Heimo Liendl reist leidenschaftlich gerne. Doch seine Urlaube führen ihn an Orte, wo andere für kein Geld der Welt hinfahren würden. Seit er 24 Jahre alt ist, reist der Österreicher in Krisengebiete, Länder, die vor allem aufgrund von Autobomben, Geiselnahmen und Terror Schlagzeilen machen. Afghanistan, Irak, Somalia: Die Destinationen lesen sich wie eine Bucket-List des Schreckens für lebensmüde Touristen. Die Lust am Risiko spielt für ihn bei seinen Reisen dennoch nur eine untergeordnete Rolle. Dem stern erzählt der 58-Jährige, wie er zu seinem Hobby kam, was der Vorteil von Krisenregionen als Urlaubsziel ist und warum "es eben passieren" könne, als Barbesucher in Bagdad einen Revolver an den Kopf gehalten zu kommen.
Herr Liendl, Sie fliegen demnächst erneut nach Damaskus. Sind Sie eigentlich lebensmüde?
Heimo Liendl: Ich bin nicht lebensmüde, aber ich besuche gerne interessante Orte. Angefangen habe ich damals 1985 im Iran, weil mich das Land einfach fasziniert hat.
Es herrschte Krieg zu dieser Zeit.
Aber irgendwann gab es den Moment als Saddam Hussein ankündigte, er würde die Bombardierungen des Iraks auf den Iran für 14 Tage stoppen. Ich bin sofort losgefahren, mein Visum hatte ich schon. Ich hatte damals nur ein One-Way-Ticket für den Bus nach Teheran. Als ich ein Rückreiseticket kaufen wollte, gab es schon keine Busse mehr. Die Iraner flohen, wegen der Raketen. Jeder, der konnte, wollte das Land verlassen. Der nächste Bus wäre erst nach 14 Tagen gegangen. Ich musste das Land über Umwege verlassen und den letzten Teil des Weges zu Fuß zurücklegen. Da merkte ich, dass es auch möglich ist, ein Land zu bereisen, das sonst niemand bereist.
Andere hätten sich das Gegenteil gedacht. Sie sind während der Feuerpause zu Fuß durch den Iran gewandert?
Ich fuhr mit dem Bus über mehrere Stationen. Aber den letzten Teil bis zur türkischen Grenze musste ich zu Fuß gehen, weil es keine öffentliche Anbindung mehr gab.
Das klingt sehr abenteuerlich.
Es war auch schwierig, aber ich merkte: Es geht. Nach dem Krieg im Libanon war ich 1993 als einer der ersten Touristen in Beirut, 2003 als einer der ersten in Afghanistan. Die Menschen dort sind gierig nach Normalität. Das ist der Vorteil, wenn man als Tourist in ein kriegsgebeuteltes Land reist. Man wird sehr freundlich aufgenommen. 2017 war ich in Libyen. Alle wollten Selfies und sprachen mich an, auch wenn sie kein Englisch konnten oder Französisch.
Sie waren immer schon am Nahen Osten interessiert?
Nicht nur, vergangenen Herbst war ich im Südsudan, im Sommer werde ich mir die zentralafrikanische Republik ansehen. Aber der Nahe Osten ist einfach spannend. Ich fahre demnächst wieder kurz nach Damaskus, bloß um die Lage vor Ort auszuchecken. Danach möchte ich nochmal nach Syrien fahren und das ganze Land bereisen.
Ist Ihnen Syrien nicht zu riskant?
Risiko gibt es immer. Ich war das letzte Mal 2017 vier Tage in Damaskus. Da hörte man den ganzen Tag die Einschläge von den Bombardierungen in der umliegenden Gegend, ununterbrochen, immer dasselbe Geräusch. Als uns unser Führer erklärte, dass sich jede Woche ein bis zweimal eine Granate der Assad-Gegner verirrt und in Damaskus einschlägt, fingen wir an zu rechnen. Wir wussten, wenn einmal in der Woche eine Granate einschlägt und wir vier Tage dort sind, wie hoch ist da schon die statistische Wahrscheinlichkeit, dass es uns trifft?
Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit?
Wir wussten, während unseres Aufenthaltes würde es wohl auch einen Einschlag geben. Exakt in dem Moment zu sein, wo eine Granate einschlägt, war nicht sehr wahrscheinlich. Aber wenn man an das Leben dort nicht gewöhnt ist, bekommt man den Gedanken daran nicht mehr aus dem Kopf. Wir hatten ja auch schon die Krater der Einschläge gesehen.

Haben Sie eine Familie?
Meine Mutter lebt noch, ist 90 und ich habe eine Schwester. Aber engere Verwandte habe ich sonst nicht. Ich kenne mittlerweile viele Menschen, die dieselben Reisen machen wie ich. Weil man immer wieder dieselben Leute trifft. 80 Prozent davon sind ledig oder geschieden und haben keine Kinder. Nur die wenigsten haben Kinder.Ihr dreitägiger Mogadischu-Ausflug wäre sonst wohl unmöglich gewesen, oder?
Mit Kindern würde ich das nicht machen. Das war eine der wenigen Reisen, bei denen meine Reisegruppe Begleitung hatte. Geleaste Bodyguards waren dafür verantwortlich, dass uns nichts passiert. Die sind täglich getauscht worden, damit keiner von Ihnen auf die Idee kommt, etwas zu verraten, um Geld durch eine Geiselnahme herauszuschlagen. Wir sind auch nie einen Weg doppelt gefahren. Das war das extremste, was ich an Sicherheitsvorkehrungen erlebt habe.
Wie darf man sich einen Urlaub in Mogadischu vorstellen?
Am ersten Tag haben wir uns eine alte Kathedrale angeschaut, am zweiten Tag das alte Parlament, das noch komplett zerbombt war. Wir verlängerten unseren Aufenthalt dann sogar um einen Tag, weil wir noch einen Badetag einlegen wollten. Das war eigentlich als Scherz gedacht. Aber wir haben den letzten Tag dann tatsächlich in einem Strandhotel verbracht. Wir sind an den Strand gegangen, haben uns umgezogen und sinn dort dann in Begleitung von vier Wachen mit Maschinengewehren schwimmen gegangen. Die Einheimischen schauten uns zu und trauten ihren Augen nicht. Das Bild von Weißen, die hier schwimmen gehen, überforderte Sie. Niemand der Einheimischen hatte zu der Zeit einen Weißen gesehen.
Ihre Bodyguards konnten Sie immer beschützen?
In Mogadischu ist uns nichts passiert. Aber wir waren dann noch in Puntland, am Horn von Afrika. Dort war sicher Jahrzehnte kein Tourist. Unserem Guide wurden die Autoreifen aufgestochen und wir sind von ehemaligen Piraten überfallen worden. Sie raubten uns alles. Aber wir bekamen einen Teil durch die Vermittlung von den Stammesältesten wieder zurück.
Sie klingen ziemlich furchtlos. Haben Sie keine Angst?
Angst habe ich vor Spinnen. Man weiß vorher, auf was man sich einlässt. Ich bin noch immer naiv genug, um mich auf der Reiseseite vom Außenministerium zu registrieren. Obwohl, für den kommenden Syrien-Trip habe ich das auch nicht gemacht. Das letzte Mal vor meiner Syrien-Reise registrierte ich mich und es gab Probleme für meine Schwester. Denn ich gab sie als Kontaktperson an. Meine Schwester wusste nichts von meinem Reiseverlauf. Das Außenministerium wollte dann von ihr wissen, wo ich hinfahre, wen ich treffe und wer das organisierte. Dabei war es eine ganz normale Reise. Ich meldete mich dann auch jeden Tag bei der Botschaft, weil ich nicht in Fahndungen nach Terroristen geraten wollte.
