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Follow Me Carsten Spohr steht vor einer Herkulesaufgabe: Das sind die Baustellen der Lufthansa

Bleiben wegen des Warstreiks des Bodenpersonals am 27. Juli am Boden: Jets der Lufthansa am Flughafen Frankfurt.
Bleiben wegen des Warstreiks des Bodenpersonals am 27. Juli am Boden: Jets der Lufthansa am Flughafen Frankfurt.
© Daniel Roland / AFP
Warnstreik, gestrichene Flüge und das Callcenter unerreichbar – viele, aber nicht alle Probleme der Lufthansa sind hausgemacht. Doch der Aktienkurs kennt nur eine Richtung: Runter kommt er immer.

Das Fliegen wird in diesem Sommer zur Zitterpartie: Werde ich kurzfristig umgebucht? Wie lange wird die Schlange vor der Sicherheitskontrolle sein? Und werde ich meinen Koffer auf dem Gepäckband am Zielflughafen wiederfinden? Flugreisende haben in diese Tage viele Fragen.

Besonders vom Fehlstart der Flugbranche nach den beiden Corona-Jahren sind die Kunden der Lufthansa betroffen. Jetzt bringt auch noch ein Warnstreik des Bodenpersonals den Verkehr der Kranich-Jets an den beiden wichtigsten Drehkreuzen Frankfurt und München zum Erliegen. Allein am Mittwoch sind mehr als 130.000 Passagiere von Flugstreichungen betroffen. Und in der Hochsaison mangelt es an Flug-Alternativen, weil auch die Partner-Airlines gut ausgelastet sind. Damit sind wir auch schon bei einem von vielen Problemen, die Lufthansa-Chef Carsten Spohr in den Griff bekommen muss, ehe der Ruf der Marke weiter ruiniert wird.

Callcenter: Kein Service unter dieser Nummer

Nicht nur bei einem Streik sind die Kunden die Leidtragenden. Auch im Normalbetrieb. Wer eine Frage hat oder per E-Mail automatisch auf eine andere Flugverbindung umgebucht wurde, die einem nicht passt, muss mit dem Callcenter in Kontakt treten.

Doch mit Beginn der Pandemie vor nunmehr vor fast zweieinhalb Jahren lässt die Erreichbarkeit der Callcenter mehr als zu wünschen übrig. Stunden- und nicht minutenlange Wartezeiten sind die Regel. Falls man durchkommt und es zu kompliziert wird, landet man wieder in einer Warteschleife oder wird abgehängt.

Die mehr als 5000 Bewertungen auf der Website trustpilot.com sprechen eine deutliche Sprache. "Schlechtester Service ever" lautet ein Fazit. Die Urteile sind vernichtend: Insgesamt vergeben 3 Prozent der User die Note "mangelhaft" und 87 Prozent die schlechteste Note "ungenügend". Auch bei den Fluggastportalen, die Ansprüche auf Ausgleichszahlungen bei Flugunregelmäßigkeiten durchsetzen, hat Lufthansa ein schlechtes Image. Im Gegensatz zu anderen Airlines muss häufiger der Rechtsweg angedroht und beschritten werden.

Lufthansa vergrault die Geschäftsreisenden

Nicht nur Urlaubsreisende bekommen die Unerreichbarkeit der Callcenter und Unregelmäßigkeiten im Flugverkehr zu spüren. Auch die für die Airline wichtigsten Vielflieger mit dem Status Frequent Traveller oder Senator beschweren sich in Vielfliegerforen über die langen Wartezeiten der Hotlines, obwohl sie über spezielle Rufnummern der Lufthansa verfügen.

Durch häufige Flugänderungen und -streichungen hat bei dieser Zielgruppe eines der wichtigsten Kriterien bei der Wahl einer Airline ihren Stellenwert längst eingebüßt: die Verlässlichkeit, für die die Lufthansa einmal bekannt war. Da helfen auch keine Goodies der Kundenbindung wie doppelte Meilen-Gutschrift auf dem Vielfliegerkonto.

Selbst mit einem Ticket zum Vollzahlertarif in der Business Class hat man noch keine Garantie auf Beförderung. So kann es einem passieren, dass man vor dem Abflug trotz eines "Buchstatus ok" nur eine Bordkarte erhält, auf der der Begriff "standby" vermerkt ist. Schaut man in die App, werden für denselben Flug aber weiterhin Tickets angeboten. Wer einmal diese Erfahrung machen musste, wechselt die Airline – und Lufthansa wird den Kunden kaum wiedersehen.

