Die Antonow-Flotte von Volga-Dnepr Airlines symbolisierte über mehr als ein Jahrzehnt eine Kooperation zweier Länder, die heute unvorstellbar geworden ist: zwischen Russland und der Ukraine. Die riesigen Frachtflieger mit ihren vier Triebwerken entstammen einer Entwicklung zu Beginn der 1980er Jahre, als die Ukraine noch Teil der Sowjetunion war. Sie sollten in ihren Rümpfen mobile Abschussrampen für Atomraketen ständig in der Luft halten, und im Ernstfall konnten und können sie auch auf unwegsamen Pisten landen.
Gut 50 Stück verließen bis 2004 die Werkshallen der Flugzeugfabrik Antonow bei Kiew. Bis heute gilt die An-124 als das größte je in Serie gebaute Transportflugzeug. Mit ihrer Spannweite und der enormen Zuladung von 150 Tonnen toppen sie sogar jede Frachtversion der Boeing 747. Die meisten flugfähigen Exemplare sind – oder besser aufgrund aktuell gesperrter Lufträume waren – bis zum Angriff der russischen Truppen bei der Fluggesellschaft Volga-Dnepr Airlines im Einsatz.
Diese Frachtairline war ein geopolitisches Phänomen in mehrfacher Hinsicht. Schon der Name Volga-Dnepr signalisiert, dass sich zwei Länder nähergekommen sind: Bei der Wolga handelt es sich um einen der mächtigsten Flüsse Russlands, der Strom Djepr fließt auf seinem längsten Abschnitt durch das Gebiet der Ukraine.
Die Airline hat ihren Sitz im russischen Uljanowsk, fliegt mit Maschinen "made in Ukraine" und hat sich mit ihren zwölf An-124 als Luftfacht-Spezialist etabliert. Immer, wenn es um den schnellen Transport voluminöser und schwerer Güter wie Industrieanlagen, Satelliten oder Ausrüstung für die Ölindustrie geht, kommen die Maschinen zum Einsatz.
Antonow An-124: So sieht der riesige Transportflieger von außen und innen aus

2013 wurde sogar eine Wartungsbasis in einem neuen Hangar am Flughafen Leipzig-Halle eröffnet. Selbst für den Flugzeugbauer Boeing befördert Volga-Dnepr Airlines mit einer am Flughafen Houston stationierten An-124 große Triebwerke zur Endmontage und erledigt Aufträge aus den Bereichen Luftfahrt und Energie für Unternehmen in Nordamerika.
Antonows im Einsatz für Bundeswehr-Logistik
Zu den wichtigsten Großkunden des Cargo-Spezialisten gehört auch das Militär. Weil der Nato weitere Flugzeuge für den strategischen Lufttransport fehlten, kam es 2006 zur Strategic Airlift Interim Solution (SALIS): Per Dauercharter sicherten sich die Bundeswehr und ihre Verbündeten Kapazitäten in den Antonow-Maschinen für ihre militärische und humanitäre Missionen.
Über Jahre funktionierte das kuriose Geschäftsmodell: Ein sowjetisches Flugzeug, das einst Atomraketen transportierte, die gegen den Erzfeind USA gerichtet waren, flog nun für die Nato deren Ausrüstung zu Kriegsschauplätzen in den Irak und Afghanistan.

Doch 2018 wollten die Russen den Vertrag nicht verlängern. Dafür sprang die Konkurrenz ein, die bereits Teil des Joint Ventures war: Antonov Airlines, die neben sieben An-124 und weiteren Antonow-Mustern auch über die sechsstrahlige AN-225, dem größten Transportflugzeug der Welt, verfügen. Mit der russischen Annektierung der Krim im Jahre 2014 kriselte es in der russisch-ukrainischen Kooperation. Zuvor hatten sich beide Airlines mit ihren An-124-Flotten die Aufträge noch geteilt, dann mussten SALIS-Verträge mit beiden Unternehmen getrennt abgeschlossen werden.
Im November 2021 wurde das SALIS-Abkommen mit Antonov Airlines um weitere fünf Jahre verlängert, wobei die Abkürzung jetzt für Strategic Airlift International Solution steht und 16 Nato-Staaten auf die Frachtkapazitäten zurückgreifen können. Die ukrainischen Antonows bleiben weiterhin für eine Mindestnutzungen von 1600 Flugstunden pro Jahr bereit und leisteten auch beim Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan wichtige logistische Arbeiten.
Zwei Airlines mit zwei Antonow-Wartungszentren
"Noch am 26. Februar standen mehrere An-124 von Volga-Dnepr und Antonov Airlines bei uns am Flughafen", sagt Uwe Schuhart, Sprecher des Airports Leipzig-Halle, auf Nachfrage des stern. "Das ist weltweit einzigartig, sowohl russische als auch ukrainische An-124 an einem Standort zu haben."
Die drei vor dem Hangar für langfristige Wartungsarbeiten geparkten Volga-Dnepr Antonows mit russischer Kennung RA sind nun vom Flugverbot betroffen. Von den sieben zur Flotte von Antonov Airlines gehörenden An-124 mit UA-Kennung seien zwei in Kiew-Hostomel abgestellt, die sich schon länger in einem nicht mehr flugfähigen Zustand befinden, die fünf übrigen fliegen weiterhin ihre Charter-Einsätze, so Schuhart.

Auch die Frachtjumbos von Air Bride Cargo Airlines, eine Tochterfirma von Volga-Dnepr, waren regelmäßige Gäste in Leipzig-Halle – bis letzten Samstag. Die mit 18 Boeing 747 größte russische Frachtfluggesellschaft hatte ihre Maschinen rechtzeitig vor der Sperrung des Luftraums abgezogen. Deren Flotte kann Ziele in Europa und Nordamerika nicht mehr anfliegen. Zuvor waren sie mit ihren Basen an den Flughäfen Moskau-Scheremetjewo und Krasnojarsk ein wichtiger Player im Air-Cargo-Geschäft zwischen Asien und Europa, auch am Frankfurter Flughafen.

Mit der Invasion der Ukraine und den damit verhängten Sanktionen gegen Russland sind enorme Air-Cargo-Kapazitäten weggebrochen. Diese Nachricht kommt zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Durch die Störungen im Containerverkehr galt der Luftfrachtmarkt bereits als leergefegt. Die westlichen Frachtflieger müssen Russland umfliegen, was länger dauert, weniger Zuladung bedeutet und mit höheren Kosten verbunden ist. Nur chinesische und arabische Fluggesellschaften dürfen die kürzere Strecke über Russland noch fliegen. Mit dem Verschwinden der russischen Anbieter werden die Frachtraten weiter in die Höhe getrieben, was auch Verbraucher mit steigenden Warenpreisen zu spüren bekommen.
Geht es um große, schwere und sperrige Güter, stehen nur noch die fünf An-124 von Antonov Airlines zur Verfügung. Mit ihrer hohen Nutzlast, dem hochklappbaren Bug und die Heckrampe können Fahrzeuge direkt in den Rumpf fahren. Die Boeing 747 als Frachter und auch die BelugaST von Airbus benötigen spezielle Hebebühnen, um Be- und Entladen zu werden – für Antonow An-124 gibt es keine Alternative.
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