Macht die Lust am Risiko süchtig?
Nein, ich war ja auch noch nie Bungeespringen oder etwas in der Art. Aber ich mache auch nicht nur solche Reisen. Im Juni verbringe ich ein paar Tage in Bibione. Im September fliege ich nach Mallorca. Zu Ostern bin ich in Griechenland am Berg Athos, wo pro Tag nur zehn Touristen zugelassen werden.
Ein touristisches Spießerprogramm zum Ausgleich?
So könnte man es durchaus sagen. Wobei, wenn ich in Mallorca bin, dann gehe ich am Abend in die Disco. Was soll man schon am Abend anderes machen als Gas zu geben? Untertags liege ich dann ganz normal am Strand. Das eine schließt das andere nicht aus. Wobei man auch in Damaskus Menschen trifft, die gern exzessiv feiern. Die Menschen dort haben schon dieses Carpe-Diem-Prinzip: den Tag genießen, weil man nicht weiß, was der nächste bringt. Das gilt auch für Bagdad. Als ich 2011 dort war, gingen wir eines Abends in eine Bar. Beim Rausgehen aus dem Lokal, hielt ein stockbesoffener Iraker einer Frau aus meiner Reisegruppe einfach aus Spaß seinen Revolver an den Kopf und grinste. Er hat dann laut gelacht. Er hat es wirklich nur aus Spaß gemacht.
Sie haben nicht gelacht?
Ja, das sind eben Dinge, die einem passieren können auf solchen Reisen. Aber wir haben natürlich gehofft, dass der Mann noch so viel Selbstkontrolle hat, den Revolver wieder einzustecken.
Sie waren nicht nur im Nahen Osten unterwegs, sondern unter anderem auch in Burma. Noch immer werden in solchen Ländern Menschenrechte verletzt. Haben Sie sich je die Moralfrage vor einer Ihrer Reisen gestellt?
Mittlerweile habe ich einen sehr nüchternen Zugang zu diesem Thema. Wenn man es so sieht, gäbe es kaum Länder, wo man noch hinreisen könnte. In Rumänien oder Ungarn werden auch Menschenrechte verletzt. Es ist klar, dass man im Iran Null Demokratie findet. Andererseits trifft man gerade in solchen Ländern offene Menschen, die neugierig darauf sind, Leute aus dem Westen zu treffen. So findet schon ein Austausch statt, abgesehen von Nordkorea vielleicht.
Sie waren in Nordkorea?
Ja, in Nordkorea war ich auch.
In Nordkorea waren vor kurzem Wahlen.
Da ist sicher fraglich, ob die Bevölkerung überhaupt vom Tourismus profitiert. Wir waren damals mit unserem nordkoreanischen Reiseleiter in einer Bar und tranken ziemlich viel. Unser nordkoreanischer Reiseführer war perfekt vorbreitetet: Selbst total betrunken und nicht mehr fähig gerade zu gehen, verlor er kein schlechtes Wort über das Regime. Er war so indoktriniert. Bei diesem Land könnte man sicher moralische Skrupel bekommen, als Tourist hinzufahren. Denn in Nordkorea hat nur das Regime etwas davon. Da findet kein Austausch statt.
Bei anderen Ländern kommen Sie nicht ins Zweifeln?
In anderen Ländern geht der Profit mehr oder weniger sowieso am Regime vorbei. Natürlich hat ein Regime etwas von der Visumsgebühr oder davon wenn man als Tourist in staatlichen Hotels wohnt. Aber der Rest geht an die Menschen. Die Bevölkerung bekommt einen Schimmer von Normalität vorgeführt. Menschen, die von außen ins Land kommen, sind die einzigen, die etwas von draußen erzählen. Und wenn man sich die Moralfrage stellt, sollte man sich als erstes überlegen, nach Amerika zu fahren.