Veraltete Business Class auf Langstrecken

In den Chats der Vielflieger-Foren wird auch deutlich, dass das Bordprodukt in der Klasse für Geschäftsreisende nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist. In den Langstreckenmaschinen sind die Sitze in der Business Class einer 2-2-2er Anordnung eingebaut. Viele Mitbewerber auf der Langstrecke bietet dagegen jedem Gast der Business Class einen Platz mit direktem Zugang zum Gang an, in einer 1-2-1er Konfiguration.

Erst 2017 war die Lufthansa in den Kreis der Fünf-Sterne-Airlines aufgestiegen, als einzige Fluggesellschaft in Europa. Doch das britischen Bewertungsunternehmens Skytrax hat im Juni die vermeintliche Premium-Airline degradiert und auf Vier-Sterne-Niveau zurückgestuft.

Abfertigungsschalter der Lufthansa am frühen Mittworgen am Frankfurter Flughafen
Abfertigungsschalter der Lufthansa am frühen Mittworgen am Frankfurter Flughafen
© Frank Rumpenhorst / DPA

Doch dieses Hardware-Problem ist nicht nur hausgemacht. Längst gibt es das Konzept für eine neue Business Class in den Schubladen, das nicht umgesetzt werden kann, weil ein Flugzeughersteller nicht wie ursprünglich geplant die neuen Jets ausgeliefert hat. Damit kommen wir zum nächsten Punkt.

Schleppende Flottenerneuerung

Schon aus Gründen des Umweltschutzes setzt Lufthansa kontinuierlich auf Jets der neusten Generation mit sparsameren Triebwerken. So werden die älteren Airbus A320 und A321 im Euopaverkehr peu à peu durch die Nachfolgemodelle der Neo-Serie ersetzt – die Abkürzung steht für "new engine option". Doch der Austausch der Langstreckenflotte lässt auf sich warten. Eigentlich sollte der Nachfolger der zum Teil mehr als 20 Jahre alten Jumbojets, die neue Boeing 777X mit neuem Bordprodukt, längst zur Flotte gehören. Doch Flugerprobung und Zertifizierung des größten Zweistrahlers der Welt verzögern sich immer wieder – inzwischen um fünf Jahre. Eine Übergabe ist nicht vor Ende 2024 in Sicht.

Dieser Punkt ist kein Lufthansa-, sondern ein Boeing-Problem. Die schwache Verhandlungsposition des krisengeschüttelten Flugzeugbauers konnte die Lufthansa dagegen geschickt ausnutzten und sich die kurzfristige Lieferung moderner Jets vom Typ Boeing 787 sichern. Aus der geplanten Überahme des ersten Exemplars für Ende 2021 wurde nichts. Zu groß sind die Fertigungsprobleme beim Airbus-Rivalen in Seattle und der Auslieferungsstopp für diesen Flugzeugtyp.

So bleiben bei Lufthansa vierstrahlige Flugzeuge mit hohem Kerosinverbrauch länger im Einsatz. Sogar die eigentlich für immer im spanischen Teruel eingeparkten Airbus A340-600 mit ihrer First Class werden zurückgeholt. Für den nächsten Sommerflugplan sollen laut jüngsten Aussagen von Carsten Spohr sogar einige der bei den Passagieren beliebten Airbus A380 für den Standort München reaktiviert werden.

Personalengpass durch überzogenen Jobabbau

Der Adlerlass an Arbeitskräften an Flughäfen trifft auch die Lufthansa direkt und indirekt. Mit staatlicher Unterstützung wurde beim Kranich durch ein Freiwilligenprogramm massiv Personal abgebaut. In diesem Monat sollten aufgrund von Vorruhestandsregelungen weitere 170 Piloten das Unternehmen verlassen. Dabei werden Kapitäne und Flugbegleiter jetzt wieder dringend gesucht.

