Der Mann ist im Ankündigen ein Meister. Ob Stehplätze, Aufschläge für übergewichtige Passagiere oder Flugzeugtoiletten mit Münzschlitzen, Michael O'Leary, der Chef von Ryanair, weiß, wie man durch geschickte PR-Maßnahmen die Aufmerksamkeit auf sich lenkt und bei den Passagieren abkassiert.
Doch der Sprücheklopfer hat ein Problem: Nach Angaben des Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) ist 2014 der Marktanteil von Ryanair in Europa im wachsenden Segment der Billigflieger von 25,2 auf 23,1 Prozent gesunken. Jetzt möchte O'Leary in Deutschland expandieren, wie er in einem Interview im "Handelsblatt" ankündigt und die große Herausforderung benennt: "Es geht uns wie Lidl und Aldi: Wir wollen nicht mehr nur als Discounter wahrgenommen werden und uns allein über billige Preise definieren."
Der Billigflieger möchte plötzlich potenziellen Kunden entgegenkommen und nicht mehr von abgelegenen Flughäfen in der deutschen Provinz wie Hahn im Hünsrück, Memmingen im Allgäu oder Weeze am Niederrhein starten. "Wir reden derzeit mit acht deutschen Flughäfen, davon vier bis fünf Großflughäfen, die noch nicht zu unserem Netz gehören", so der Ryanair-Chef. Dabei steht München ganz oben auf seiner Wunschliste. Schon im Dezember posaunte Kenny Jacobs, der Marketingleiter von Ryanair, in der "Wirtschaftswoche": "Wir planen eine Basis mit eigenen Flugzeugen und einer ordentlich zweistelligen Zahl von Flügen, sonst macht das keinen Sinn."
Der schlechte Ruf von Ryanair
Ausgerechnet in München, dem für Lufthansa nach Frankfurt wichtigen Drehkreuz, sagt Ryanair den Kampf an und möchte dort wachsen. Doch ob Geschäftsleute, die als Meilensammler unterwegs und mit Vielfliegerkarte und Lounge-Zugang verwöhnt sind, wirklich in die Boeings des Billigfliegers steigen, bleibt mehr als fraglich. Denn Ryanair hat in weiten Teilen der Bevölkerung einen miserablen Ruf als Massentransporter, wie Studien gezeigt haben.
O'Leary bleibt unter Zugzwang, denn die Lufthansa hat in den vergangenen zwei Jahren den eigenen Billigflieger Germanwings erfolgreich etabliert und wird mit dem neuen Ableger Eurowings nicht nur europaweit im Billigsektor aktiv werden, sondern ab Jahresende dasselbe Konzept auch auf der Langstrecke anwenden. Damit kommt die Kranich-Airline einer Fernstreckenfantasie von Ryanair zuvor, die mit einer zweiten Marke für Transatlantikflüge liebäugeln.
Doch wie ernst es um die Expansionspläne von Ryanair steht, zeigen die Eröffnung einer Basis in Köln in diesem Winter und die Aufnahme erster Flüge von Hamburg nach Lissabon und Porto. Den vom Steuerzahler hoch subventionierten Abflughafen Lübeck haben die Iren längst aufgeben. "Es sind die Großflughäfen, die nun satte Rabatte für Wachstum anbieten", sagt O'Leary im Handelsblatt-Interview, ohne konkrete Namen zu nennen.
Attacke auf Air Berlin
Eher muss sich Deutschlands zweitgrößte Fluglinie in Acht nehmen, weil Ryanair auf Zielgruppen wie die preissensiblen Privat- und Geschäftsreisenden setzt. Noch hat Ryanair einen Marktanteil von rund vier Prozent in Deutschland, aber "in den nächsten drei bis vier Jahren streben wir eine Steigerung auf 15 bis 20 Prozent an", so O'Leary. "Wir werden dann größer als Air Berlin sein, die vermutlich weiter schrumpfen werden." Der Mann will also durchstarten. Nach Angaben des Analyse-Netzwerkes Anna Aero hat allein Ryanair im vergangenen Jahr 134 neue Routen in sein Netzwerk aufgenommen - mehr als jeder andere Airline weltweit.
In Spanien hat Ryanair den jetzt für Deutschland angekündigten Strategiewechsel längst vollzogen. Geschickt etablierten sich die Iren mitten in der Wirtschaftskrise als eine der wichtigsten innerspanischen Fluggesellschaften, insbesondere zu den Balearen und Kanaren. In Katalonien zum Beispiel hat Ryanair den Verkehr vom entlegenen Flughafen Girona nach Barcelona verlagert. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis Ryanair auch Flüge innerhalb Deutschlands anbietet. Der Preiskrieg dürfte in eine neue Runde gehen.
Entscheidend für die Akzeptanz bei Kunden dürfte neben dem Ticketpreis auch der Service werden. Gemeint sind damit nicht nur das Lächeln der Flugbegleiter, der Preis für den spontan aufgegebenen Koffer und den Becher Kaffee an Bord, sondern auch Szenarien wie Verspätung, Überbuchung oder Nichtbeförderung: Denn wie gut eine Fluggesellschaft ist, zeigt sich erst, wenn sie nicht fliegt. Wird ein Flug annulliert, aus welchen Gründen auch immer, sollte sich das Bodenpersonal der Airline um die betroffenen Fluggäste kümmern. Doch das ist bei Billigfliegern nicht immer der Fall. Für diese Passagiere beginnt dann statt der geplanten Flugreise eine Odyssee.