Deutschland nach der Wahl Und fürchtet euch nicht!

  • von Frank Thomsen
Wird's eisig in Westerwelle-Deutschland? Kaum. Guido wird nerven, eine Zäsur erlebt nur die Linke: Ohne Münte, Oskar und Tabus kann eine neue Volkspartei entstehen.

Puh! So schnell, wie am Sonntagabend der Sieg von Schwarz-Gelb feststand, so lange dauert es, das Ergebnis der Bundestagswahl in seiner ganzen Spannweite zu erfassen. Zu sehr hängen noch die ersten Eindrücke fest: Bei der SPD die große Sprachlosigkeit, Münte klang, wie Münte immer klingt - doch das wirkte nur noch altbacken. Guido Westerwelle, dieser ewige Streber, der auf gereift macht, nervte schon bei der Elefantenrunde im Fernsehen mit seiner Der-Souverän-hat-mich!!-gewählt-Siegeslaune gleich wieder so sehr, dass man künftig wohl noch seltener "Tagesschau", die tägliche TV-Heimat eines deutschen Außenministers, einschalten wird. Und dass Nikolaus Brender, dessen Spitzen gegen die Politiker ganz schön eitel wirkten, noch lange Chefredakteur des ZDF sein wird, braucht nun endgültig niemand mehr zu glauben.

Merkel reist im Guidomobil

Doch das ist alles nicht so wichtig, verglichen mit dem, was die Wähler da angerührt haben. Politisch ist seit Sonntag alles anders in diesem Land. Ein Blick auf frühere Wahlen zeigt, wie viel sich verändert hat. Etwa bei der künftigen Regierungskoalition: Als Helmut Kohl 1983 als Bundeskanzler bestätigt wurde, erreichte die Union 48,8 Prozent der Stimmen - Angela Merkel hat 15 Prozentpunkte weniger. Kohls Koalitionspartner FDP erzielte damals 7 Prozent - an diesem Sonntag schafften die Liberalen mehr als das Doppelte. Von den 55 Prozent der Stimmen, die Kohl und Genscher damals zusammen hatten, brachte die FDP im Jahr 1983 also ein Sechstel ein. Ein echter Juniorpartner eben. Und heute? Von den insgesamt 48 Prozent von Union und FDP liefert Guido Westerwelle fast ein Drittel - Deutschland im Gelbfieber! Angela Merkel reist künftig im Guidomobil.

Die Zahlen zu den Wahlen illustrieren noch mehr Wandel. Die SPD hatte ihr bisher schlechtestes Ergebnis vor 56 Jahren erzielt, mit damals knapp 29 Prozent. Jetzt sind es 23. Gegenüber den Zeiten von Willy Brandt hat die Partei ihren Stimmenanteil damit halbiert. Sozialdemokratie hat abgewrackt. Beide Volksparteien, SPD und Union zusammengenommen, sind nur noch 56 Prozent der Wählerstimmen stark. Vor vier Jahren lag dieser Wert noch bei knapp 70 Prozent, davor jahrzehntelang bei 80 bis 90 Prozent.

Die direkte Folge dieser krassen Verschiebungen ist eine christliberale Koalition. Das hat es zuletzt von 1982 bis 1998 gegeben. Doch heute sind die Umstände ganz andere: Mit Schwarz-Gelb muss nun das Bündnis aus Marktwirtschaft und (Neo-)Liberalismus gegen die Folgen einer Krise aus Marktwirtschaft und (Neo-)Liberalismus ankämpfen. "Bild" und "FAZ" jubeln schon und fordern, was sie immer fordern: Steuern runter, Mindestlohn weg. Wem es da eiskalt den Rücken runter läuft, dem sei gesagt: Wird nicht so schlimm werden, wie es klingt. Noch jede Bundesregierung musste erkennen, dass es beim täglichen Regieren nicht um das Programm, sondern um die Lösung von Problemen geht. Und die sind riesig: mehr Arbeitslose, mehr Schulden, wenig Wachstum, leere Sozialkassen. Auf Grundsätze oder gar Wahlkampfaussagen kann man da nicht immer Rücksicht nehmen. Es hat ja in Deutschland eine gewisse Tradition, dass die Regierungen programmatisch eigentlich immer zu spät kommen. So musste ausgerechnet Rot-Grün das tun, was eher ins andere politische Lager gepasst hätte: hart durchgreifen und reformieren. Und die Große Koalition hat eine sehr sozialdemokratische Politik gemacht, jeder Reformeifer war von Angela Merkel gewichen.

Resozialisierungsmaßnahmen für die SPD

So dürfte etwas anderes das Wichtigste dieser Wahl sein: Nachdem die SPD von den Wählern die Höchststrafe kassiert hat, kann die Partei wie ein reuiger Sünder mit Resozialisierungsmaßnahmen beginnen. Ziel: die Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Davor nötig: Rente mit 69 für Parteichef Franz Müntefering, der im Januar 70 wird. Ein modernisiertes Programm, das gar nicht so links sein muss, wie manche meinen. Und das gezielte Hinarbeiten auf ein Bündnis mit der Linken, um die Kraft zu bündeln. Bis es so weit ist, wird noch eine Menge passieren. Oskar Lafontaine muss abdanken. Die SPD wird sicher den einen oder anderen Parteivorsitzenden verschleißen. Die Linke muss Realo werden. Die SPD die Zeit in der Opposition nutzen, mal wieder eine Antwort zu entwickeln auf die Frage: Warum SPD? Für all dies wird vielleicht die Zeit bis 2013 nicht reichen. Aber auch noch 2017 könnte eine vereinigte SPD/Linke eine frische, moderne Partei sein. Am Sonntag kamen beide addiert auf 35 Prozent. Mit einer SPD in besserer Form wären locker mehr als 40 Prozent drin. Allerdings, als jugendliche Hoffnung scheidet Klaus Wowereit dann auch nach politischen Best-Ager-Maßstäben langsam aus: 2013 wird er 60.

Dennoch: Wenn der gesunde Menschenverstand regiert, steht die Wahl vom Sonntag nicht für das Ende der Volksparteien, sondern für die Zeugung einer neuen.