Ein Verdi-Mitarbeiter hält am Flughafen München ein Plakat hoch
Ein Verdi-Mitarbeiter hält am Flughafen München ein Plakat hoch
© Peter Kneffel / DPA

Gewerkschaften und die Personalräte von Beschäftigten am Boden, in Cockpit und Kabine werfen dem Management vor, ein imageschädigendes Flugchaos verursacht zu haben. Der wirtschaftliche Druck der Branche, die Pandemie und der Sparwahn von Spohr haben zu weiterem Outsourcing und der Gründung von Tochterfirmen wie Eurowings und Eurowings Discover mit deutlichen niedrigem Gehaltsniveau geführt.

Intern wird das für 2023 geplante Projekt einer kostengünstigen Kurzstrecken-Flotte "Cityline 2.0" genannt. Dabei gibt es im Moment weiterhin erfahrenes Personal auf dem Arbeitsmarkt der abgewickelten Marke Germanwings, das allerdings nicht die verschlechterten Bedingungen akzeptieren möchte.

Catering: Weniger auf dem Klapptischchen

Ein Beispiel, wie das Outsourcing der Lufthansa auf die Füße gefallen ist, zeigt der Verkauf der Tochterfirma LSG. Mit einem Schlag wurde Lufthansa das Catering-Unternehmen und damit 7500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Großküchen und Ringeltauben-Märkten im Dezember 2019 los – kurz vor Beginn der Pandemie.

Doch der neue Eigentümer Gategroup, der auch für die Belieferung der Flugzeuge mit Speisen und Getränke zuständig ist, hatte im Frühjahr Schwierigkeiten, manche Flüge rechtzeitig mit gefüllten Trolleys zu beladen. Da blieben einige Passagiere auf Europaflügen hungrig, und auf Langstreckenflüge fehlten in der Business Class auch Spirituosen.

Aktienkurs in Turbulenzen

Börsennotierte Unternehmen haben den Nachteil, dass dem Vorstand das Wohl der Aktionäre wichtiger als das der Kunden. Letztere erleben im Alltag den Serviceverlust, der Anlieger sieht den kontinuierlichen Kursverlust mit Sorge. Bereits im Sommer 2020 flog Lufthansa aus der deutschen Börsenelite DAX mit den 30 wichtigsten Unternehmen und wird seitdem im Nebenwerteindex MDAX gelistet. Damals waren die Lufthansa Papiere unter die 10-Euro-Marke gefallen. Jetzt liegt die Marktkapitalisierung mit 7,2 Milliarden Euro weit unter der des Billigfliegers Ryanair, die mit 15,98 Milliarden Euro mehr als doppelt so hoch eingestuft wird.

Carsten Spohr
Als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Lufthansa AG steht Carsten Spohr seit 2014 an der Spitze des Unternehmens. Unter ihm erreichte 2018 der Aktienkurs 30 Euro – jetzt liegt der Kurs bei 6 Euro.
© DPA

Drohender Pilotenstreik

Als letzter der hier nur stichpunktartig angerissen Problemfelder der Lufthansa kommen wir zu den Piloten, zur ewigen Großbaustelle. Denn nach sechs gescheiterten Verhandlungsrunden über einen neuen Tarifvertrag führt die Gewerkschaft Vereinigung Cockpit bis Sonntag eine Urabstimmung über einen unbefristeten Streik durch. Einzelheiten stehen jetzt noch nicht fest.

Im gegenwärtigen Tarifkonflikt geht es nicht nur um 5 Prozent mehr Lohn und einen Inflationsausgleich, sondern um die Frage der zukünftigen Konzernstrategie: In wie vielen Flugzeugen dürfen Pilotinnen und Piloten sitzen, die dem alten Konzerntarifvertrag unterliegen – und nicht zu den eingeforderten niedrigeren Tarifbedingungen.

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Cockpit-Crews eine mächtige Gruppe sind, die den Flugbetrieb 2016 über sechs Tage hintereinander lahmlegen konnten. Und Spohr setzt in bei Tarifverhandlungen eher auf Konfrontation als auf Kooperation.

Das Betriebsklima im Hause ist durch Überstunden, Überlastung, Krankmeldungen und frühere Lohnzugeständnisse bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vom Check-in über die Kabine bis in der Pilotenkanzel eh nicht mehr wie früher. In einem Brandbrief der Belegschaftsvertreter an den Aufsichtsrat hieß es Anfang Juni: "Wir verspielen unseren guten Ruf und auf Dauer wird Lowcost-Service und -Zuverlässigkeit zu Premiumpreisen sicher nicht funktionieren."

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