Vor dem Saisonstart Gereizte Stimmung in der Formel 1: Weltverband erteilt Fahrern politischen Maulkorb – nun droht ein Aufstand

Der siebenfache Weltmeister Lewis Hamilton unterstützt seit 2020 die Black-Lives-Matter-Bewegung.
Der siebenfache Weltmeister Lewis Hamilton unterstützt seit 2020 die Black-Lives-Matter-Bewegung. Künftig braucht er für solche Aktionen eine Genehmigung
© Albert Gea / DPA
Vor Beginn der neuen Formel-1-Saison ist die Stimmung aufgeheizt: Die Fahrer wehren sich dagegen, dass der Motorsport-Weltverband politische Meinungsäußerungen im Rahmen eines Grands Prix untersagt. Der Konflikt könnte zu einem Problem werden.

Am Donnerstag hat sich die Formel 1 mit den Testfahrten der neuen Autos zurückgemeldet. Auf dem Bahrain International Circuit richtet sich der Fokus dann drei Tage lang auf die Technik, Teams und Ingenieure probieren die komplexen Rennboliden erstmals unter harten Praxisbedingungen aus. Es geht um Tempo, Abtrieb, Aerodynamik, Reifen-Verschleiss. Es werden fleißig Daten gesammelt und die Piloten erfahren, ob ihr Dienstwagen überhaupt etwas taugt.

Doch wenn am 5. März das erste Rennen der Saison ebenfalls in Bahrain steigt, wird ein Konflikt wieder hochkochen, der die Formel 1 seit Wochen aufgewühlt und nichts mit PS und Beschleunigung zu tun hat: die als politischer Maulkorb empfundene Regelverschärfung für politische Äußerungen, die der Motosport-Weltverband Fia Ende Dezember 2022 kurzerhand vornahm.

Bekreuzigen ist weiterhin erlaubt

Im neuen Sportkodex heißt es seitdem unter Punkt 12.2.1.n, dass "politische, religiöse und persönliche Äußerungen oder Kommentare" an der Rennstrecke einen Regelverstoß darstellen. Es sei denn, sie werden vorher genehmigt. Begründet wird die Verschärfung mit dem allgemeinen Grundsatz der Neutralität, dem die Fia als Mitglied der olympischen Familie unterliege. Verboten sind demnach Äußerungen zu Parteien und Organisationen. Das gilt auch für Aussagen zu militärischen Konflikten oder zur Unterdrückung von Minderheiten. Ausgenommen ist das Bekreuzigen oder ein Fingerzeig gen Himmel. 

Im Fahrerlager kamen die neuen Regeln gar nicht gut an. Man kann auch sagen: Rekordweltmeister Lewis Hamilton und Kollegen gingen auf die Barrikaden. "Nichts wird mich davon abhalten, mich zu den Dingen zu äußern, die mir am Herzen liegen, und zu den Themen, die es gibt", verkündete der empörte Brite Hamilton vergangene Woche bei der Präsentation seines neuen Mercedes-Dienstwagens. "Der Sport hat nach wie vor die Verantwortung, sich zu Wort zu melden und das Bewusstsein für wichtige Themen zu schärfen, vor allem, wenn wir an all diese verschiedenen Orte reisen. Für mich ändert sich also nichts."

Unterstützung erhielt er vom Teamkollegen George Russell: "(...) Das ist Teil der Redefreiheit. Wir haben das Recht, unsere Ansichten über jede beliebige Plattform zu verbreiten, die wir wollen", befand Russell. Ähnlich äußerten sich zahlreiche der 20 Formel-1-Piloten. McLaren-Pilot Lando Norris fühlte sich bevormundet: "Wir sind nicht in der Schule. Wir sollten nicht nach allem fragen müssen: 'Können wir dies tun? Können wir das tun?'", ätzte er. "Wir sind erwachsen genug, um kluge Entscheidungen zu treffen."

