Diese Woche 4 Punkte
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Wer hat sich das eigentlich ausgedacht? Dass Politiker immer wie Box-Champions in die Hallen gedröhnt werden, wenn sie Wahlkampfreden halten müssen? Bei Angela Merkel spielen sie neuerdings entweder brasilianisches Samba-Getrommel, "Start me up" und "Angie" oder "Viva Colonia" von "de Höhner", was alles eigentlich wenig Sinn ergibt. Bis auf "Angie" natürlich. Und es ist auch egal, ob gerade Wahlen verloren gegangen sind oder Ministerpräsidenten. Immer gibt's die Stones, die Trommeln oder de Höhner.
Sobald die Kanzlerin durch das Spalier irgendwelcher Schüler-Unionskinder schreitet, fährt der Mann am Sound die Regler voll hoch. Dann kommt's: "If you start me up. If you start me up I'll never stop. If you start me up ..." Das Stück ist wirklich eines von den schlimmeren Stücken der Rolling Stones. Und die Kanzlerin hat es in ihrer Jugend garantiert nie, nie gehört. Es ist ein Lied von Jungs für Jungs. Und wenn es durch die Halle tost und sie Hände schüttelt, tänzeln die CDUler in ihren Mischgewebsanzügen auf Bühne und im Saal so, als wäre das schon immer ihre Musik gewesen.
Bewundernswert, wie die Bundeskanzlerin das jedes Mal erträgt, ohne zu grinsen.
In dieser Woche wirkte das Stones-Stück besonders drollig. Denn da wiegte sich der 62jährige CDU-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein neben ihr im Takt. Peter-Harry Carstensen, stolz im Glanz der Kanzlerin. Und Mick Jagger gröhlte: "You, you, you make a grown man cry. You, you make a dead man come". Glücklicherweise können die meisten Leute ja gar nicht so gut englisch.
Ulrike Posche ist Autorin des stern
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Also, geht doch, yes, he can, a little bit wenigstens: Abgehen wie, Verzeihung, Schröders Katze. Frank-Walter Steinmeier rockt den Opernplatz in Hannover.
Da geht Genosse nämlich hin zum Wahlkampfauftakt, wenn er längst alle Hoffnung hat fahren lassen. 2002 war das so, als die Umfragen erbärmlich waren. Und 2005 auch, als sie noch eine Spur tiefer unter der Grasnarbe lagen. Und wer hat gewonnen? 2002: Schröder. 2005: Ebenfalls Schröder. Gefühlt wenigstens.
Jedenfalls startete die SPD respektive Schröder beide Male eine fulminante Aufholjagd von Hannover aus, und deshalb dreht Steinmeier an diesem Montag an diesem Platz der roten Hoffnung ordentlich auf. Ein "Fiasko" habe die CDU erlebt am Landtagswahlsonntag zuvor, möbelt er ins Publikum. "Schwarz-Gelb wird nicht gewollt - das ist die gute Botschaft."
Immerhin hat die SPD ja furiose 55 Prozent geholt, eine satte absolute Mehrheit, in Sachsen (10 Prozent), in Thüringen (20) und im Saarland (25), während die CDU in Sachsen bei schlappen 40 Prozent gelandet ist, mit der FDP eine Koalition bilden wird und… aber wer wird so kleinlich sein wollen. Im Wahlkampf muss man schon die große Bugwelle machen und richtig was verdrängen können. Das macht Steinmeier ganz ordentlich.
Unten in Reihe eins sitzt übrigens an diesem Tag der GROSSE ROTE AUFHOLJÄGER höchstpersönlich - daneben seine Doris - und guckt sich an, wie sein alter Adlatus sich jetzt da oben auf der Bühne abrackert. "Lieber Gerd, du warst ein mutiger Kanzler", röhrt er, "das unterscheidet dich von deiner Nachfolgerin". Auf der Steinmeier-Attackenskala ist das knapp unter zehn, nur wenig Luft nach oben. Das Publikum johlt, der Altkanzler grient. Selber auftreten und reden will/darf/muss er heute nicht. Das ist eine vergleichsweise kluge Entscheidung. Kein Schatten soll auf den Kandidaten fallen.
Der hat sich nun vollends in Ekstase und auf die Siegerstraße geredet: "Die SPD ist zurück. Die SPD will siegen - und sie kann siegen", röhrt Steinmeier.
Oder wie Schröder sagen würde, wenn man ihn denn ließe: Na, dann siecht mal schön!
Andreas Hoidn-Borchers leitet das Berliner stern-Büro