"Es kotzt mich einfach brutal an", polterte Joshua Kimmich nach dem Viertelfinal-Aus des FC Bayern gegen SC Freiburg. Raus aus dem Pokal, Triple-Chance verspielt, die Münchner werden nicht nach Berlin fahren – zum dritten Mal in Folge. Dabei lief doch eigentlich alles nach Plan.
Das Duell gegen Freiburg war ein typische Pokalspiel für den Rekordmeister. Viel Ballbesitz, vielleicht wenig Chancen, aber kurz vor Schluss wird schon irgendjemand den Ball irgendwie über die Linie drücken. Die Bayern jubeln, der Gegner erklärt, man habe "lange gut mitgehalten", aber sei letztlich unglücklich ausgeschieden. So ist es schon dutzende Male passiert. Am Dienstagabend aber war es plötzlich eine verkehrte Welt in der Allianz Arena.
Die Nachspielzeit lief bereits, alle stellten sich auf eine Verlängerung ein, da springt der Ball Jamal Musiala an den Arm. Ein Pfiff. Ein Fingerzeig. Elfmeter für Freiburg. Nicolas Höfler knallt den Ball unter die Latte. Freiburg im Halbfinale. Bayern-Dusel für die Breisgauer.
Überragend gegen Paris, Pokalaus gegen Freiburg: Der FC Bayern hat ein Mentalitätsproblem
Spätestens mit dem ersten verspielten Titel wird Neutrainer Thomas Tuchel deutlich geworden sein: Feuerwehrmann wird er in diesem Leben wohl nicht mehr. Dafür ist sein Spiel zu komplex und braucht zu viel Anlaufzeit. Viel wichtiger und beunruhigender aber: Seine Mannschaft hat sehr offensichtlich das, was man über Jahre dem Rivalen Borussia Dortmund vorgeworfen hat: Der FC Bayern hat ein Mentalitätsproblem.
Gegen Paris in der Champions League spielten die Münchner wie entfesselt. "Bayernlike" wie es heute neudeutsch heißt. Doch unter dem Ex-Trainer Julian Nagelsmann scheint sich offensichtlich ein gewisser Schlendrian eingeschlichen zu haben, wenn es nicht gegen die Gegner geht, die Pep Guardiola einst als "toptoptop" bezeichnet hatte.
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Tuchel trägt hierfür sicherlich keine Verantwortung. Was kann ein Trainer schon ausrichten, der nicht einmal eine Hand voll Trainingseinheiten mit seinem Team hatte? Infrage stellen muss man einmal mehr die Vorstandsetage des FCB und ihren Zeitpunkt, zu dem man Nagelsmann vor die Tür gesetzt hat – insbesondere wenn man weiß, wie aufwendig und zeitintensiv es ist, den Tuchel-Fußball zu implementieren. Der FC Chelsea kann ein Lied davon singen.
Tuchel braucht für sein System Zeit – doch die hat er im Saisonendspurt nicht
Hasan Salihamidžić und Oliver Kahn haben Tuchel in die undankbare Situation gebracht, nun an zwei Baustellen werkeln zu müssen: Zum einen muss er sein System möglichst schnell in die Hinrinden der Spieler tätowieren. Zum anderen muss er (vielleicht noch schneller) herausfinden, warum es überhaupt nötig ist, den Spielern des Rekordmeisters zu erklären, man müsse "stabiler sein, tougher sein", wie er nach dem Spiel sagte. Die Feststellung, dass der "allerletzte Hunger" in diesem Viertelfinale gefehlt habe, wird Tuchel weiß Gott nicht gut schlafen lassen. Ausgerechnet dem Verein, der über Jahrzehnte mantraartig sein "mia san mia" wie ein Schutzschild vor sich hertrug und aus einer Mischung aus Arroganz und Selbstverständlichkeit Spiele gewann, muss Tuchel nun das Glück des Tüchtigen erklären. So hatte sich der Coach das sicherlich auch nicht vorgestellt.
Auch nach dem Trainerwechsel brodelt es beim FC Bayern weiter. Schon das Spiel gegen den BVB war trotz der zwischenzeitlichen 4:0-Führung keine Offenbarung. Nun der erste Titel-K.o. gegen Freiburg. Tuchel wird die Bayern sicherlich auf ein neues, höheres Niveau führen. Doch bis dahin braucht es Zeit. Zeit, die er im Saison-Endspurt eigentlich nicht hat.