Fernando Alonso sitzt im Motorhome von Renault, auf dem Tisch eine frisch gebügelte Decke, es riecht, als sei hier irgendwo Pizza im Ofen. Er trägt eine Uhr, deren Armband so ein ähnliches Profil hat wie ein Autoreifen; seine blaue Sonnenbrille setzt er lieber nicht ab. Distanz wahren. Die braucht er jetzt, spätestens seit er die Weltmeisterschaft in der Formel 1 anführt.
Zu Hause in Spanien ist die Hölle los, denn längst ist Alonso mehr als die personifizierte Hoffnung seiner unterprivilegierten Heimatregion Asturien. Er ist ein Nationalheld, dem nicht nur das einfache Volk eine fast hysterische Verehrung entgegenbringt. König Juan Carlos klingelte nach dem Sieg in Malaysia auf Alonsos Handy durch - da war der Junge noch auf der Ehrenrunde. Und nach dem Rennen in Bahrain machte er seine erste Paparazzi-Erfahrung, als sein Elternhaus belagert wurde. Die Eltern trauten sich nicht raus, Alonso flüchtete zu einem Kumpel. "Toll, wenn sich die Leute für einen interessieren", sagt er, "aber das ging zu weit."
Kommendes Wochenende
steht auf dem Circuit de Catalunya die nächste Wettfahrt an, und olé, wird da die Post abgehen! 115 000 völlig entsicherte spanische Fans werden dort erwartet, wo unlängst noch die Tribünen, wenn überhaupt, mit bierseligen Costa-BravaTouris aus Alemania besetzt waren. "Barcelona, das wird ein ganz besonderes Rennen für mich", sagt Alonso, "sieben Millionen Leute werden am Fernseher zuschauen. Bis vor drei Jahren wurden die Rennen ja nicht mal live übertragen. Jetzt entdecken die Spanier gerade einen neuen Sport." Bisher gerieten sie nur beim Fußball richtig in Wallung, allenfalls noch bei Motorradrennen oder wenn jemand einen Stier als Dartscheibe missbraucht.
Es erinnert alles an Michael Schumacher Anfang der Neunziger, als ein ganzes Volk plötzlich über Benzingemische, Unterbodenplatten und Kohlefaser-Chassis diskutierte. Einer von Alonsos Betreuern sagt: "Für Fernando ist es gerade leichter, ein Formel-1-Rennen zu gewinnen, als zu Hause im Restaurant essen zu gehen." Das hat er allerdings vor dem gefürchteten Auswärtsspiel im Autodromo Enzo e Dino Ferrari gesagt - da hatte er noch keine Ahnung, dass Alonso im irrsinnigsten Rennen der vergangenen Jahre die Hauptrolle spielen würde.
Beim Großen Preis von San Marino ist das Schlussdrittel angebrochen, und am Kommandostand von Renault geht ihnen mit einem Mal richtig die Düse. Renningenieur Rod Nelson brüllt in sein Funkgerät: "Fernando, Schumacher jetzt auf Position zwei. Der fährt zwei Sekunden schneller als wir, er holt dich ein - in zehn Runden!" So lange wird Schumacher aber gar nicht brauchen, er fliegt förmlich über den Kurs, und die Renault-Techniker wissen nur zu gut, dass ihr Motor an der Belastungsgrenze ächzt. "Okay, Fernando, das ist nur noch ein Kampf zwischen dir und Michael", schreit Nelson. Es klingt wie: viel Glück, mein Junge.
Die übrigen Teammitglieder von Renault werden anschließend zur Gruppenmaniküre müssen, so wie die hier in ihrer Garage die Fingernägel anknabbern, als Schumacher quälende zwölf Runden lang ihren Fernando hetzt; wie er nach links ausschert, nach rechts, nur um den jungen Kerl nervös zu machen. Der Renningenieur zählt laut die Runden ab, die sich Alonso verteidigen muss. Und dann, ein paar Kurven vor Schluss, krächzt dessen Stimme aus dem Funkgerät, sie scheint sich zu überschlagen, und im Hintergrund hört man den Motor kreischen: "Letzte Runde? Hey, ist das die letzte Runde?!?!?"
An der Boxenmauer flippen sie aus, als Alonso mit zwei Zehntelsekunden Vorsprung über die Ziellinie rast, Stimmengewirr über Funk, irgendeiner brüllt Yes! Yess! Yesss! Es dauert 20 Sekunden, bis sich Alonso meldet, so ruhig, als sei er mal schnell Semmeln kaufen gefahren: "Danke Jungs, ihr habt große Arbeit geleistet", sagt er auf der Ehrenrunde, "dies ist der erste Motor in der Formel-1-Geschichte, der zwei Rennen gewonnen hat." Es ist unglaublich: In der Box liegen sich alle vor Freunde weinend in den Armen, selbst als Unbeteiligter ist man noch völlig fertig - und der macht hier auf Historiker.
Auf so ein Duell
hat die Formel 1 lange warten müssen, seit Prost gegen Senna Ende der Achtziger. Vor allem hat man einen Typen ersehnt, der es mit Schumacher auch auf der Rennstrecke aufnehmen kann, nicht nur beim Trash-Talk im Fahrerlager. Drei Rennen hat Alonso jetzt nacheinander gewonnen, richtig gefährlich wird er dem Dauerweltmeister aber, weil er letztlich ein Schumacher-Klon ist.