Mit Regenbogen-Helm in Katar

Der Grund für die Verschärfung ist offensichtlich: Besonders Fahrer wie Lewis Hamilton oder Sebastian Vettel haben in den vergangenen Jahren mehrfach die große Bühne Formel 1 benutzt, um politische Botschaften unters Volk zu bringen.

Hamilton, siebenfacher Weltmeister und der größte Star im Rennzirkus, unterstützt tatkräftig die Black-Lives-Matter-Bewegung und die LGBTQ+-Gemeinde. 2020 hatte er nach seinem Sieg im italienischen Mugelleo ein T-Shirt mit der Aufschrift "Verhaftet die Polizisten, die Breonna Taylor getötet haben" getragen. Die Fia untersagte daraufhin T-Shirts mit politischen Botschaften auf dem Podium, erlaubte aber auf Druck der Fahrer Gesten wie das symbolische Niederknien als Zeichen gegen Rassismus und startete selbst die Kampagne "We race as one".

Hamilton war es auch, der vor zwei Jahren mit einem regenbogenfarbenen Helm die Rennen Katar und Saudi-Arabien fuhr und im Vorfeld die homophoben Gesetze in den arabischen Ländern deutlich kritisierte. Sebastian Vettel setzte Zeichen gegen den Klimawandel oder kritisierte den Teersandabbau in Kanada. Beim Großen Preis von Ungarn 2021 zeigte sich der Heppenheimer im regenbogenfarbenen T-Shirt und passender Corona-Maske. Das wird es in Zukunft wohl kaum noch geben.

Formel 1 will Geschäftsmodell bewahren

Für die Formel 1 können solche Aktionen zu einem Problem werden, weil sie das Potenzial haben, das aktuelle Geschäftsmodell zu gefährden. Zahlreiche Rennen finden in Ländern statt, die autoritär regiert werden oder LGBTQ+-Rechte unterdrücken wie etwa Saudi-Arabien. Es ist offensichtlich, dass es sich die Fia nicht mit den dortigen Veranstaltern verderben will, weil die Formel 1 dort die höchsten Gebühren kassiert. Während europäische oder amerikanische Rennstrecken meist etwa 25 Millionen Euro (Ausnahme Monaco, das angeblich deutlich günstiger wegkommt) für ein Rennen zahlen, liegt der Preis beispielsweise für arabische Veranstalter doppelt so hoch. Da sind Protestaktionen gegen die homophobe Gesetzgebung in Saudi-Arabien oder Katar nicht so gern gesehen.

Der Rennzirkus bekommt zu spüren, was seit Jahren ein allgemeiner Trend im Weltsport ist: Sport und Politik lassen sich nicht so einfach trennen. Wie bei Fußball-Weltmeisterschaften oder den Olympischen Spielen werden große Sport-Events in problematischen Staaten kritisch hinterfragt, auch von Formel-1-Piloten.

Die Fia sah sich deshalb Ende vergangener Woche wegen der anhaltenden Kritik gezwungen, die neuen Regeln zu präzisieren und verschickte ein dreiseitiges Dokument an die zehn Rennställe. Darin ermahnte sie: "Der Fokus muss bei jedem internationalen Wettbewerb auf dem Motorsport und den Leistungen der Teams und Fahrer liegen."

Die Fahrer wissen jetzt, dass Siegerehrungen, Fahrerparaden oder offizielle Pressekonferenzen tabu für politische Statements sind. Bei Missachtung drohen zum Teil drastische Strafen wie Punktabzüge oder Rennausschluss. Gleichzeitig betonte die Fia, dass Antworten auf direkte Frage von Journalisten nicht unter das Sprechverbot fallen. Genauso dürften sich die Piloten selbstverständlich privat und auf ihren Social-Media-Kanälen politisch äußern. Es war wohl der Versuch, ein wenig Dampf aus dem Kessel zu nehmen. Funktioniert hat es nicht.

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