Es ist das Comeback, auf das so viele in der Formel 1 gewartet haben: Ferrari ist wieder da, wo der italienische Rennstall nach eigener Auffassung und der vieler Rennsport-Liebhaber hingehört: an der Spitze des Klassements. Es sind erst drei Rennen in der neuen Saison absolviert, doch die Ergebnisse beweisen, dass die Scuderia das erste Mal seit den seligen Tagen eines Michael Schumachers wieder das schnellste und zuverlässigste Auto stellt. Und im Cockpit sitzt mit dem Monegassen Charles Leclerc einer der talentiertesten Fahrer überhaupt. Er ist schnell, nervenstark und smart. Seit seinem Debüt 2018 für den Rennstall Sauber gilt er als titelfähig.
Die Bilanz bislang: Leclerc gewann in Bahrain und Melborune. Im saudi-arabischen Dschidda wurde er Zweiter. Und die Ergebnisse des zweiten Piloten Carlos Sainz lassen sich ebenfalls sehen. Ein zweiter und ein dritter Platz stehen für ihn zu Buche. Nur in Australien schoss er sich ab und schied aus. Das Malheur war aber nur kleiner Dämpfer in der allgemeinen Ferrari-Euphorie. Die Roten aus Maranello führen sowohl in der Fahrer- wie in der Konstrukteurswertung mit großem Vorsprung. Die Saison ist zwar noch jung, aber niemand bestreitet, dass Ferrari aktuell das Maß aller Dinge ist.
Charles Leclerc: Jetzt liegt es an mir
"Wir haben ein Auto, das schnell genug ist, um Rennen und vielleicht den Titel zu gewinnen. Jetzt liegt es an mir", sagte Leclerc nach dem Triumph von Melbourne, wo er das Rennen einsam dominierte. Ihm spielte natürlich in die Karten, dass sein derzeit größter Rivale, Weltmeister Max Verstappen im Red Bull, mit Motorschaden ausschied. Doch auch ohne diesen Ausfall hätte Leclerc das Rennen mit aller größter Wahrscheinlichkeit für sich entschieden. Team und Fahrer zeigten eine makellose Leistung.
Die italienischen Medien berauschen sich bereits an der Wiedergeburt des nationalen Heiligtums und seines neuen Superstars. Die Zeitung "Tuttosport" taufte den 24-Jährigen in Anlehnung an seinen Vornamen schon in "Karl der Große" um, "Corriere della Sera" sah die "totale Dominanz von Ferrari" und die "Gazzetta dello Sport" urteilte: "Ferrari ist wie eine Rakete. Leclerc ist ein Kannibale. Imola erwartet den roten König. Keiner holt ihn gerade ein. Und die Weltmeisterschaft ist nun kein Traum mehr."
Das Comeback wird auch deshalb so frenetisch gefeiert, weil der traditionsreiche Rennstall düstere Jahre hinter sich hat. In den beiden vergangenen Jahren war man sogar komplett ins Mittelmaß abgerutscht und fuhr dem Dominator Mercedes und Red Bull hoffnungslos hinterher. Es war eine Demütigung für die stolzen Italiener. Nur in der Saison 2019 hielt Ferrari mit den Silberpfeilen mit, aber auch nur, weil die Scuderia mutmaßlich (dass es so war, bezweifelt niemand!) bei der Benzinzufuhr getrickst hatte, was ihnen zusätzlichen Speed brachte. Der Motorsport-Weltverband Fia wickelte die delikate Angelegenheit hinter den Kulissen mit einem Kuhhandel ab, weil man dem Rennstall aufgrund der Komplexität des technischen Vorgangs nichts beweisen konnte. Doch die Indizien reichten aus. Ohne die Schummelei fiel Ferrari weit zurück, das Team lag am Boden.
Und so endete auch die Ära von Sebastian Vettel bei den Roten 2020 trostlos. Der viermalige Weltmeister war 2015 verpflichtet worden, um Ferrari wieder an die Spitze zu führen. Letztendlich scheiterte das Unternehmen, weil Vettel unter dem Druck Fehler machte, genau wie das Team regelmäßig bei Boxenstopps und Renntaktik patzte. Die Folge war, dass sich die Beziehung zwischen dem Deutschen und den anspruchsvollen Italienern zunehmend abkühlte.
Ferrari hat Regelrevolution am besten gemeistert
Dass Ferrari nun wie ein Phönix aus der Asche wieder aufgestiegen ist, hat eine handfesten Grund: Den Rennstall gelang die Anpassung an die jüngste Regelrevolution am besten. Statt in der abgelaufenen Saison in das aktuelle Auto zu investieren, setzten sie unter Teamchef Mattia Binotto in Maranello voll und ganz auf die Entwicklung des neuen Boliden. Wer nicht um den WM-Titel kämpft, kann mehr die Entwicklung investieren. Während Mercedes mit der neuen Aerodynamik kämpft und Red Bull unter einem unzuverlässigen Motor leidet, läuft der F1-75 nahezu perfekt.
Es scheint sich das zu wiederholen, was schon einmal zu einem Wachwechsel in der Formel 1 geführt hat. Nachdem 2014 die Hybrid-Turbo-Motoren eingeführt worden waren, übernahm Mercedes lange Jahre unangefochten die Vorherrschaft von Red Bull.
Jetzt also profitiert Ferrari. Das Comeback des wichtigsten Rennstalls, der weltweit die größte Anziehungskraft besitzt, dürfte besonders dem Besitzer der Formel 1, dem US-Unternehmen Liberty Media, perfekt ins Konzept passen. Fällt es doch mit einem gewaltigen Boom der Rennserie zusammen. Fünf Jahre nach der Übernahme trägt das runderneuerte Marketing, verzögert durch die Corona-Pandemie, Früchte. Die Formel 1 bietet mehr Grands Prix (aktuell 23), im nächsten Jahren rasen die Boliden in der Nacht über den Las Vegas Strip, auf Netflix läuft die vierte Staffel der Hochglanz-Doku "Drive to survive", die Liveübertragungen sind insgesamt aufgemotzt und unter den globalen TV-Sportarten hat die Formel 1 die höchsten Zuwachsraten bei jugendlichen und weiblichen Fans. Befeuert wird das Wachstum durch die Ankündigung von VW, mit seinen Marken Audi und Porsche in die Rennserie einzusteigen.
Ob Ferrari die ganze Saison so beherrschen wird wie die ersten Rennen, ist nicht ausgemacht. Es hängt sehr davon ab, ob es der Konkurrenz gelingt nachzurüsten. Nur eines ist sicher. Ferrari wird nicht langsamer werden und darf vom ersten WM-Titel seit 2007 träumen, als der Finne Kimi Räikkönen Weltmeister wurde.
Quellen: DPA, "Motorsport-total.com", "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Süddeutsche Zeitung", "Auto Motor Sport"