 24.000 oder 12.000 – ziehen durch die Häuserschluchten des Berliner Regierungsviertels. Techno Bässe dröhnen und sie singen. "Das sind nicht UNSERE Klimaziele, sondern IHRE Ziele, Herr Scholz", ruft Luisa Neubauer und die Teilnehmer jubeln.
"Baby for Future"
Viele Menschen sind heute hier, weil ihnen die Zeichen der Klimakrise Angst machen. Pauline Fröhlich ist 32, ihr Baby schläft in einer Tragetasche, die sie wie einen Rucksack vor ihrem Bauch trägt. Darauf hängt ein Schild - "Baby for Future". Ihre Familie in Griechenland erzählt ihr immer wieder von Bränden und im Slowenienurlaub haben Freunde die Hochwasserkatastrophe mitbekommen. "Man kann ja gar nicht mehr nicht über den Klimawandel sprechen."
Die Influencerin Lou ist auch zum Brandenburger Tor gekommen. Sie wippt leicht zum Beat von "Geile Zeit", das Juli gerade auf der Bühne performt. Ob ihr auffällt, dass weniger Menschen hier sind als früher? "Es sind vor allem nicht mehr nur junge Menschen hier", sagt sie. Eine Instagram-Story zum Klimaprotest hat sie schon gemacht. 95.000 Menschen folgen ihr in den sozialen Netzwerken.
Die Corona-Krise bedeutete für die Bewegung und ihre wöchentlichen Demonstrationen erstmal eine Zäsur. Im letzten Jahr, als Großproteste endlich wieder zugelassen waren, steckt Deutschland mitten in einer Energiekrise. Keine Zeit für Klimaschutz, wenn ein kalter Winter droht. Und jetzt auch noch die Letzte Generation.
Der Hass auf die Aktionen der Protestgruppe, das sagte Fridays-Sprecherin Darya Sotoodeh dem stern, sei enorm. Trotzdem haben Fridays for Future und die Letzte Generation gemeinsam zu den Protesten heute aufgerufen. Keine Klebe-Aktionen – das war der Deal. Luisa Neubauer betont nochmal: "Wichtig ist nicht, dass wir uns auf eine Protestform einigen können. Sondern dass wir uns darauf einigen, dass es Protest braucht."
Manche reihen sich in der Mittagspause ein
Am Rand der Demonstration bleiben Männer im Anzug und Frauen in schicken Kostümen stehen. Mittagspause im Regierungsviertel. Der Lobbyist einer großen Bank beobachtet den Zug und sagt: "Klar fühlt man sich da angesprochen." Fridays for Future habe in seinem Unternehmen schon Prozesse angestoßen. "Inzwischen ist allen klar, dass man hier an der grünen Transition nicht vorbeikommt."
Anpassung an die Folgen der Klimakrise: Diese Städte sind am besten vorbereitet

Die ungarische Hauptstadt Budapest sieht die Forschungsgruppe auf diesem Feld weit vorne. Ungarn entschied vor zwei Jahren, schon 2025 aus der Kohlekraft auszusteigen. Stattdessen soll auf Atomkraft und Solarenergie gesetzt werden. Ein aufwendiges Gebäudesanierungsprogramm fördert umweltfreundlichere Häuser, durch Wärmedämmung, den Austausch von Fenstern oder die Nutzung erneuerbarer Energien. Auch soll der Autoverkehr halbiert und das Fernwärmenetz massiv ausgebaut werden. Schafft die Stadt die vorgenommene Wende, könnte das die Emissionen von ganz Ungarn um fünf Prozent reduzieren, schreibt die Friedrich-Ebert-Stiftung in einem Bericht.
Noch ein Mann im grauen Anzug läuft auf dem sauberen Bürgersteig neben der Demonstration entlang. Auf einmal zieht er sein Jacket aus, wirft es sich über den Arm und wechselt dann auf die Straße. "Ich habe Mittagspause, da kann ich auch teilnehmen", sagt er. Er reiht sich bei den Demonstranten ein. Seinen Namen will er nicht sagen, er arbeitet im Auswärtigen Amt, erklärt er.
Wie er die Demonstration findet? "Na, wichtig!" sagt er. "Als Privatperson kann ich sagen: Ich finde, wir könnten noch mehr für den Klimaschutz tun."