Es klingt nach einer eher sperrigen Nachricht, die im ersten Moment kaum jemand aufschrecken dürfte: Sigrid Nikutta, die Chefin der Schienengüterverkehrssparte der Deutschen Bahn, ziehe eine "fast vollständige Einstellung des Einzelwagenverkehrs in Betracht", vermeldet das "Handelsblatt".
So what? Irgendwo müssen sie bei der Bahn den Rotstift schließlich ansetzen. Und DB Cargo hängt seit Jahren tief in der Verlustzone. Doch hinter der vermeintlichen Kleinigkeit steckt eine Nachricht mit großer Wucht. Denn ohne den Einzelwagenverkehr liefe Deutschlands Wirtschaft – und mit ihr die europäische – aus der Spur. Ohne die rollende Pipeline funktioniert unsere Logistik nicht, sie hält große Teilen unserer Lieferketten zusammen.
Warum ist der Einzelwagenverkehr so wichtig?
Stahl-, Chemie- und Autoindustrie sind auf Güterzüge angewiesen, um ihre Chemikalien, Autos oder Bauteile zu transportieren. Aber auch Coca-Cola, Heineken oder Haribo setzen auf die Transportform. Diese Lieferungen werden im sogenannten Einzelwagenverkehr organisiert. Dabei wird aus einzelnen Waggons unterschiedlicher Verlader ein Güterzug zusammengestellt, der etwa von München ins Ruhrgebiet fährt und von dort über Lastwagen an die Großkunden verteilt wird.
Wichtig sind sie für viele Industrien gleich zweifach, für den Antransport der Vorprodukte und für den Abtransport und die Verteilung der hergestellten Produkte. Die rollende Pipeline sei das "Rückgrat vieler deutscher Schlüsselindustrien" und "Alleinstellungsmerkmal unseres Industriestandorts", urteilt denn auch der Bundesverband der Deutschen Industrie. Für den Container- und Gefahrguttransport spielt das Geschäft mit einzelnen Waggons eine wichtige Rolle. Zu Corona-Zeiten rollten aber auch schon mal Dutzende Waggons mit Pasta aus Italien nach Deutschland – als die Lkws an den Grenzen feststeckten.
Hinzu kommt, dass der Gütertransport über die Schiene deutlich klimafreundlicher ist und im Vergleich zum Lkw 80 Prozent weniger Treibhausgase verursacht. Mit dem Ausstieg aus dem Einzelwagenverkehr dürfte die Deutsche Bahn viele Kunden verprellen, die auf die Schiene setzen, um ihre CO2-Bilanz zu verbessern. Außerdem würde das Ziel, bis 2030 ein Viertel des Güterverkehrs auf die Schiene zu verlagern, in weite Ferne rücken.
Was macht den Einzelwagenverkehr so teuer?
Im Güterverkehr läuft sehr vieles noch analog. Auf den Rangierbahnhöfen geht es teils zu wie vor hundert Jahren. Die Wagenmeister laufen den Güterzug zum Beispiel zu Fuß ab, gekoppelt wird überwiegend von Hand. Allein die Bremsprobe dieser Züge dauert bis zu zwei Stunden, da es an digitalen Datenleitungen im Zug fehlt. Zum Vergleich: Bei einem ICE sind das fünf Minuten.
Das alles kostet viel Personal und Zeit, was den Transport in großen Teilen unrentabel macht. Verbesserungen sind in der Entwicklung. Doch bis zur digitalen Kupplung ist es noch ein weiter Weg, der Milliarden Euro kostet. Bis dahin wird der Einzelwagenverkehr für DB Cargo ein Verlustgeschäft bleiben, der ohne staatliche Subventionen nicht läuft. Nach Angaben der DB betreibt kein einziges europäisches Land diese Verkehrsart eigenwirtschaftlich.
Welche Rolle spielt DB Cargo beim Einzelwagenverkehr?
DB Cargo dominiert den Einzelwagenverkehr. Sie absolviert vier von zehn ihrer Tonnenkilometer mit einzelbestellten Waggons und kommt damit auf einen Marktanteil zwischen 80 und 90 Prozent. Im gesamten Schienengüterverkehr stemmen die Wettbewerber mehr Güter als der Staatskonzern. Der Grund ist simpel: Das Geschäft bringt Verluste, nur einige wenige Privatgüterbahnen fahren den Einzelverkehr rentabel.
Wird DB Cargo den Einzelwagenverkehr nun zurückfahren?
Davon könne keine Rede sein, heißt es bei der Bahn. DB Cargo setze weiter auf eine Wachstumsstrategie, allerdings müssten Strukturen schlanker und effizienter gemacht werden, um die Verluste zu reduzieren. Der Einzelwagenverkehr ist für fast 30 Prozent des Umsatzes bei DB Cargo verantwortlich, aber für einen deutlich höheren Anteil der Verluste – die lagen 2022 insgesamt bei 655 Mio. Euro. In diesem Jahr sollen es nur noch rund 225 Mio. Euro sein, so die Vorgabe des Bahnvorstands. Bis 2024 will die Frachttochter schwarze Zahlen schreiben.
Was macht die Bundesregierung?
Die Ampel-Koalition hat 300 Mio. Euro für den Einzelwagenverkehr im Bundeshaushalt vorgesehen. Bisher gab es 80 Mio. Euro Zuschuss. Das wäre ein deutlicher Sprung und ein klares Signal. DB Cargo dürfte den Großteil dieser Subvention einstreichen, da das Unternehmen den mit Abstand größten Fuhrpark hat.