Alonso, 23, aus Oviedo in Nordspanien, ist der Archetyp des besessenen Siegers. Einer, der sein Leben als permanenten Wettkampf begreift. Als Kind hat er geheult, wenn er mal ein Kartrennen nicht gewann; und wenn er jetzt mit den Formel-1-Kollegen kicken geht, blitzt es bedrohlich in seinen Augen. Der will nicht nur spielen. Ihn treibt der gleiche pathologische Ehrgeiz wie den jungen Schumacher, der nicht mal beim Billard mit Anstand verlieren konnte. Und wenn man sich bei den Renault-Technikern umhört, die vor zehn Jahren bei Benetton schon mit Schumacher zusammengearbeitet haben, sagen alle: Es ist wie früher. Da sitzt ein Bursche im Auto, der viel zu alt wirkt für sein Alter, der ein technisches Verständnis besitzt wie ein Diplomingenieur und eine Übersicht im Rennen, als lenke der liebe Gott sein Auto. "Fernando lässt sich nie aus der Ruhe bringen", sagt Chris Hessey, sein Mechaniker, "der würde auch auf drei Rädern Vollgas fahren."
Die meisten talentierten Rennfahrer halten sich nach den ersten kleinen Erfolgen für den Mittelpunkt des Universums. Hessey sagt: "Fernando weiß, dass er nur ein kleines Rädchen in dieser riesigen Maschine Formel 1 ist." Und so geht Alonso mit einem scheinbar tumben Tunnelblick durchs Leben, anscheinend braucht man den, um erfolgreich zu sein. Wer weder nach links noch rechts schaut, hat's leichter, geradlinig zu sein. Alonso will so sein. Er sagt: "Vielleicht bin ich im Sport nur so gut, weil ich zu nichts anderem tauge."
In der Formel 1 ist man an Geschwindigkeit gewöhnt. Aber das Tempo, in dem Alonso Karriere macht, ist beängstigend. 2001 im Minardi rumgegurkt, danach ein Jahr Testfahrer bei Renault. 2003 mit 22 jüngster Grand-Prix-Sieger, jetzt führt er in der Weltmeisterschaft mit 26 Punkten Vorsprung auf Schumacher. Und richtig: Er wäre der jüngste Weltmeister der Geschichte. Alonso sagt: "Noch sind es 15 Rennen." Schumacher sagt übrigens das Gleiche. Nur ist die Perspektive anders.
Seit Jahren war die Formel 1 nicht so ausgeglichen, so spannend wie jetzt, da Ferrari den Saisonbeginn verbockt hat. Aber die Italiener holen dank ihres umstrittenen Testpensums gewaltig auf. Ob Renault dem Druck standhält? Mag sein, dass Ferrari die Regeländerungen unterschätzt hat: dass Motoren zwei Rennen durchhalten müssen und Reifen im Rennen nicht mehr gewechselt werden dürfen. Vielleicht aber hat Renault einfach ein ebenbürtiges Auto gebaut. "Unser Geheimnis ist, dass wir kein Geheimnis haben", sagt Renaults Motorenmann Denis Chevrier: "Wir haben weder den stärksten Motor der Branche noch das aerodynamischste Chassis." Aber sie haben ein solides Auto konstruiert, das sich ohne Zicken fährt. Und das ist heute die Kunst.
In Maranello macht man sich Sorgen. Renault hat alle vier Rennen gewonnen; ausgerechnet diese merkwürdige Truppe, die richtige Stars weder im Auto noch an den Zeichentischen in den Fabriken hat. Der Einzige, der Aufmerksamkeit erregt, ist Teamchef Flavio Briatore. Und über den hat Rennfahrer Gerhard Berger mal gesagt, der könne ein Lenkrad nicht von einem Wagenrad unterscheiden.
Briatore, 55, macht es sich auf dem beigen Ledersofa im Motorhome gemütlich. Ein charmanter Macho mit grauem Haar und weit geöffnetem Hemd, dessen ulkigem Roberto-Benigni-Englisch man gern zuhört. Er mag es, den Sugardaddy für seine Fahrer zu geben, lädt sie auf sein Anwesen nach Kenia ein, weil man sich am Strand besser kennen lerne als im Büro, sagt er. Und natürlich besser über Frauen reden könne. Briatore sagt: "Da bin ich ein Vorbild für die Jungs." Später, beim Rausgehen, fragt man sich schon, was wohl stimmen mag von all dem, was er da erzählt hat. Man sieht ihm seine Zufriedenheit an. Er ist da ganz Autokrat. Gerade hat er sich selbst um ein Jahr den Vertrag verlängert. Und den von Alonso, dessen persönlicher Manager er ist, gleich dazu. Ob da Flavio mit Herrn Briatore verhandelt? Andere Menschen würde so eine Doppelfunktion in einen tiefen inneren Konflikt stürzen. Er grinst: "Das ist doch eine angenehme Position, finden Sie nicht?"
Briatore hat viele Vollblüter in seinem Stall: Mark Webber von BMW-Williams, dazu die größten Talente der neuen Nachwuchsserie GP2. Aber die Alonso-Sache, sagt er, sei wie das Remake seines Lieblingsfilms von 1994 - als er mit Schumacher bei Benetton Weltmeister wurde: "Gleiche Geschichte, gleicher Regisseur. Nur die Schauspieler sind andere." Diesmal hat er den Storyliner besser im Griff. Noch mal, wie damals nach Schumachers Abgang, als Briatore kurz darauf im Nirgendwo verschwand, noch mal lässt er sich nicht aus dem Drehbuch schreiben.