Hinter der Geschichte Wie mich ein Konzert in Kiew ratlos zurückließ

Hinter der Geschichte: Wie mich ein Konzert in Kiew ratlos zurückließ
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Anfang des Jahres begleitete ich die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt nach Kiew und besuchte mit ihr ein Konzert. Bis heute zweifle ich, was ich davon in Deutschland erzählen soll.

Making-of – so heißt unser neues Format auf stern.de. Wir wollen Ihnen einen persönlichen Blick hinter die Kulissen ermöglichen, aus unserem journalistischen Alltag erzählen, davon, was wir bei Recherchen erleben und was uns in der Redaktion bewegt. Wir beginnen mit einer kleinen Serie, in der wir auf unsere Momente des Jahres 2023 zurückblicken.

Es war das erste Mal, dass ich in ein Land im Krieg fuhr und ich war entsprechend nervös. Ja, in Kiew war die Front im Februar 2023 schon ziemlich weit weg und ich sollte die Grüne Katrin Göring-Eckardt begleiten, weshalb für Kriegsgebiete ausgebildete BKA-Leute dabei waren. Aber ich hatte eben auch Schussweste und Helm dabei und mir die Luftalarm-App heruntergeladen. Göring-Eckardt merkte mir wohl an, dass ich aufgeregt war, ein paar Tage vor der Abreise versicherte sie: Es wird alles viel normaler sein als ich es mir vorstelle. 

Und tatsächlich, es brauchte nur ein paar Stunden in Kiew, bis ich entspannter wurde. Alles war viel normaler als ich es mir je hätte vorstellen können. An einer Sehenswürdigkeit lief jemand im Minion-Kostüm herum – falls Touristen Fotos machen wollten. Im Hotel gab es ein großes Frühstück mit Blick über die Stadt. In der Minibar lagen neben Alkohol auch Hanf-Kaugummis und Kondome, was zwar nicht normal, aber eben auch kein Kriegszustand war.

Und dann gingen wir auf ein Konzert, etwas außerhalb der Stadt. Zhadan i Sobaky sollte spielen, die Ska-Band des Schriftstellers Serhij Zhadan. Die Bar war holzverkleidet, an den Wänden hingen Fahnen und Leuchtschrift-Werbung, die Menschen dort waren jung, trugen Schlaghosen mit Schlangenmuster und Tattoos über den Hals. 

Die Naivität ist heute ein bisschen peinlich

Doch bevor die Band auf die Bühne trat, wurde es plötzlich dunkel. Ich dachte, und diese Naivität ist mir im Nachhinein etwas peinlich, das Konzert würde los gehen, doch die Leute fingen nicht an zu jubeln, niemand ging näher an die Bühne, keine Musik. Genau genommen passierte gar nichts, die Konzertbesucher ignorierten die Dunkelheit, redeten weiter und tranken ihr Bier. Es war mal wieder ein Stromausfall – Normalität für die Leute dort, für mich ein Zeichen, dass eben nichts ganz normal war. 

Kathrin Göring-Eckardt mit Journalisten
Vor dem Konzert fiel plötzlich der Strom aus – das Gespräch von Kathrin Göring-Eckardt (rechts) mit den Journalisten (Autorin links) musste mit Handy-Taschenlampe geführt werden
© privat

Kurz darauf ging es dann wirklich los, Zhadan schrie ins Mikrofon, die Masse schrie mit. Er war verkleidet als Clown, zwischendurch versteigerte er irgendwelche Gegenstände und ich verstand wirklich gar nicht, was abging. Das war schade, denn, so viel verstand ich dann schon, natürlich ging es um den Krieg, das Land, den Widerstand gegen Russland. „Slava Ukraini“, riefen die Leute immer wieder – Sieg der Ukraine

Für mich war es die ganze Reise über sehr schwer zu entscheiden, was ich mit der Außenwelt teilen wollte, was ich in Artikeln aufschrieb und was ich bei Twitter (damals wirklich noch Twitter!) posten sollte. Ich war für eine Woche in diesem Land. Aber andere Leute lebten da ja, sie waren immer wieder dort oder hatten Verwandte in der Stadt – viele hatten geliebte Menschen verloren. Für mich war es eine Woche spannender Eindrücke, für andere war es Alltag. Mir kam es respektlos vor, meine Erkenntnisse mitzuteilen oder so zu tun, als hätte ich irgendetwas besser verstanden als andere. Ich war also eher zurückhaltend, teilte meine Beobachtungen mit Freunden und meiner Familie, aber schrieb öffentlich kaum etwas.

Zurück in der deutschen Netz-Realität

Nach diesem Konzert änderte sich das, ich hatte das Gefühl, das sollte man zeigen: Die Leute hier lassen sich nicht unterkriegen, sie feiern weiter, sie machen sich schick, sie trinken Bier. Also twitterte ich ein Video von dem Konzert. Und dann passierte, was ich (mit meiner bescheidenen Twitter-Reichweite) bisher nie erlebt hatte. 

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Das Video geriet in die falschen Kreise. Lauter Trolle kommentierten, sie sahen das Video als Beweis für alles Mögliche: dafür, dass in Wahrheit gar kein Krieg in der Ukraine herrschte; dafür, dass die Grünen Menschen im Krieg kämpfen lassen und selbst tanzen gehen; für den Kriegstourismus von „denen da oben“. Es war das erste Mal, dass ich meine Mitteilungen bei Twitter ausstellte und alle blockte, die kommentierten. Ich wusste, dass sie unrecht hatten, aber ich fragte mich zugleich, ob ich es einfach nicht hätte posten sollen, ob es mehr Einordnung gebraucht hätte, ob es respektlos war. 

Damals hätte ich gedacht, dass ich noch andauernd an diesen Tag zurückdenken werde, an dieses Konzert, an die Stimmung in dem Land. Dass ich jede Nachricht aus der Ukraine nun ganz anders wahrnehmen würde. Ehrlich gesagt: So ist es nicht gekommen. Ich denke kaum an dieses Konzert, ich lese längst nicht mehr jede Meldung aus der Ukraine, ich habe die Luftalarm-App vor ein paar Wochen von meinem Handy gelöscht. 

Aber jetzt, beim Schreiben dieses Textes, habe ich nochmal nachgeschaut: Zhadan i Sobaky spielen weiter, nicht nur in Kiew, auch in Charkiw, Dnipro und Odessa. Hoffentlich irgendwann wieder ohne Stromausfälle.