Wenn der HSV am Wochenende gegen Hannover gewinnt, dann haben die abstiegsbedrohten Hamburger eine bessere Rückrundenbilanz als Werder Bremen. Diese Statistik dokumentiert, wie schwach die Bremer seit Monaten spielen. Mit dem 1:4 in Stuttgart hat Werder nur zwei seiner letzten 15 Spiele gewonnen und kann die Europa League-Qualifikation fast schon abschreiben.
Ganz anders der VfB Stuttgart, der seine große Form fortsetzte und nun zumindest für einen Abend nur noch vier Punkte hinter einem Champions-League-Platz rangiert. Christian Gentner, zweimal Martin Harnik und Cacau trafen für Stuttgart, nachdem Markus Rosenberg die Gäste sogar in Führung gebracht hatte. Werders Defensivtaktik ging vor allem deshalb nicht auf, weil die Mannschaft keine Standards verteidigen kann.
Für beide Teams war es das dritte Spiel innerhalb von sieben Tagen - ungewohnt in dieser Saison, aber sowohl der VfB als auch Werder hoffen ja in der kommenden Saison auf möglichst viele englische Wochen in der Europa League.
Gentner und Molinaro neu im Team
Bruno Labbadia brachte nach dem Sieg in Augsburg Christian Gentner, den Helden von Dortmund, im Mittelfeld für den gesperrten Zdravko Kuzmanovic. Links hinten erhielt Cristian Molinaro den Vorzug vor Arthur Boka. Thomas Schaaf musste den nach seiner Roten Karte gegen Mönchengladbach geperrten Sebastian Boenisch ersetzen und brachte Aleksandar Ignjovski fürs Mittelfeld, Clemens Fritz rückte dafür einmal mehr nach hinten rechts.
Werder agierte mit einem flachen 4-4-2, ungewohnterweise. Damit, speziell mit den beiden Sechsern Naldo und Ignjovski, ging eine defensive, abwartendere Spielweise einher als man es von den Bremern gewohnt ist. Aber nach nur zwei Siegen in den letzten 14 Spielen musste Werder ja etwas Neues versuchen, zumal die Defensivtaktik in Hamburg einen der beiden Erfolge 2012 erbracht hatte.
Zunächst klappte das noch leidlich, denn der VfB hatte zwar "mehr vom Spiel", wie man gerne sagt, aber nicht mehr von den Punkten, nachdem Markus Rosenberg einen Konter in der 25. Minute zum 0:1 abgeschlossen hatte. Nach einem Abwurf Tim Wieses setzte sich Claudio Pizarro gegen den nur in dieser Szene ungeschickt agierenden Molinaro durch und bediente rechts Marko Marin. Dessen gefühlvolle Hereingabe fand Rosenberg am langen Pfosten, der problemlos vollstrecken konnte.
Molinaro auf Gentner - 1:1
Stuttgart ließ sich davon aber ebenso wenig irritieren wie vom ungewohnten Platz, der dem Mittelfeld zugestanden wurde. Wie tief Werder stand, das wurde beim 1:1 in der 37. Minute deutlich. Molinaro behauptete links den Ball und passte kurz nach innen auf Gentner. Der konnte den Ball stoppen und vorlegen, wobei er parallel zum Strafraum Richtung Mitte zog, ohne dabei angegriffen zu werden, weil Ignjovski im Sechzehner verteidigte. Dass Gentner allerdings mit einem Traumschuss aus 20 Metern in den rechten oberen Winkel treffen würde, hätten wohl die wenigsten Beobachter geahnt. Am allerwenigsten Tim Wiese, sonst hätte er vielleicht nicht drei Schritte aus seinem Tor gemacht, bevor der Ball hinter ihm im Netz einschlug.
Damit aber nicht genug: Bremens defensive Standardschwäche wurde noch vor der Pause bestraft, als Tamas Hajnals Ecke von rechts von Georg Niedermeier aufs Tor geköpft wurde. Der Verteidiger setzte sich im Luftduell gegen den nicht energisch springenden Rosenberg durch und zwang Wiese zu einer Reflexparade, die den Ball allerdings nur als Kerze in die Höhe schnellen ließ. Die Zeit, bis das Leder wieder in die Erdatmosphäre eintrat, nutzten die Bremer wesentlich schlechter als die Schwaben. Der nachsetzende Martin Harnik, selbst einst in Bremen unter Vertrag, vollstreckte aus kurzer Distanz zum 2:1.
Dass es gegen formstärkere Gastgeber in der zweiten Spielhälfte schwer werden würde, erfolgreich auf Offensive umzuschalten, musste jedem Bremer Anhänger klar sein. In Konter des VfB zu laufen, wäre auch nicht ehrenrührig gewesen. Doch zwei weitere Gegentreffer kassierte Werder nach Standards, und das hatte nichts mit der veränderten Taktik zu tun, die darin bestand, dass Schaaf wieder auf die Raute setzte.
Harniks Handspiel nicht geahndet
Zehn Minuten nach Wiederanpfiff gab Hajnal eine weitere Ecke herein, diesmal von links, Vedad Ibisevic verlängerte auf Harnik, der den Ball im Fünfmeterraum allerdings mit der Hand stoppte, bevor er einschoss. Ein irreguläres Tor, das Schiedsrichter Tobias Welz jedoch anerkannte.
Gefühlt war das Match nun gelaufen, auch wenn Schaaf mit einer Umstellung noch einmal Besserung erzielen wollte. Naldo rückte für den ausgewechselten Francois Affolter in die Innenverteidigung, aber die eingewechselten Niclas Füllkrug und Tom Trybull waren nicht dazu angetan, Angst und Schrecken in Reihen des VfB zu verbreiten. Das Spiel schien seinem Endstand entgegenzuplätschern, bis der auf der anderen Seite eingewechselte Cacau nach einem Freistoß von Gotoku Sakai kurz vor Schluss noch das 4:1 markierte - auch das aus Nahdistanz.
Werder muss im anstehenden Heimspiel gegen Bayern nun auch noch auf die gelbgesperrten Sokratis und Clemens Fritz verzichten und darf sich angesichts des schweren Restprogramms (nach Bayern Wolfsburg auswärts und Schalke daheim) kaum noch Hoffnungen auf einen Europa League-Platz machen. Der VfB wiederum hat theoretisch sogar weiter Chancen auf die Champions League-Qualifikation.
Daniel Raecke