Der Weg zu Neuwahlen in Schleswig-Holstein ist frei. Nach dem Bruch der großen Koalition und der Entlassung aller vier SPD-Minister verlor Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) am Donnerstag wie von ihm angestrebt die Vertrauensfrage. Nun soll der Landtag am 27. September, dem Tag der Bundestagswahl, neu gewählt werden. Danach wollen CDU und FDP gemeinsam regieren. Dies wäre nach den jüngsten Umfragen gut möglich.
In der namentlichen Abstimmung votierte die Opposition aus SPD, FDP, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) geschlossen mit Nein und verweigerte dem Ministerpräsidenten damit das Vertrauen. Bis auf einen enthielten sich alle CDU-Abgeordneten der Stimme, auch der Ministerpräsident selbst. Nur Landtagspräsident Martin Kayenburg (CDU) stimmte mit Ja. "Ich bin der Meinung, dass das eine unechte Vertrauensfrage ist", sagte Kayenburg vor dem Votum. Insgesamt gab es 37 Nein-Stimmen, 28 Enthaltungen und 1 Ja-Stimme.
Die Vertrauensfrage
Regierungschefs in Bund und Ländern können mit einem Antrag an das Parlament überprüfen lassen, ob sie noch die Zustimmung der Mehrheit der Abgeordneten haben. Dieser Antrag wird als Vertrauensfrage bezeichnet. Mit ihrer Hilfe kann ein Bundeskanzler oder ein Ministerpräsident strittige Beschlüsse im Parlament durchsetzen: Er verbindet die Zustimmung zu einer Sachfrage mit der Zustimmung zu seiner Person. Zuletzt wurde die Vertrauensfrage aber auch genutzt, um vorzeitige Neuwahlen zu erzwingen - etwa im Jahr 2005 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Die Partei des Regierungschefs stimmt dabei absichtlich nicht für ihren Spitzenmann und macht so den Weg zu Neuwahlen frei. Diese fingierte Vertrauensfrage war umstritten, hatte vor Gericht aber Bestand.
Carstensen und SPD-Fraktionschef Ralf Stegner hatten sich vor der Abstimmung noch einen heftigen Schlagabtausch geliefert. Beide machten sich in einer teils hitzigen, aber auch mit mahnenden Worten geführten Debatte gegenseitig für das Scheitern der großen Koalition verantwortlich. Außerdem warfen sie einander vor, die Unwahrheit gesagt zu haben.
"Das Vertrauen ist nachhaltig gestört"
"Dieses Bündnis aus CDU und SPD hat keine Zukunft", sagte Carstensen in der Debatte. "So wie bisher kann es nicht mehr weitergehen, denn das Vertrauen zwischen den ehemaligen Koalitionspartnern ist nachhaltig gestört." In dieser Konstellation sehe er keine Möglichkeit mehr, das Beste für das Land zu erreichen. Die SPD habe sich aus der gemeinsamen Verantwortung gestohlen. "Wir brauchen Neuwahlen", betonte der Ministerpräsident. "Die Erfahrungen der Vergangenheit zeigen, dass ich nicht auf eine SPD vertrauen kann, die von Herrn Dr. Stegner geführt wird." Er könne sich nicht sicher sein, dass Beschlüsse nicht nachträglich von Stegner hintertrieben werden und er künftig die notwendigen parlamentarischen Mehrheiten bekomme. Deshalb habe er die Vertrauensfrage gestellt.
Stegner warf dem Regierungschef und CDU-Landesvorsitzenden vor, er habe den Koalitionsbruch aus wahltaktischen Gründen herbeigeführt und seit Monaten vorbereitet. In den letzten Tagen habe Carstensen alles getan, um den letzten Rest von Vertrauen in ihn und seine "Rumpfregierung" zu zerstören. Die Entlassung der SPD-Minister sei verantwortungslos gewesen. Carstensens Vertrauensfrage sei unehrlich; vieles spreche dafür, dass dieses Vorgehen verfassungswidrig sei. Der ehrlichste Weg wäre ein Rücktritt gewesen, erklärte Stegner. "Ihnen fehlt jede Legitimation und Moral."
Carstensen sagte, Stegner habe das Regieren unberechenbar gemacht einen Dauerkonflikt mit Winkelzügen und Hintertürchen betrieben. Der Ministerpräsident betonte, dass er die von ihm entlassenen vier SPD-Minister fachlich und menschlich sehr schätze. Mit dem Nein zur Auflösung des Landtages habe die SPD ihn aber zur Entlassung und zur Vertrauensfrage gezwungen. Nicht persönlicher Streit zweier gegensätzlicher Charaktere habe zum Bruch geführt, sagte Carstensen. Vielmehr sei es um Auseinandersetzungen zwischen Parteien und Fraktionen, um verschiedene Konzepte und Grundhaltungen gegangen. "Es ist eine Auseinandersetzung über Verantwortung."
Stegner wertete Carstensens Vorgehen auch als eine Flucht vor der Umsetzung der weitreichenden Sparbeschlüsse der Koalition. Er selbst habe sich ohne Wenn und Aber zu diesen bekannt.
Erste Vertrauensfrage in einem Bundesland
Nach langer Koalitionskrise hatte die CDU in der vergangenen Woche das seit 2005 bestehende Regierungsbündnis mit der SPD aufgekündigt. Beim Versuch, den Landtag aufzulösen, verfehlten CDU und Opposition am Montag wegen des Widerstandes der SPD die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit. Danach stellte Carstensen die Vertrauensfrage und entließ die vier SPD-Minister. Es war das erste Mal, dass in einem Bundesland das Instrument der Vertrauensfrage angewendet wurde. In allen bisherigen Fällen von vorgezogenen Landtagswahlen hatten sich die Parlamente selbst aufgelöst.
FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki schloss erneut aus, dass die Liberalen eine Regierung mit der SPD unter Stegner bilden würden. Grünen-Kollege Karl-Martin Hentschel sagte, die "Scharfmacher" in der CDU-Fraktion hätten Carstensen den Weg diktiert. Hentschel äußerte verfassungsrechtliche Bedenken an der Korrektheit der Vertrauensfrage. Machterhalt sei Carstensen wichtiger gewesen als das Wohl des Landes.