11, 15, 7, 6, 10, 11: Das sind nicht 6 aus 49, nicht die vorgezogenen Lottozahlen vom Mittwoch, sondern die sechs Plätze, die Hertha BSC Berlin seit dem letzten Aufstieg im Jahr 2013 jeweils in der Abschlusstabelle der Bundesliga belegt hat. Flinke Rechner stellen schnell fest: ergibt im Schnitt genau Platz 10.
Das kann keinen Fußball-Fan ernsthaft wundern. Mit gelegentlichen Ausschlägen nach oben, die in erfolglose Europa-League-Teilnahmen mündeten, verkörpern die Berliner seit geraumer Zeit biederes Bundesliga-Mittelmaß. Dabei wären sie in der Hauptstadt doch so gerne ein "Big City Club", wie Klinsmann schon zu seinem Antritt die Ansprüche formulierte.
Wobei: Wären sie das wirklich so gerne?
Manager Michael Preetz hielt sich in den turbulenten Wochen vor der Winterpause mit Wortmeldungen eher zurück, bevor er vor wenigen Tagen anmerkte: "Meine Aufgabe ist es vielleicht, hier und da ein bisschen auf der Bremse zu stehen." Dies müsse man sich zwar nicht so vorstellen, dass nicht alle in die gleiche Richtung rudern. Aber mit dem ambitionierten Investor Lars Windhorst sei besprochen, "dass der Weg zum Ziel durchaus ein wenig Zeit brauchen wird."
Jürgen Klinsmann absorbiert alle Aufmerksamkeit
Ex-Trainer Pal Dardai war es in den vergangenen Jahren immerhin weitestgehend gelungen, die Hertha aus der Abstiegszone herauszuhalten. In dieser Saison sollte Ante Covic als Nachfolger des soliden Ungarn den nächsten Entwicklungsschritt einleiten, scheiterte aber schon nach wenigen Monaten krachend.
Also Auftritt Klinsmann: Der Architekt des Sommermärchens absorbiert in Berlin ab sofort alle Aufmerksamkeit, das hat er schon immer getan – beim DFB, bei Bayern, mit äußerst unterschiedlichen Resultaten. Sicher ist nur: Auch zu vernachlässigende Meldungen aus der Hauptstadt, wie jene von der nicht mehr gültigen Trainerlizenz, werden ab sofort überregional hochgejazzt.
Wie bei seinen anderen Stationen startet Klinsmann mit großen Worten, die viel versprechen: Nach dem kurzfristigen Klassenerhalt sei schon in der nächsten Saison die Europa League das Minimalziel, "und hoffentlich werden wir dann eine Saison später noch weiter oben mitspielen". Zeit verlieren will der neue Macher bei der Hertha ganz offensichtlich nicht. Das Motto für den Verein – und für den 55-Jährigen selbst: Hauptsache nicht mehr egal!
Denn wer Klinsmann reden hört, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich in Berlin – genau wie die Hertha – auch persönlich den Schritt aus der fußballerischen Mittelmäßigkeit erhofft, die bei allem Respekt während seiner Zeit als Chef der US-Nationalmannschaft an ihm genagt haben dürfte. So kommt die Klinsmann'sche Reformer-Rhetorik diesmal auch mit ganz persönlicher Note daher: Sollte er die Hertha also auf Hochglanz polieren und Berlin zur Champions-League-Metropole machen, hätte er es nicht nur allen Kritikern seiner amerikanischen Methoden mal wieder gezeigt, er wäre auch zurück auf der höchsten Ebene des internationalen Spitzenfußballs– die Königsklasse, so Klinsmann, sei schließlich der Maßstab, an dem sich weltweit alle Nationaltrainer orientieren.
Die Kehrseite der bedingungslosen Begeisterungsfähigkeit, die der 55-Jährige immer noch wie wenige andere in der Branche ausstrahlt, ist der Arbeitsalltag unterm Brennglas. Superlative fordern als Reaktion naturgemäß Superlative heraus. Und so fragten Kritiker bereits nach dem ersten Spiel, warum denn bloß noch so gar kein Plan des Trainers zu erkennen gewesen sei – nur um Klinsmann kurz darauf anlässlich des Sieges gegen Leverkusen zum Ende der Hinrunde, genau, für seinen klugen Plan zu loben.
Kann Hertha BSC der "Big City Club" für Berlin sein?
Manche unken, dass die aktuelle Hertha-Truppe ungefähr so viel Potenzial vereint wie die damalige Nationalmannschaft, die Klinsmann im Sommer 2004 als Teamchef von Rudi Völler übernahm. Es gibt allerdings einen großen Unterschied: Beim DFB musste er damals mit den Spielern auskommen, die ihm zur Verfügung standen. In Berlin dürfte ihm Investor Windhorst kurz- und mittelfristig so manchen Wunsch nach Verstärkung erfüllen – in dieser Hinsicht sind die Voraussetzungen schon mal besser.
Investitionen allein werden das Projekt "Big City Club" in Berlin jedoch nicht vor dem Scheitern bewahren. Klinsmann und seine Helfer wandeln auf dem schmalen Grat zwischen Aufbruchsstimmung und Selbstparodie, wenn zum Beispiel der frisch installierte "Performance Manager" Arne Friedrich der Hertha allen Ernstes "Größenwahn" verordnet. Der Report des Fachmagazins "Kicker" aus dem Trainingslager in Florida las sich zuletzt schon ausgesprochen bissig, und es bedarf nicht viel Fantasie, sich den medialen Gegenwind auszumalen, der bei anhaltendem Misserfolg auffrischen dürfte.
Keine Frage: Jürgen Klinsmann bei der Hertha ist schon jetzt eine der großen Geschichten dieser Bundesliga-Saison. Selten konnten Verein und Trainer gleichermaßen so stark voneinander profitieren, zumindest theoretisch. Aber beide gehen mit dieser Zusammenarbeit auch das ähnlich hohe Risiko eines Desasters ein. Druck, mit dem Klinsmann sich auskennt. Die Hertha nach der bedächtigen Politik der vergangenen Jahre eher weniger.