Als Uli - devot gefolgt von Kalle – am Samstagabend nach dem 0:3 gegen Gladbach in die Kabine rauschte, rauschte auch der deutsche Blätterwald in lauter Vorfreude. Welche Worte würde der Patron für die Krise des FC Bayern finden? An was oder wen würde er appellieren? Würde er selbst Verantwortung über- und Kovac damit aus der Schusslinie nehmen oder würde er den Druck auf Trainer und Stars weiter erhöhen? Leider konnte selbst die "Bild"-Zeitung kein Mäuschen in die Kabine des FC Hollywood schleusen, doch im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" gab er am Sonntag einen ersten Fingerzeig: Er stehe "wie eine Eins" hinter dem Coach - "egal was in den kommenden Wochen passieren wird".
Das ist löblich und richtig, doch vielmehr sollte er sich seine Fehler eingestehen und die Saison offen als Umbruchsaison deklarieren – auch im vollen Bewusstsein, keinen Titel zu holen. Das würde den Druck von Kovac und der Mannschaft nehmen, einem Ideal hinterherzulaufen, das mittlerweile unerreichbar ist. Durch die Verkäufe von Vidal, Bernat und Rudy, den Ausfällen von Coman und Tolisso und dem Alter der Kernspieler könnten selbst Gott Jupp oder Kaiser Pep mit der Truppe nicht viel reißen. Nur nationale Klasse – und mehr besitzen die Münchener nicht - reicht bei dreifacher Belastung im Kampf um den siebten Titel in Folge eben nicht zum Glück.
April, April – oder wie sich unsere Unkenrufe früh bewahrheiteten

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Noch heute betet Stefan Johannesberg jedes Wochenende drei Klaus Augenthaler, dass er sich als sechsjähriger Steppke für den FC Bayern München und gegen den HSV und den 1. FC Köln entschied. Zufällig. Anfang der 80er dominierten eben diese Teams und als geborener Kieler war Holstein damals wenig sexy. Die Leidenschaft pulsiert - auch nach Jahrzehnten wie am ersten Tag. Diese lebt er als Medienschaffender seit 2001 auch journalistisch aus. In dieser Bayern-Kolumne schreibt er aus Fan-Sicht. Mit Daten, Fakten, Lob, Liebe und Kritik. Wie es sich für einen echten Fan gehört.
Bereits im April, nach dem Tuchel-Desaster und noch vor der Verpflichtung von Niko Kovac, hatten wir eine solche Saison prognostiziert: "Verlaufen die Trainersuche und der Mannschaftsumbau weiter mit angezogener Handbremse und stellt Hoeneß sein Ego weiter über das Wohl des Vereins, gefährdet er mittelfristig seine Lebensleistung. Wie alte Patriarchen von Familienunternehmen, die zu ängstlich in Neues investieren und zu spät den Staffelstab an ihre Erben weiterreichen. Dann kehrt vorerst keine Ruhe auf der Führungsebene ein, die Bayern werden aus Europas Top fünf purzeln und in der Bundesliga wieder angreifbar. Wie damals, als sie zwar 1989 unter – welch‘ ein Zufall – Jupp Heynckes mehrere Jahre die Meisterschaft gewannen, in den folgenden Jahren jedoch mit unglaublichen Einkäufen (Rehhagel als Trainer für kontrollierte Offensive bekam 1995 ein offensives Team mit vier Spielmachern) mehrmals bis auf Uefa-Cup-Plätze abrutschten."
Ja, auch Uli höchstpersönlich stapelte damals bei der Spobis in Düsseldorf für die nahe Zukunft erstaunlich tief: "Es wird ja nicht für alle Zeit so sein, dass der FCB da oben ist." Die folgende, extrem defensive Transferpolitik untermauerte die Prognose, dass der FC Bayern ein, zwei Jahre lang durch das unbekannte Tal der Tränen waten wird. Im Doppelpass nahm daher auch Ex-Trainer André Schubert Uli, Kalle und Brazzo in die Pflicht: "Die älteren Spieler können nicht mehr alle drei Tage Topleistungen bringen. Die Jungen sind noch nicht auf dem absoluten Topniveau. Und die älteren Spieler wie Neuer, Müller, Hummels kommen aus einem schwierigen Sommer." Und weiter sagte er: "Und diese Probleme muss Kovac moderieren. Aber dem müssen sich alle Verantwortlichen stellen, nicht nur der Trainer. Kovac kann nichts dafür, der Verein um Hasan Salihamidzic muss sich diesen Fragen stellen. Es geht darum, Lösungen zu finden mit dem Kader, den sie derzeit haben."
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Welche Möglichkeiten haben Kovac und Brazzo beim FC Bayern noch?
Die einzige Chance, die Kovac trotz der Rückendeckung von Uli besitzt, ist es, eine erste Elf zu finden. Passstark und sicher im offensiven Positionsspiel muss sie sein. Das Problem sitzt vor allem in der Offensive. Daher könnte ein extremer, ungeplanter Wechsel zur Dreierkette Sinn machen, schiebt es doch die beiden stabilsten Bayern – Kimmich und Alaba – nach vorne und würde so Thiago, James oder Robbery wichtige Anspielstationen bieten. Sollte Alaba länger ausfallen, könnte Kovac zudem so den Ausfall aller Linksverteidiger kompensieren. Und als kleines Schmankerl dürfte sich der bullige Gnabry als Stoßstürmer versuchen – um auch hier dem statischen Offensivspiel der Münchener eine neue Note zu verleihen.
3:4:3 Neuer - Süle - Hummels - Martínez - Sanches - James - Thiago - Kimmich - Robben - Gnabry - Ribery
3:5:2 Neuer - Süle - Hummels - Martínez - Sanches - James - Thiago - Müller - Kimmich - Gnabry - Lewy
Sollte Kovac jedoch bis zur Winterpause keine stimmige, kampfbereite Mannschaft auf den Rasen kriegen, muss Uli Hoeneß seinen Worten Taten folgen lassen und die volle Verantwortung übernehmen. Im Zweifel auch bis zur Titelabsage oder einem Rücktritt. Die Ablösung Kovac‘ oder eine Verpflichtung von Ralph Hasenhüttl oder gar Zidane wäre dann mehr als schwach – und würde die Wut der Fans noch weiter steigern. Zumal ein neuer Coach sich dank der Rückkehr von Coman und der Ankunft von Nachwuchs-Star Alphonso Davies in ein gemütlicheres Nest setzen könnte als Kovac.
